Medical Tribune
5. Aug. 2022Nierenzellkarzinom, Blasenkrebs und Prostatakarzinom

Keine Durchbrüche, aber mehrere «Praxis-refiner» am ASCO 2022

Praxisverändernde Studien bei den GU-Tumoren waren beim diesjährigen ASCO eher spärlich gesät. Dennoch wurde einiges vorgestellt, das gemäss Experten künftig in die Routine einziehen wird. Besonders relevant sind dabei neue Erkenntnisse zur Komedikation bei Immuntherapie. Paracetamol wird man begleitend zu Checkpoint-Inhibitoren wohl nicht mehr bedenkenlos verabreichen.

Mikroskopische Aufnahme einer Kernbiopsie der Prostata, die ein Adenokarzinom zeigt.
iStock/Md Saiful Islam Khan

Adenokarzinom der Prostata, H&E

Am Post-ASCO WebUP des FOMF stellte Professor Dr. Frank Stenner, stellvertretender Leiter Zentrum für Hämato-Onkologie des Universitätsspitals Basel, seine Take-Home-Messages zu GU-Tumoren vor. «Wirklich Praxisveränderndes war diesmal nichts dabei», resümiert er gleich eingangs. Dennoch gab es für ihn «praxis-refining» Studien, welche die tägliche Arbeit mitbeeinflussen werden – «darunter auch einige negative Studien».

Nierenzellkarzinom

Adjuvantes Everolimus nicht wirksam

Eine der besagten negativen Studien betraf die adjuvante Therapie beim Nierenzellkarzinom (RCC) mit hohem Risiko. «Für diese Patienten ist Pembrolizumab aktuell die beste Option», erinnert Prof. Stenner. «Aber nicht alle Patienten vertragen eine Immuntherapie, andere sind etwa aufgrund ihres Transplantationsstatus oder Autoimmunkrankheiten ausgeschlossen», so der Referent. Mit der EVEREST-Studie hoffte man, diesen Patienten mit Everolimus künftig eine Immuntherapie-freie adjuvante Behandlung anbieten zu können (1). Zwar erreichte die Studie nominal ein verbessertes rückfallfreies Überleben (HR = 0,85; 95% KI: 0,72–1,0; peinseitig = 0,025), verfehlte aber ihren primären Endpunkt eines präspezifizierten p-Werts von 0,022.

Bei der Auswertung des Gesamtüberlebens (OS) war ausserdem kein Unterschied bei mit Everolimus behandelten Patienten im Vergleich zu jenen ohne adjuvante Therapie zu beobachten. Insgesamt reicht das also nicht: «Everolimus wird nach diesen Daten leider keine Option für die adjuvante Therapie beim RCC werden.»

Immuntherapie und Paracetamol

Als zweite wichtige Arbeit beim RCC hebt Prof. Stenner eine Studie hervor, die den Effekt von Acet­aminophen, der aktiven Substanz in Paracetamol, auf Immuntherapien untersuchte (2). Die Forscher machten sich dabei eine öffentlich zugängliche Datenbank mit Metabolomik-Daten aus Patientenseren der CheckMate 025-Studie zunutze. Das beachtliche Ergebnis: Patienten, bei denen zu Beginn der Immuntherapie Acetaminophen oder dessen Metabolit Acetaminophen-Glucuronid nachgewiesen werden konnte, hatten ein deutlich schlechteres Gesamtüberleben (OS) als Patienten ohne diese Verbindungen im Serum (HR = 0,67; 95% KI: 0,52–0,88; p = 0,004).

Dieses Ergebnis spiegelte sich auch bei zwei anderen Studien wider: der kleineren Basket-Studie BIP und der grösseren PREMIS-Studie, in die 297 mit Immuntherapie behandelte Patienten mit verschiedenen soliden Tumoren eingeschlossen wurden. Es handelt sich also nicht auf ein auf das RCC begrenztes Phänomen.

