Medical Tribune
15. Juni 2020Kognitive Einschränkungen durch Dysglykämien

Gehirn bedankt sich für Stabilität

Nicht nur bei Kindern mit Typ-1-Diabetes, auch bei Älteren mit Typ-2-Diabetes lassen sich Einschränkungen der Hirnfunktion feststellen. Aus Langzeitdaten wird deutlich, dass sowohl Hyper- als auch Hypoglykämien Risiken bergen.

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Aus Studien ist bekannt, dass Kinder mit Typ-1-Diabetes einen niedrigeren IQ aufweisen als Stoffwechselgesunde. Dazu kommen Defizite in den Exekutivfunktionen, also beim episodischen und räumlichen Arbeitsgedächtnis sowie der Aufmerksamkeit. Inzwischen hat sich herauskristallisiert, dass die anhaltende Hyperglyk­ämie offenbar besonders grosse Bedeutung hat, so Professor Dr. Nelly Mauras, Department of Pediatrics am College of Medicine der Universität Florida, Jacksonville. Der Glukoseüberschuss ist mit strukturellen Hirnveränderungen sowie kognitiven Defiziten bei Patienten assoziiert, die schon als Kind erkrankten. So geht ein lang andauernd erhöhtes HbA1c mit einem langsameren Wachstum der grauen Substanz einher.

Andererseits wird eine vermehrte Aktivität des Arbeitsgedächtnisses bei den Betroffenen beobachtet. Sie hilft teilweise, Defizite in Kognition und Verhalten zu kompensieren. Ob sich diese Entwicklungen durch eine rigidere Blutzuckerkontrolle verhindern oder gar umkehren lassen, ist derzeit Gegenstand intensiver Forschung, so Prof. Mauras.

Situation bei spät Erkrankten lange unklar

Beim Typ-2-Diabetes bestehen klare Zusammenhänge mit nachlassenden Denkleistungen. Das Risiko für eine spätere Demenz liegt für Betroffene im mittleren Alter etwa um das 1,5- bis 2-Fache höher, erklärte Professor Dr. Elizabeth Selvin, Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health, Baltimore. Eine Langzeituntersuchung über 20 Jahre ergab, dass die neurologischen Veränderungen schon vor Manifestation des Diabetes einsetzen könnten und unterstrich die Bedeutung der glykämischen Kontrolle. Je höher das HbA1c zu Beginn der Studie war, umso grösser fiel der kognitive Verlust aus, so die Referentin.

Unklar blieb lange, wie es um Menschen bestellt ist, die erst spät erkranken: Untersuchungen dazu schlossen nur wenige Teilnehmer ein und liefen über kurze Zeit. Seit 2011 wurden 6543 Teilnehmer der seit 1987 laufenden ARIC-Langzeitstudie, nun im Alter zwischen 66 und 90 Jahren, unter die Lupe genommen und über fünf Jahre beobachtet. Rund die Hälfte von ihnen (n = 3318) hatte keinen Diabetes, bei 1276 der Erkrankten lag das HbA1c unter 7 %, bei 459 darüber.

Die Hazard Ratio (HR) für eine Demenz betrug im Beobachtungszeitraum für die Diabetespatienten im Vergleich zu den Gesunden insgesamt 1,08, die für milde kognitive Beeinträchtigungen 1,23. Eine schlechte HbA1c-Einstellung erhöhte das Risiko deutlich (HR 1,16 bzw. 1,73). Zudem spielte die Krankheitsdauer eine wichtige Rolle: Wer länger als fünf Jahre unter Dia­betes litt, musste gegenüber kürzer Erkrankten viel eher mit den neurologischen Ausfällen rechnen (HR 1,91 bzw. 1,58). Eine strengere glyk­ämische Kontrolle lohnt also auch noch bei Älteren, so das Fazit von Prof. Selvin.

Doch auch akute Hypoglykämien können kurzfristig zu kognitiven Defiziten führen. Schaden schwere Unterzuckerungen aber auch auf lange Sicht? Diese Frage lässt sich mit einer früheren Analyse der ARIC-Studie klar mit «ja» beantworten. Das Risiko stieg um das 2,5-Fache (alters-/geschlechtsadjustierte HR 2,55). Allerdings gab die Referentin zu bedenken, dass man dabei bidirektionale Zusammenhänge nicht ausschliessen könne. In jedem Fall sollte der kognitive Status bei Älteren erhoben werden, insbesondere wenn sie in der Vergangenheit schwere Hypoglykämien hatten.

13th International Conference on Advanced Technologies & Treatments for Diabetes