Medical Tribune
13. Mai 2020Pädiatrie

Typ-1-Diabetes: Nach der Diagnose keine Zeit verlieren

Die Inzidenz des Typ-1-Diabetes ist in den letzten Jahren gestiegen. Vor allem bei Kleinkindern sollte rasch eine Diagnose gestellt werden, da sich ihr Allgemeinzustand sehr schnell verschlechtern kann. Professor Dr. Daniel Konrad, Abteilung Endokrinologie und Diabetologie am Universitäts-Kinderspital Zürich, erklärte am Forum für medizinische Fortbildung Pädiatrie Update Refresher, worauf bei der Diagnostik und Therapie zu achten ist.

Das Gerät zur Messung der Zuckermenge im Blut.
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Bei Kindern liegt auch heute noch meist der autoimmunbedingte Typ-1-Diabetes vor. «Wir sehen kaum Kinder mit einem Typ-2-Diabetes», erklärte Prof. Konrad. Hier spielt auch die Ethnie eine Rolle. Hispanische oder arabische Kinder entwickeln bei Adipositas viel schneller einen Diabetes Typ 2 als weisse Kaukasier.

Der zweithäufigste Diabetes im Kindesalter ist der monogenetisch vererbte MODY (Maturity Onset Diabetes of the Young), von dem mehr als 13 verschiedene Typen bekannt sind. Bei Kindern ohne nachweisbare Autoantikörper sollte man daran denken.

Die Inzidenz des Typ-1-Diabetes steigt um 3–5 % pro Jahr. In der Schweiz betrug sie 1990 8/100 000 und 2019 15/100 000. Hierzulande diagnostiziert man jedes Jahr bei ca. 220 Kindern und Jugendlichen bis 15 Jahre einen Typ-1-Diabetes. Es ist die einzige Autoimmunerkrankung, bei der Knaben etwas häufiger als Mädchen betroffen sind, erläuterte der Referent. Die Erkrankung kann auch im Kleinkindalter auftreten: 20–25 % aller Kinder sind bei Erstmanifestation unter vier Jahren alt.

Sekundäre Enuresis kann ein Hinweis sein

Nicht nur bei Polyurie und Polydipsie, sondern auch bei einer sekundären Enuresis sollte man an einen Typ-1-Diabetes denken. Weitere Symptome sind Verschlechterung des Allgemeinzustands, ungewollte Gewichtsabnahme sowie Symptome der Ketoazidose wie Bauchschmerzen, Erbrechen, Kussmaul‘sche Atmung oder Acetongeruch.
Prof. Konrad betonte, dass bei einem Kleinkind Polyurie und Polydipsie nicht einfach zu diagnostizieren sind. Die Anamnese ist meist kurz und es kommt zu rascher Verschlechterung des Allgemeinzustands. Ein wichtiges Zeichen ist eine Windel voller Urin trotz Dehydratationszeichen oder eine Trink- und Essgier trotz Krankheitszustand. «Wir sehen auch häufiger eine Ketoazidose als Erstmanifestation», so der Experte.

Bei Verdacht auf einen Diabetes reicht eigentlich ein Urinstix, so Prof. Konrad. Eine Glukosurie ist bei typischer Anamnese diagnostisch. Meist ist auch eine Acetonurie vorhanden und der Blutzucker ist kapillär erhöht. Falls sich der Verdacht bestätigt, sollte am gleichen Tag eine Zuweisung auf die Notfallstation eines Zentrums erfolgen. Gerade bei Kleinkindern kann sich der Allgemeinzustand dramatisch schnell verschlechtern (s. Kasuistik im Kasten). Die Langzeit-Therapie und -Betreuung beim Kind mit Typ-1-Diabetes beginnt bereits in der Notfallstation

Möglichst rasch dem Spezialisten vorstellen

Haben Kinder bei Spitalaufnahme einen pH< 7,10, kommen sie immer auf die IPS und erhalten Insulin i.v. Bei einem pH > 7,20 geht es auf die normale Station und bei Werten dazwischen hängt das weitere Vorgehen vom Allgemeinzustand ab. In Zürich beginnen die Ärzte meist sofort mit einer subkutanen Insulin-Therapie: bei Kindern über 10 Jahre mit einem Basis-Bolus-Schema, unter 10 Jahren evtl. mit einem Zwei-Spritzen-Schema.