In der Multivariatanalyse zeigte sich, dass die Anwendung von Paracetamol ein unabhängiger negativer Prädiktor für das progressionsfreie Überleben (PFS) und das OS nach einer Immuntherapie ist. Mechanistisch konnte ein T-Zell-inhibitorischer Effekt von Acetaminophen in Maus- und Humanzellexperimenten nachgewiesen werden. Prof. Stenner mahnte aufgrund dessen zu erhöhter Vorsicht bei der Komedikation: «Man muss wohl neben bereits bekannten Kofaktoren bei der Immuntherapie, wie der Mikrobiota und Antibiotika, auch Schmerzmittel berücksichtigen.»

Blasenkrebs: IL-15-Pathwayaktivierung als Immuntherapie-Kandidat

Eine weitere interessante Arbeit beschäftigte sich mit dem lokalisierten Blasenkarzinom, «eine Entität, bei der BCG in der Erstlinie den aktuellen Standard darstellt.» Kommt es nach BCG zu einem Rezidiv, hat bereits die KEYNOTE-057-Studie gezeigt, dass Pembrolizumab erneut Erfolge erzielen kann.

Am ASCO-Kongress stellten amerikanische Forscher die Phase-II-Studie QUILT 3032 vor, die ein neues Immuntherapie-Prinzip testete (3). Dabei wird zusätzlich zu BCG mit N-803, einem Fusionsprotein des Interleukin (IL)-15, behandelt, das für seine T-Zell-aktivierende Funktion bekannt ist (statt mit den Checkpoint-Inhibitoren, die eine bereits erschöpfte T-Zell-Aktivität reaktivieren). Insgesamt schloss die QUILT-Studie 160 Probanden mit CIS- und papillärem, nichtmuskelinvasivem Blasenkarzinomen und BCG-Refraktärität/Nichtresponsivität ein.

Die Studie erzielte mit dem IL-15-Rezeptoragonisten mit 71 Prozent (95%-KI: 59,6–80,3) eine relativ hohe Rate an kompletten Remissionen; auch im Vergleich mit den Daten aus der KEYNOTE-057-Studie, in der Pembrolizumab eine CR-Rate von 41 Prozent erreicht hatte (95%-KI: 31–52). Aufgrund der Natur von N-803 als reine Instillationstherapie war die Verträglichkeit der neuen Substanz sehr gut. «Ausserhalb der Blase wurden keine Nebenwirkungen beobachtet und kein einziger Patient in der QUILT-Studie benötigte Steroide – in KEYNOTE-057 waren das mit Pembrolizumab immerhin 7 Prozent.»

Prof. Stenner sieht in N-803 daher eine potenziell interessante Alternative zu Pembrolizumab – je nach Outcome der Phase-III-Studie.

Urothelkarzinom

Zweifelhafter Nutzen von zusätzlicher neoadjuvanter Immuntherapie

Bei der neoadjuvanten Therapie des Urothelkarzinoms stellt für Prof. Stenner derzeit trotz anderer Optionen die Chemotherapie den Standard dar: «Zumindest mit Gemcitabin/Cisplatin (G/C) sollte behandelt werden, besser mit der Kombination aus dose-dense Methotrexat, Vinblastin, Doxorubicin, and Cisplatin (ddMVAC).»

Am ASCO-Kongress wurde von PD Dr. Richard Cathomas, KSGR, Chur, die Phase-II-Studie SAKK 06/17 vorgestellt, bei der 60 Patienten unmittelbar vor der OP mit einer Kombination aus Durvalumab und G/C behandelt wurden (4). Danach schloss sich noch ein adjuvanter Behandlungsteil an.

In der Studie erreichten 76,1 Prozent der Probanden ein Zweijahresereignis-freies Überleben (EFS). Die Rate der pathologischen kompletten Remissionen (pCR) lag bei 34 Prozent mit einer pathologischen Remission mit T0/T1/Tis von 60 Prozent, also sehr vergleichbar mit anderen Studien zu Immuntherapeutika.

