Medical Tribune
3. Juni 2016Chronische Rückenschmerz kennt viele Dimensionen

Bei Patienten chronischem Rückenschmerz psychologische Methoden nutzen

Der chronische Rückenschmerz kennt viele Dimensionen: Somatische, kognitiv-emotionale und verhaltensorientierte Aspekte sind von Bedeutung. Nur wer all diese Dimensionen zugleich berücksichtigt, dem gelingt eine effektive Erfassung und Behandlung des Schmerzproblems, schreibt Diplompsychologin Britta Maurus von der Tagesklinik Rückenzentrum Am Michel, Hamburg. Wenn sich Patienten mit anhaltenden Rückenschmerzen herumschlagen, sollte spätestens nach zwölf Wochen ein umfassendes Assessment durch ein interdisziplinäres Team aus Ärzten, Schmerz-, Psycho- und Physiotherapeuten erfolgen.

Zu einer etwaigen multimodalen Schmerztherapie (MMST) entschliessen sich dann alle Beteilig­ten gemeinsam. Die psychologische Basisdiagnostik im Rahmen des Assessment zielt darauf ab, psychosoziale Bedingungen zu erfassen, die das Schmerzerleben auslösen und aufrechterhalten. Auch gilt es, Risikofaktoren (Yellow Flags, s. Kasten) wie Katastrophisieren oder Vermeidungsverhalten zu erkennen, die nach einer psychologischen Mitbehandlung verlangen.

Die psychologische Schmerztherapie arbeitet zum einen mit der Schmerz- und Psychoedukation. Patienten haben oft eine rein somatische Krankheitsvorstellung im Kopf. Daher wird gemeinsam das multidimensionale Schmerzmodell erarbeitet: Patienten sollen erkennen, dass Wahrnehmung, Denken, Fühlen und Verhalten das Schmerzerleben beeinflussen können. Auch geht es in der Edukation um Themen wie körperliche Schmerzverarbeitung, Schmerzgedächtnis und das körpereigene Schmerzhemmsystem.

Depressive Tendenzen mit Interventionen stoppen

Viele "Rücken"-Geplagte mit chronischen Beschwerden haben ihr Verhaltensspektrum und ihren Aktionsradius enorm eingeschränkt bis hin zum sozialen Rückzug. Kognitiv-behaviorale Interventionen zielen darauf ab, den Aktionsradius wieder zu erweitern und dadurch auch depressiven Tendenzen entgegenzuwirken. Eine (differenzierte) Selbstbeob­achtung hilft dem Patienten, eine Situations- und Verhaltensanalyse der schmerz- und belastungsfördernden Bedingungen im Alltag vorzunehmen. Er soll lernen, wie Phasen der Aktivität und Ruhe besser ausbalanciert werden können und wie er schrittweise neue Aktivitäten auf- und Vermeidungsverhalten abbauen kann. Auf kognitiver Ebene arbeitet der Psychologe an angstinduzierenden und unrealistischen Gedanken und Überzeugungen, die zum Katastrophisieren führen können, und lenkt diese in eine positive Richtung.

Muskelrelaxation durchbricht Anspannung und Stress

Oft fühlen sich Schmerzgeplagte von aktuellen oder früher bestehenden psychosozialen Belastungsfaktoren komplett überfordert. Zudem vermeiden sie sowohl im Privatleben wie auch am Arbeitsplatz häufig stressassoziierte und schmerzverstärkende Situationen. Stressbewältigungsstrategien sollen Abhilfe schaffen. Patient und Psychologe analysieren gemeinsam Probleme und mögliche Lösungen und planen deren Umsetzung, die wiederum bewertet oder verändert wird. Dabei ist auf die Prinzipien des SMART-Modells zu achten: Das bedeutet, dass sowohl Ziele als auch Lösungswege spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch und terminorientiert sein sollten.

An Entspannungsmethoden wird sehr häufig die progressive Muskelrelaxation (PMR) eingesetzt. Dieses Verfahren unterbricht den Teufelskreis aus Schmerz, Anspannung und Stress. Durch gut erlernte PMR kommt es zu einer allgemeinen Entspannungsreaktion mit Dämpfung der vegetativen Aktivierung, Minderung des Schmerzempfindens und einem Gefühl von Ruhe und Wohlbefinden.

Phantasiereisen führen vom Schmerz weg

Auch Genusstraining und Ablenkung gehören zur psychologischen Schmerztherapie. Da sich bei einigen Patienten bisher alles um den Schmerz drehte, können angenehme Körpererfahrungen vom Schmerz wegführen. Dazu zählen Methoden wie Entspannung unter emotional positiven Imaginationen (Phantasiereise, Ruhebild) oder eine Umlenkung der Aufmerksamkeit über bisher wenig genutzte sensorische Kanäle (Geruchs- oder Tastsinn).

Quelle: Maurus B. Schmerzmedizin 2016; 32: 24-30