«Für uns ist es wichtig, dass wir als Spezialisten die Kinder möglichst rasch sehen», so der Experte. Das Erstgespräch findet auf der Notfallstation durch den Diabetologen statt, der kurz über das Krankheitsbild orientiert und die Eltern adäquat informiert, dass es keine Heilung gibt, aber die Kinder eine gute Lebensqualität haben können. Die Eltern erinnern sich sehr gut, was in dieser Zeit gesagt worden ist. Es ist daher wichtig, ihnen keine falschen Hoffnungen zu machen, betonte der Referent. «Bei Kindern ab 8 oder 10 Jahren versuchen wir, die erste Insulin-Spritze direkt vom Kind im Notfall setzen zu lassen», so der Experte. Die Kinder werden für etwa sieben Tage hospitalisiert und intensiv geschult. Die Nachkontrollen finden in der Diabetes-Sprechstunde statt.

Für die Eltern ist die Diagnose meist ein Schock. Sie haben Angst vor den negativen Kurzzeit- und Langzeitfolgen. In den ersten sechs Monaten nach der Diagnose beobachtet man eine erhöhte Rate psychischer Symptome – vor allem bei den Müttern.

Gute metabolische Einstellung als Ziel

Oberstes Therapieziel ist eine gute metabolische Einstellung zur Prävention von Folgeerkrankungen. Der HbA1c-Wert sollte nach den Empfehlungen der International Society for Pediatric and Adolescent Diabetes < 7,5 % betragen. Akute Stoffwechselentgleisungen – Hypoglykämie und Ketoazidose – sind zu vermeiden. Wichtig ist es, eine normale psychosoziale Entwicklung zu erreichen, damit die Kinder nicht zu Aussenseitern werden
Bei Kleinkindern wird am Kinderspital häufig noch das altbewährte Zwei-Spritzen-Schema angewendet, sofern dies der Tagesablauf zulässt. Relativ schnell erfolgt dann ein

Wechsel auf eine funktionelle Insulin-Therapie mit einem Basis-Insulin Detemir (Levemir®) und einem kurzwirksamen Insulin zu den Mahlzeiten.
Mehr und mehr kommen Insulin-Pumpen zum Einsatz. In den letzten Jahren ebenfalls populär geworden ist die kontinuierliche Glukose-Messung bzw. den Blutzucker zu scannen. Die neueste Entwicklung ist die sensorunterstützte Pumpentherapie. Die Behandlung muss individuell auf das Kind abgestimmt werden. Wichtig ist dabei eine gute Instruktion.

Zum Schluss ging Prof. Konrad noch auf mögliche Therapien der Zukunft ein: Untersucht werden derzeit z.B. der Betazell-Ersatz etwa mit pluripotenten embryonalen Stammzellen und die Immuntherapie. Bei Letzterer sollen Antikörper Zellen unterdrücken, die für die Zerstörung der Betazellen verantwortlich sind. Erste Studienergebnisse bei noch nicht erkrankten Risikopatienten mit Teplizumab, einem Anti-CD3-Antikörper, sind vielversprechend.

Kasuistik

Prof. Konrad berichtete über ein 21 Monate altes Mädchen mit seit vier Wochen bestehender Polydipsie und Polyurie sowie mit Husten und Ohrenschmerzen seit einer Woche. Fieber bestand nicht. Die Mutter suchte den Hausarzt auf, der wegen der Verschlechterung des Allgemeinzustands ein Antibiotikum verschrieb. Ein Tag vor Hospitalisation kam es zu Atemnot und das Kind begann schwarz-blutig zu erbrechen. Bei der Selbstzuweisung auf die Notfallstation eines Bezirksspitals war das Kind somnolent, der pH-Wert betrug 6,9, der Blutzucker 27,8 mmol/l. Im Spital musste man schliesslich via ossäre Leitung Flüssigkeit zuführen und das Kind wurde mit der Rega in ein anderes Spital verlegt. Das Mädchen ist heute 11 Jahre alt und es geht ihm gut.