Medical Tribune
8. Dez. 2022 Ein wichtiger Baustein des medizinischen Angebots

Komplementäre und Integrative Medizin in der Rheumatologie am Inselspital Bern

Viele Patienten mit rheumatologischen Erkrankungen schätzen die Einbindung komplementärmedizinischer Massnahmen wie die Traditionelle Chinesische Medizin, Akupunktur oder Phytotherapie in den Therapieplan. Professor Dr. ­Ursula Wolf, Direktorin des Instituts für Komplementäre und Integrative Medizin (KIM), Universität Bern, erläutert die Möglichkeiten und Grenzen der KIM bei rheumatologischen Patienten.

Natural healing alternative medicine close up
Santje09/gettyimages

Am Institut für KIM werden Sprechstunden für zugewiesene Patienten abgehalten, aber auch Konsilien auf den Stationen des Inselspitals zählen zum Leistungsumfang, berichtet Prof. Wolf.* Darüber hinaus bietet sie generelle Beratungen zur KIM und ärztliche Behandlungen an, da viele der in Frage kommenden Arzneimittel Bestandteil der Grundversicherung sind.

Körper, Seele und Geist in Einklang bringen

Befragungen haben ergeben, dass die Lebenszeitprävalenz der Nutzung komplementärmedizinischer Therapien zwischen 74,6–77,3 Prozent liegt. Prof. Wolf weist darauf hin, dass in Bern ein ganzheitliches Konzept verfolgt wird, bei dem verschiedene Fachrichtungen einen gemeinsamen Ansatz verfolgen: Körper, Seele und Geist im Sinne der Salutogenese wieder möglichst gut in Einklang zu bringen. Der Patient kann zumindest teilweise aus der passiven Rolle des Behandelten zur aktiven Beteiligung wechseln, indem seine Eigenregulations- und Regenerationskräfte genutzt werden.

Die Expertin lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass die KIM immer dann an Grenzen stösst, wenn die Eigenregulations- und Kompensationsmechanismen nicht mehr ausreichen. Die KIM kann und will die konventionelle Medizin nicht ersetzen, sondern zum Wohle des Patienten ergänzen. Beispielsweise bei einer Krebserkrankung, Organversagen oder Entfernung eines Organs muss man zumindest primär konventionell intervenieren.

Patienten versprechen sich bessere Verträglichkeit

Neun von zehn rheumatologischen Patienten haben bereits einmal die KIM genutzt und zum Zeitpunkt der Umfrage waren es immerhin 70 Prozent. Insbesondere bei Gelenkschmerzen und schlechtem Funktionszustand ist die Bereitschaft sehr gross, zu komplementären und integrativen Massnahmen zu greifen, erklärt Prof. Wolf. Die Patienten versprechen sich umfassendere, besser verträgliche und langfristig einsetzbare Therapieoptionen, und schätzen die Einbindung in den Behandlungsplan.

Um die hochgesteckten Ziele bei entzündlichen rheumatischen Erkrankungen – klinische Remission, Besserung der Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen und Hemmung der Progression – zu erreichen, ist die rheumatologische Expertise unverzichtbar. Wenn Patienten Fragen haben oder Wünsche äussern, die in Richtung KIM gehen, sollten Schulmediziner ein offenes Ohr haben, genau hinhören und – abhängig von Expertise und Erfahrungshorizont – eine Beratung anbieten.

Diejenigen, die sich dafür nicht kompetent fühlen, sollten idealerweise auf erfahrene Kollegen verweisen und mit diesen zusammenarbeiten. So lässt sich vermeiden, dass Patienten in Eigenregie auf eine «alternative Schiene» geraten, die möglicherweise mehr Schaden anrichtet als nützt.

Ergänzende Therapie bei verschiedenen Beschwerden

Bei Gelenkschmerzen, -schwellungen, Entzündungen oder eingeschränkter Beweglichkeit bietet sich die KIM ergänzend an, ebenso bei Schmerzen, Schlafstörungen oder depressiver Verstimmung im Zusammenhang mit der rheumatischen Erkrankung, erklärt die Expertin.

Es gibt verschiedene Fachrichtungen mit langjähriger Erfahrung: die Traditionelle Chinesische Medizin, Homöopathie, Akupunktur oder die anthroposophisch erweiterte Medizin und die Phytotherapie. Sie haben alle ihre Berechtigung und werden seit Langem und mit guter Anwendungserfahrung eingesetzt. Welche Fachrichtung sich am besten eignet, hängt von der Ausprägung der Erkrankung, der Komedikation und von der Patientenpräferenz ab.

In der Phytotherapie und Traditionelle Chinesischen Medizin gibt es verschiedene antientzündliche Heilmittel, die jedoch zu Interaktionen führen können. In den anderen Fachrichtungen besteht diese Gefahr weniger. Die Akupunktur eignet sich zur Schmerzbekämpfung. Die Homöopathie ist hochindividuell. Die anthroposophisch erweiterte Medizin verfügt über ein breites Spektrum an medikamentösen und nichtmedikamentösen Therapieoptionen.

Referenz

RheumaTop 2022, 25. August 2022, Pfäffikon