Medical Tribune
19. Sept. 2013Missbrauch von Opioide

Chronische Gelenkbeschwerden brauchen starke Analgesie

Sorge um Nebenwirkungen, Angst vor Abhängigkeit oder Missbrauch – Opioide werden gemeinhin immer noch mit viel Argwohn betrachtet, vor allem, wenn sie bei Nicht-Tumorschmerzen eingesetzt werden. Doch gerade bei chronischen Erkrankungen des Bewegungsapparates sind sie oft unverzichtbar, erklärt Dr. Kai-Uwe Kern vom Institut für Schmerzmedizin in Wiesbaden.

“Medikamentös haben wir ja ansonsten nicht viel in der Hand”, betont der Kollege. Grundpfeiler der Behandlung sind meist NSAR/Coxibe, die aber in vielen Fällen, z.B. wegen Komorbiditäten, kontraindiziert sind und sich zudem nicht gut zur Dauertherapie eignen.

Welche Applikation bei Opioiden wählen?

Eine Opioidtherapie einzuleiten und fortzuführen, verlangt natürlich Fingerspitzengefühl. Pflaster oder Tablette, retardiert oder nicht, mit oder ohne Antagonist, die Auswahl ist gross. “Viele Patienten fragen als erstes nach einem Pflaster”, berichtet Dr. Kern. Tatsächlich ist diese Applikationsform gerade bei älteren Menschen mit Polymedikation natürlich eine elegante Lösung, denn viele sind froh, wenn sie nicht noch weitere Tabletten schlucken müssen. Und die Handhabung klappt erfahrungsgemäss auch bei Senioren recht gut.

Der Nachteil: Opioidhaltige Pflaster sind schlechter steuerbar, Schmerzspitzen lassen sich durch die kontinuierliche Wirkstoffabgabe nicht abfangen. Das kann z.B. gerade bei Arthrosekranken Probleme verursachen, die in Ruhe weniger Analgesie brauchen als bei Belastung.

Für solche Patienten favorisiert Dr. Kern daher oft orale Darreichungen. Grundsätzlich ist in den ersten sechs Wochen mit einer gewissen Toleranzentwicklung zu rechnen, das heisst, man braucht in dieser Zeit oft eine Dosissteigerung um etwa 10-20 %. Dies darf jedoch nicht mit irgendeiner Form der Abhängigkeit verwechselt werden.

Nebenwirkungen der Opioide minimieren

Das Nebenwirkungsprofil muss bei jedem Betroffenen individuell ausgetestet werden. Die bekannte Obstipation ist zwar in der Regel anhaltend, lässt sich aber mit Laxantien oder gemischt agonistisch-antagonischen Präparaten meist gut beherrschen. Schwieriger sind Übelkeit und Sedation. “In Fällen, in denen  Übelkeit auftritt, ist ein Präparatewechsel eher nötig als bei der viel häufigeren Verstopfung”, so Dr. Kern.

Und die Sedation ist therapeutisch nur schwer in den Griff zu bekommen. Bei 80 % der Patienten lässt sich in der ersten Woche der Behandlung eine Adaptation beobachten, die dämpfende Wirkung geht zurück. Hält sie aber an, stellt sie in jedem Fall eine Indikation für eine Opioidrotation dar, auch wenn die Analgesie möglicherweise optimal verläuft. “Jüngere können damit weder arbeiten noch Autofahren, bei Älteren besteht ein erhebliches Sturzrisiko”, warnt der Experte.

In der Praxis werden Patienten von Anfang an darüber aufgeklärt, dass eine oder mehrere medikamentöse Rotationen nötig werden können und machen den Wechsel dann gut mit. Manchmal schlägt die Therapie aber gar nicht an bzw. die Nebenwirkungen oder die Compliance führen zum Abbruch. “Etwa ein Drittel meiner eingeleiteten Opioidbehandlungen muss ich wieder abbrechen”, konstatiert der Schmerztherapeut. Bei etwa einem weiteren Drittel beendet er sie über kurz oder lang – manchmal auch, weil sie nicht mehr nötig ist. Beim Rest bringt sie langfristig Erfolg. “Darunter sind Patienten, die schon mit der Ersteinstellung jahrelang stabil laufen”, sagt Dr. Kern.

Keine Angst vor Abhängigkeit von Schmerzmitteln

Was die oft gefürchtete Abhängigkeit betrifft, muss zwischen psychischer und körperlicher unterschieden werden. Bei hoher Dosis und langer Einnahmezeit ist eine körperliche unvermeidbar, jedoch mangels Organtoxizität kein wirkliches Problem Die psychische dagegen, also die “Sucht”, ist über die Schmerzreduktion hinaus an positive Gefühle gebunden. Und die sind laut Dr. Kern nun meist das Letzte, das seine Patienten verspüren. Er hält daher das psychische Suchtpotential der Therapie bei fachgerechter Anwendung für sehr gering.

Um die Gefahr zu reduzieren, ist auch ein relativ geregeltes Zeitschema der Einnahme nach wie vor unverzichtbar. Wenn der Schmerz mit Wucht zurückkommt und erst jetzt eine Tablette genommen wird, kann die dann einsetzende Linderung durchaus mit einem Hochgefühl einhergehen. 

“Natürlich sollte man misstrauisch werden, wenn sich jemand auf Dauer sehr gut fühlt, aber nicht bereit ist, die Opioidmenge zu reduzieren”, räumt der Kollege ein. Doch solche Fälle sind in seiner Praxis die absolute Ausnahme. Im Gegenteil: Die meisten Patienten drängen darauf, nur so wenig Schmerzmittel einzunehmen, wie irgendwie möglich. Und wer eigenmächtig seine Dosis steigert und dann vorzeitig ein neues Rezept will, bekommt die rote Karte.