Medical Tribune
21. Jan. 2023Placebo wegen YouTube?

Cannabis gegen Schmerzen: Mangelnde Wirksamkeit bremst Medien-Hype nicht

Schmerzen gehören zu den wichtigsten Anwendungsgebieten von medizinischem Cannabis. Viele Anwender zeigen sich mit dem Ergebnis zufrieden. Eine Meta-Analyse (1) von Ende 2022 zeigt nun auf, dass die Wirksamkeit der Cannabinoide auf einem Placebo-Effekt beruhen dürfte. Nicht angekommen ist dies jedoch bei den Medien: Die Berichterstattung zur Cannabis-Wirkung in Studien war tendenziell stark positiv gefärbt, auch wenn in diesen keine Wirksamkeit nachgewiesen wurde. Verstärkt das sogar die Placebowirkung?

close up of Doctors hands holding medical marijuana
petdcat/gettyimages

Leiden Menschen unter chronischen Schmerzen, suchen viele Hilfe bei neuartigen Therapien – unter anderem im Internet. Ein Beispiel für einen «Hype» bei chronischen Schmerzerkrankungen sind Cannabinoide. 

Einige Länder beginnen bereits, Cannabinoide als Teil ihrer regulären Gesundheitsversorgung einzuführen (2). Diese werden derzeit von vielen Menschen zur Behandlung zahlreicher chronischer Schmerzzustände wie Rücken- oder Krebsschmerzen eingesetzt (3).

Die Evidenz der Behandlung ist jedoch aktuell noch alles andere als geklärt. So warf eine Studie auf, dass Cannabis nur eine sehr geringe analgetische Wirkung hat, eine andere zeigte, dass Menschen, die vor einem chirurgischen Eingriff Marihuana konsumierten, eher mehr Schmerzen nach dem Eingriff hatten als eine Kontrollgruppe (4, 5).

Signifikante Schmerzreduktion in Zusammenhang mit Placebo

In der nun veröffentlichten Analyse wurden 20 Studien mit insgesamt 1.459 Personen eingeschlossen. Dabei handelte es sich ausschliesslich um Cannabinoid-Studien mit doppelblindem, placebokontrolliertem Design und Teilnehmern ab 18 Jahren mit chronischen Schmerzen beliebiger Dauer. Das primäre Ergebnis war die Veränderung der selbstberichteten Schmerzintensität vor und nach der Cannabinoid-Behandlung.

Die Ergebnisse deuten eher nicht darauf hin, dass die Cannabinoide eine Wirksamkeit jenseits des Placebo-Effektes haben: Nahmen Patienten ein Placebo ein, verbesserten sich ihre Schmerzen etwa gleich gut wie bei der Einnahme eines Cannabinoids.

Rechtliche Situation um Cannabisarzneimittel in der Schweiz

Unter Cannabisarzneimittel versteht man die Gesamtheit der verwendeten Cannabisprodukte inklusive Blüten, unabhängig von der rechtlichen Einstufung. Seit August 2022 braucht es für die Behandlung mit Cannabisarzneimitteln keine Ausnahmebewilligung mehr; die Therapiefreiheit wird gewährleistet und die Verantwortung für die Behandlung liegt ausschliesslich bei den Ärztinnen und Ärzten (6). Die Gesetzesänderung ändert nichts an den Voraussetzungen für die Kostenvergütung von Cannabisarzneimitteln: Die Behandlungen werden derzeit nur in Ausnahmefällen von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vergütet.

Cannabisarzneimittel finden in der medizinischen Praxis vorwiegend Verwendung bei chronischen Schmerzzuständen, zum Beispiel bei neuropathischen oder durch Krebs verursachten Schmerzen; bei Spastiken und Krämpfen, die durch Multiple Sklerose oder andere neurologische Krankheiten ausgelöst werden. Ferner werden sie bei Übelkeit und Appetitverlust im Falle einer Chemotherapie eingesetzt.

Ungewöhnlich hohe mediale Aufmerksamkeit für Cannabinoid-Schmerzstudien

Zusätzlich sammelten die Forscher Informationen zur medialen Berichterstattung über die untersuchten Studien in Form von Überschriften, Zusammenfassungen und Website-Adressen von Blogs und Medienbeiträgen. Im Anschluss bewerteten sie die Berichterstattung als positiv, neutral oder negativ.

Den Autoren fiel auf, dass die Medienaufmerksamkeit bei Cannabis-Studien vergleichsweise hoch war. Zudem wurde mehrheitlich positiv von Cannabinoiden in der Schmerzbehandlung berichtet - unabhängig vom Ergebnis der jeweiligen Studie. Da der Placeboeffekt abhängig von der Erwartung eines Patienten an den Effekt der vermeintlichen Therapie ist, vermuten die Forscher nun, dass die positive Medienaufmerksamkeit den Placebo-Effekt auf Cannabinoide noch vergrössern könnte.

Referenzen
  1. Gedin F et al. Placebo Response and Media Attention in Randomized Clinical Trials Assessing Cannabis-Based Therapies for Pain: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Netw Open. 2022 Nov 1;5(11):e2243848. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2022.43848
  2. Ben Amar M. Cannabinoids in medicine: A review of their therapeutic potential. J Ethnopharmacol. 2006 Apr 21;105(1-2):1-25. doi: 10.1016/j.jep.2006.02.001
  3. Hall W et al. Public health implications of legalising the production and sale of cannabis for medicinal and recreational use. Lancet. 2019 Oct 26;394(10208):1580-1590. doi: 10.1016/S0140-6736(19)31789-1
  4. Fisher E et al. Cannabinoids, cannabis, and cannabis-based medicine for pain management: a systematic review of randomised controlled trials. Pain. 2021 Jul 1;162(Suppl 1):S45-S66. doi: 10.1097/j.pain.0000000000001929
  5. Holmen IC et al. The association between preoperative cannabis use and intraoperative inhaled anesthetic consumption: A retrospective study. J Clin Anesth. 2020 Dec;67:109980. doi: 10.1016/j.jclinane.2020.109980
  6. Bundesamt für Gesundheit (BAG). Gesetzesänderung Cannabisarzneimittel. Stand 26. Juli 2022 (abgerufen am 03.01.2023).