Medical Tribune
4. Nov. 2021Die Nase vorn

Innovative Therapien bei Riechstörungen in Sicht

Düfte lösen Emotionen, Erinnerungen oder Erwartungen aus. Fällt der Geruchssinn aus, geht ein Stück Lebensfreude verloren und es kann gefährlich werden. Zur Behebung von Riechstörungen gibt es interessante Behandlungsansätze.

Nase eines Menschen
iStock/RusN

Rund jeder Zwanzigste verliert seinen Geruchssinn. Ein Schleimhauttransplantat könnte diesen wiederherstellen.

Etwa 20 % der Allgemeinbevölkerung haben eine Riechminderung, bei etwa 5 % liegt eine Anosmie vor. Wer Gerüche kaum oder gar nicht mehr wahrnimmt, fühlt sich oft in seiner Lebensqualität stark beschnitten, viele Betroffene werden depressiv, so Dr. Patrick Dörig von der Universitäts-HNO-Klinik Basel und Kollegen. Die meisten Patienten wünschen sich eine rasche und komplette Wiederherstellung ihres Riechvermögens.

Um den Betroffenen zu helfen, wurden und werden sehr unterschiedliche Verfahren angewandt. Die Palette reicht vom Riechtraining über Akupunktur und verschiedenen medikamentösen Ansätzen bis hin zur transkraniellen Magnetstimulation. Handelt es sich um ausgeprägte qualitative Riechstörungen, wird unter Umständen die Riechschleimhaut operativ entfernt. Letztlich sind die Therapieerfolge trotz aller Bemühungen aber bisher eher bescheiden. Daher arbeiten Wissenschaftler derzeit an völlig neuen Optionen, um Patienten mit eingeschränktem oder verloren gegangenem Geruchssinn wieder zu einem Dufterlebnis zu verhelfen. Zukunftsträchtig erscheinen die elektrische Stimulation am olfaktorischen System, die Stammzelltherapie und die Transplantation von Riechschleimhaut.

Anosmie im Rahmen von Covid-19

Eine Beeinträchtigung der Riechfunktion tritt bei Patienten mit Covid-19 meist um den vierten Erkrankungstag herum auf und gilt als Frühsymptom. Oft bessern sich die Symptome innerhalb von zwei Wochen. Experten nehmen an, dass diese Störungen bei Covid-19 durch eine Schädigung des Riechepithels oder durch eine neuronale Affektion bedingt sind.

Das olfaktorische System mit Elektroden stimulieren

Die elektrische Stimulation von Sinnesorganen bzw. -nerven kann zu Empfindungen führen, die für die Betroffenen bei der Orientierung im Alltag eine grosse Hilfe sind. Als Beispiele seien Indikationen wie hochgradige Schwerhörigheit oder Blindheit aufgrund von degenerativen Netzhauterkrankungen genannt. Was in diesen Fällen durch Cochlea- bzw. Retina-Implantate erreicht werden kann, bietet zukünftig – übertragen auf die Nase – möglicherweise auch für Patienten mit Riechstörungen eine Perspektive. Neben Untersuchungen an Tiermodellen existieren zu diesem Ansatz mittlerweile auch Studien mit Probanden. Über Elektroden wurden dabei verschiedene Bereiche des olfaktorischen Systems stimuliert, z.B. Riechschleimhaut, Bulbus olfactorius, Kortex oder andere Hirnareale.

Die Autoren sehen durchaus Potenzial für die «bioelektrische Nase»: Insbesondere die elektrische Stimulation des Bulbus olfactorius stelle möglicherweise eine Therapieoption bei Anosmie dar, wenn – z.B. aufgrund irreversibler Schäden der olfaktorischen Rezeptorneurone – Geruchsinformationen nicht mehr an den Bulbus weitergeleitet werden können. Allerdings dürfte es durchaus anspruchsvoll sein, ein Implantat zu entwickeln, das eine Vielzahl von Gerüchen unterscheiden und duftspezifische elektrische Signale weiterleiten kann. Hinzu kommt, dass die bisher am Menschen durchgeführten elektrischen Stimulationen teilweise operative Eingriffe erforderten und mit entsprechenden Risiken verbunden waren.

Ursachen von Riechstörungen

Die häufigsten Auslöser sind:

  • fortgeschrittenes Alter
  • Infekte
  • chronische sinunasale Erkrankungen
  • neurodegenerative Erkrankungen
  • Schädel-Hirn-Trauma
  • Je nach Genese kann der Verlust des Geruchsvermögens vorübergehend oder dauerhaft sein.

Stammzelltransplantation: Ergebnisse lassen hoffen

Weniger invasiv wäre hingegen der Einsatz von Stammzellen, da diese relativ leicht nasal injiziert werden können. Eine Stammzelltransplantation bietet sich bei der Behandlung von Geruchsminderungen an, da die Riechschleimhaut ein enormes regeneratives Potenzial hat und hier eine Neurogenese auch noch im Erwachsenenalter stattfinden kann. Zudem treten Stammzellen in der gesunden Schleimhaut ohnehin auf. Allerdings wurden entsprechende Behandlungsversuche bisher nur an Mäusen und Ratten unternommen. Die Ergebnisse lassen zwar hoffen – aber für den Einsatz beim Menschen sind Sicherheitsaspekte zu bedenken, vor allem hinsichtlich des Entartungsrisikos.

Abgesehen von der Stammzelltherapie haben Forscher auch die Transplantation von Riechschleimhaut im Blick. Dieses Verfahren wurde bisher ebenfalls nur im Tiermodell untersucht. Die Studien zeigen, dass olfaktorische Mukosa in verschiedene Areale des Kortex, in den vierten Ventrikel und in den Bulbus olfactorius transplantiert werden kann. Ob diese Transplantate das Riechvermögen tatsächlich wiederherstellen, muss in weiteren Untersuchungen geklärt werden.

Dörig P et al. HNO 2021; 69: 623–632.