Für Prof. Stenner ändern die Ergebnisse derzeit nichts an der grundsätzlichen Empfehlung zur neoadjuvanten Chemotherapie. «Nimmt man die Immuntherapie dazu, tut sich gar nicht so viel mehr und bei der alleinigen Immuntherapie hängt es davon ab, was gegeben wird.» Die vielleicht bisher vielversprechendste neoadjuvante Immuntherapie einer Kombination aus Nivolumab und Ipilimumab wird aktuell in der NABUCCO-Studie untersucht. Diese zeigte in der Primäranalyse ein RFS von 92 Prozent. «Hier dürfen wir auf weitere Daten gespannt sein», so der Referent.

VEGFR-Inhibition abgehakt

Unter den Hoffnungsträgern bei der Behandlung von Blasenkrebs waren in der Vergangenheit auch immer wieder zielgerichtete Therapien gegen den Vascular Endothelial Growth Factor Receptor (VEGFR) – bislang hat aber keine der Studien zu einer Zulassung geführt. Aktuell besteht der Standard beim Urothelkarzinom aus einer Chemotherapie, gefolgt von einer Switch Maintenance mit Avelumab.

Die am ASCO vorgestellte COSMIC-021-Studie untersuchte nun eine Kombination des Multityrosinkinase-Inhibitors Cabozantinib, der neben dem VEGF-Rezeptor-Signaling auch andere Kinasen wie Axl inhibiert, sowie Atezolizumab (5). «Obwohl ein gewisses Ansprechen beobachtet wurde, waren die PFS-Daten nicht vielversprechend genug, dass die Kombination weiter untersucht werden sollte. VEGF-Inhibitoren sind in dieser Entität jetzt definitiv abgehakt.»

Prostatakarzinom

ENZAMET: Wann kann man Chemo-frei therapieren?

«Beim metastatischen hormonsensitiven Prostatakarzinom wird zunehmend das ‹All-In›-Prinzip praktiziert, bei dem eine Chemotherapie mit einer Androgendeprivationstherapie (ADT) und einer antiandrogenen Behandlung kombiniert wird», beschreibt Prof. Stenner das aktuell übliche Vorgehen. Das stellten die 2019 veröffentlichten ersten Daten der ENZAMET-Studie etwas in Frage, in der der Androgenrezeptor-Signaling-Inhibitor (ARSi) Enzalutamid in Kombination mit ADT bei manchen Subgruppen auch ohne Docetaxel ausreichend wirksam war. «Sicher ist, dass ein geringes Tumorvolumen und eine metachrone Metastasierung gute prognostische Faktoren bei einem Chemotherapie-freien Regime sind.» Bei schlechteren prognostischen Ausgangsbedingungen erscheint die Dreifachkombination aus ADT, Docetaxel und einer antiandrogenen Therapie aber sinnvoll: Das zeigen die Studien PEACE-1, die die Kombination ADT + Docetaxel und das Antiandrogen Abirateron testete, sowie die ARASENS-Studie mit einer Kombination aus ADT, Docetaxel und dem ARSi Darolutamid.

Am ASCO-Kongress wurde nun ein Update der OS-Daten der ­ENZAMET-Studie vorgestellt, die Enzalutamid zusätzlich zum Standard of Care (SOC) aus ADT und – wenn aus Sicht des behandelnden Arztes nötig – Docetaxel gegen ein nichtsteroidales Antiandrogen (NSAA) wie Bicalutamid plus dem SOC testete (6).

Zusammengenommen verbesserte Enzalutamid in ENZAMET das OS in der Gesamtpopulation. In den explorativen Subgruppen hatten Patienten mit low volume Tumoren den grössten Nutzen – auch ohne Docetaxel. Aber auch Patienten mit high volume mHSPC und Docetaxelbedarf profitierten – wenn auch in etwas geringerem Ausmass – von Enzalutamid. «In Subgruppen mit besonders schlechter Prognose (synchrone Metastasierung, hohes Tumorvolumen) war der Vorteil eine Dreifachtherapie besonders gross – diese Patienten sollte man für die intensivierte Therapie mit Docetaxel vorsehen. Anderen Subgruppen kann man das Docetaxel dagegen wohl ersparen und sie nur mit ADT plus einem ARSi behandeln.»

Referenzen