Medical Tribune
23. Jan. 2013Praxisworkshop Anämie in der Geriatrie

Die Korrektur des Eisenmangels zahlt sich aus

Bis zu 20 % der Hochbetagten (>  85 Jahre) sind von einer Anämie betroffen. Eine zunehmende Einschränkung der Nierenfunktion, zusammen mit chronischen Entzündungsprozessen und essenziellen Nährstoffdefiziten runden häufig das Bild der Anämie bei Betagten ab.

Herr Dr. Weyermann: Bei der weiteren Abklärung der Patientin wurde eine Kreatinin-Clearance von 38 ml/min gefunden, ein Ferritin von 50 µg/l und ein erniedrigter Vitamin B12-Wert. Was bedeutet das zusammen mit dem niedrigen Hb?
Das bedeutet, dass diese Anämie – wie bei sehr vielen älteren Menschen – multifaktoriell bedingt ist. Diese Kreatinin-Clearance lässt vermuten, dass die Anämie zum Teil renal bedingt ist. Man konnte zeigen, dass bei   Werten < 60 ml/min mit einer verminderten Erythropoietin-Sekretion gerechnet werden muss. Hinzukommt das deutlich erniedrigte Vitamin B12. Das Ferritin liegt zwar im unteren Normbereich, aber man muss es im Kontext mit dem erhöhten CRP-Wert interpretieren.

Wie häufig ist eine solche – keineswegs physiologische – Konstellation bei Betagten, und mit welchen Komplikationen muss man rechnen?

Bei etwa 10 % der über 65-Jährigen besteht eine Anämie, und bei den über 85-Jährigen liegt die Anämierate zwischen 15 und 25 %. Zum Eisenmangel im Alter gibt es verschiedene Studien; zwischen 2 und 8 % der Senioren sind betroffen. Kognitive Beeinträchtigung, verminderte Selbstständigkeit, erhöhtes Sturzrisiko und erhöhte Mortalität sind als Folgen der Anämie gefürchtet.

Wie ist der Ferritinwert bei erhöhtem CRP zu beurteilen?

Eine Faustregel sagt, dass bei einem Ferritin über 100 µg/l ein Eisenmangel eher unwahrscheinlich ist. Bei < 100 µg/l kann man aufgrund der klinischen Erfahrung entscheiden, ob ein Eisenmangel vorliegt oder nicht. Bei dieser Patientin mit einem CRP von 20 mg/l würde ich einen Eisenmangel postulieren und eine probatorische Eisensubstitution einleiten. Mit der Bestimmung des löslichen Transferrinrezeptors lässt sich die Verdachtsdiagnose untermauern. Bei den Nephrologen gilt die Regel, dass man bei Ferritinwerten < 100 µg/l (bei nicht dialysepflichtigen Patienten) grosszügig substituiert, bei Dialysepflicht liegt der Grenzwert bei < 200 µg/l. Ein Problem: Wenn das CRP erhöht ist, und man Eisen substituieren will, ist es ratsam, es parenteral zu verabreichen, weil die enterale Resorption beeinträchtigt ist. 

Wenn man eine multifaktorielle Anämie annimmt, wie lässt sich diese rasch korrigieren?

Da wir von einem Eisendefizit ausgehen müssen, würde ich in diesem Fall parenteral sub-
stituieren. Das zahlt sich aus, weil die Patienten von der rasch einsetzenden Wirkung profitieren.

Fazit: Die Anämie im Alter ist häufig und nach Diagnosestellung gut zu behandeln. Wenn eine orale Therapie nicht in Frage kommt, z. B. wegen Resorptionsproblemen wie im vorliegenden Fall, bietet sich die parenterale Eisensubstitution z.  B. mit einer Einmalgabe Eisencarboxymaltose an, mit rascher Korrektur der Anämie. 

Besten Dank für das interessante Gespräch!

Studienhintergrund
Bei Älteren mit erniedrigtem Hb und Anämie ist die Mortalität erhöht1
Eine Anämie wirkt sich negativ auf die Kognition und die Mortalität aus2
Anämie im höheren Alter erhöht das Sturzrisiko3
Anämie erhöht das Demenzrisiko bei kognitiv nicht beeinträchtigten Senioren4

Referenzen:

  1. Zakai NA et al., Arch Intern Med 2005; 165: 2214 – 2220.
  2. Denny SD et al., Am J Med 2006; 119: 327 – 334.
  3. Penninx BW et al., J Am Geriatr Soc 2006; 54: 1429 – 1435.
  4. Atti AR et al., Neurobiol Aging 2006; 27(2): 278 – 284.