Medical Tribune
12. Apr. 2022Hype um die Unverträglichkeit

Histaminintoleranz oder nicht?

Immer mehr Menschen machen eine Unverträglichkeit gegenüber Histamin in der Nahrung für allerlei gesundheitliche Probleme verantwortlich. Mit einer strengen Diät schränken sie sich aber möglicherweise unnötig ein. Eine aktualisierte Leitlinie von deutschen, Schweizer und österreichischen Fachgesellschaften gibt Empfehlungen zu Dia­gnostik und Therapie des umstrittenen Krankheitsbildes (1).

Oft verursacht nicht das Histamin im Käse die Bauchschmerzen
pexels/Pixabay

Histamin ist ein biogenes Amin, das in viele physiologische Prozesse eingebunden ist. Vier verschiedene Rezeptoren vermitteln vor allem lokale Effekte:

  1. Über den H1-Rezeptor bewirkt Histamin eine Vasodilatation, Bronchokonstriktion und Juckreiz
  2. über den H2-Rezeptor wird die Magensäureproduktion reguliert
  3. H3-Rezeptoren regulieren den Schlaf-Wach-Rhythmus, und
  4. H4-Rezeptoren beeinflussen das Immunsystem.

Der Histamin-«Lebenszyklus»

Endogenes Histamin wird vor allem in Mastzellen und Basophilen produziert und gespeichert. Es ist einer der Hauptmediatoren, die von diesen Immunzellen nach IgE-Bindung freigesetzt werden. Der Abbau von Histamin erfolgt durch die vorwiegend intrazelluläre Histamin-N-Methyltransferase (HNMT) und die in Darm und Nieren produzierte Diaminoxidase (DAO).

Aufgrund des Vorhandenseins von Histaminrezeptoren in zahlreichen Organsystemen kann Histamin vielfältige Beschwerden hervorrufen. Dazu gehören die klassischen Symptome wie Flush, Juckreiz und Erythem – aber auch gastrointestinale Zeichen wie Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Bauchschmerzen, respiratorische Beschwerden und in seltenen Fällen auch Blutdruckabfall, Schwindel und Tachykardie. Bei all diesen Symptomen ist eine Vielzahl möglicher Differenzialdiagnosen zu beachten (siehe Kasten).

Was kann noch hinter den Symptomen stecken?

SymptomeDifferenzialdiagnosen
FlushNeuroendokrine Tumoren, Mastozytose
JuckreizUrtikaria, Pruritus sine materia, Prurigo
Rhinitisallergische und nichtallergische Rhinitis
Dyspnoe, Stimmstörungenallergisches und nichtallergisches Asthma
Übelkeit, ErbrechenMagen- oder Duodenalulzera
Diarrhö, Abdominalschmerzenchronisch-entzündliche Darm­erkrankungen, Laktose- oder Fruktoseintoleranz, Zöliakie, Mastozytose
Blutdruckabfall, Schwindel, TachykardieAnaphylaxie, Mastozytose

Viele Laboranalysen ohne diagnostischen Wert

Nach wie vor ist unklar, ob manche Menschen auch schon auf kleinere Mengen Histamin in der Nahrung mit Beschwerden reagieren. Erklären liesse sich das unter anderem mit einer verminderten Produktion des Abbauenzyms DAO. Ein tatsächlicher Zusammenhang zwischen der Hist­amin-Aufnahme über die Nahrung und einem gestörten Histamin-Abbau durch einen DAO-Mangel konnte aber nie belegt werden. Eine Bestimmung der DAO-Aktivität im Serum hat daher keinen diagnostischen Wert. Und auch die Effektivität einer Substitution ist nicht belegt und wird daher auch ausdrücklich nicht empfohlen.

Auch der diagnostische Wert einer Histamin-Bestimmung im Stuhl muss nach bisherigem Wissen angezweifelt werden, da Hist­amin auch durch den Metabolismus der Darmbakterien anfällt. Umstritten sind auch der Nachweis von Histamin im Serum oder des Abbauproduktes Methylhistamin im Urin. Unter dem Strich gibt es also keinen objektiven messbaren Parameter, der die Diagnose einer Hist­amin-Unverträglichkeit unterstützen könnte.

Ernährungstagebuch als diagnostisches und therapeutisches Tool

Ein wichtiges Ziel der Diagnose und Therapie ist die Vermeidung strikter Diäten. Denn diese können Mangelernährung und eine eingeschränkte Lebensqualität zur Folge haben.

Wie soll man dabei aber praktisch vorgehen? Nach Ausschluss möglicher Differenzialdiagnosen sollten die Patienten über sechs bis acht Wochen ein Tagebuch führen, in dem die verzehrten Nahrungsmittel und Symptome aufgeführt sind. Während dieser Zeit wird eine dreiphasige Diät empfohlen.

  • Phase 1 (10–14 Tage): Gemüsebasierte Mischkost mit weitgehender Vermeidung biogener Amine (insbesondere Histamin). Unter dieser Diät sollten die Beschwerden eigentlich zurückgehen.
  • Phase 2 (bis zu sechs Wochen): Zielgerichtete Wiedereinführung «verdächtiger» Nahrungsmittel, um die individuelle Histamin-Toleranz unter verschiedenen Bedingungen zu ermitteln.
  • Phase 3 (dauerhaft): Etablierung individueller Ernährungsempfehlungen, die dann dauerhaft befolgt werden sollten.

Führt dieses Vorgehen zu keinerlei Besserung, müssen noch einmal andere Ursachen für die Symptome in Betracht gezogen und abgeklärt werden.

Histamin zuführen oder entfernen

Auch eine orale Histamin-Provokation zum Nachweis der Unverträglichkeit ist möglich. Diese birgt aber viele Tücken. Wenn man sich dafür entscheidet, empfiehlt sich eine langsame Dosistitration bis zum Auftreten von Symptomen (0,5 mg/kg, nach zwei Stunden 0,75 mg/kg, und nach weiteren zwei Stunden 1,0 mg/kg). Die Provokation sollte nur unter medizinischer Aufsicht erfolgen und man muss im Hinterkopf behalten, dass es zahlreiche externe Einflussfaktoren gibt (z.B. ASS-Einnahme, Alkoholkonsum, Hormonstatus, individuelles Darmmikrobiom etc.). Die Dosis, die zu Symptomen geführt hat, sollte dann noch einmal gegen Placebo getestet werden. Nur so lässt sich ausschliessen, dass nur der Zufall am Werk war.

Eine andere Möglichkeit wäre es, den Patienten für eine gewisse Zeit Antihistaminika zu verordnen und zu schauen, ob sich die Beschwerden darunter bessern. Auch zur symptomatischen Therapie nach Aufnahme grösserer Histamin-Mengen können Antihistaminika eingesetzt werden. Die Wahl der Substanzen hängt von der vorherrschenden Symptomatik ab. H1-Blocker sind z.B. bei Flush geeignet, H2-Blocker bei Übelkeit und Erbrechen.

Referenz