Medical Tribune
17. Apr. 2015

Kreuzottergift nicht aussaugen

Eine 53-jährge Frau wurde mit einer schmerzhaften Schwellung des Vorfusses aufgenommen und berichtete glaubhaft von einem Schlangenbiss

Beim Fahrrad fahren auf Hiddensee war es passiert: Die Frau spürte einen Biss in den Fuss und sah ein typisches gedoppeltes Bissmal. Die Schlange verschwand zwar schnell wieder im Gehölz, die Patientin erkannte aber noch ein schwarz-gelbes Zickzackband auf dem Rücken. Ein herbeigerufener Notarzt ini­tiierte die Primärversorgung und liess das Schlangenopfer mit einem Rettungshubschrauber zum Universitätsklinikum Greifswald bringen.

13 Tage Antibiotika, 19 Tage Klinikaufenthalt

Als die Frau 45 Minuten nach dem Biss dort ankam, war sie wach, orientiert und kreislaufstabil. Bis auf das inzwischen geschwollene Bein stellten Dr. Sarah Bertheau vom Zentrum für Innere Medizin zuerst keine weiteren Auffälligkeiten fest.

Am zweiten stationären Tag stiegen dann aber Leukozyten, Muskelenzyme (Myoglobin, Kreatinkinase) und D-Dimere deutlich an. Da sys­temische Krankheitszeichen weiter fehlten und auch eine Beinvenenthrombose ausgeschlossen werden konnte, lautete die Diagnose nach MRT-Bestätigung “schwere Weichteilschwellung mit Rhabdomyolyse nach Kreuzotterbiss“. Die nicht nekrotisierende Fasziitis nahm in den nächsten Stunden noch weiter zu, ohne dass ein Kompartmentsyndrom auftrat.

Nur wenig Gift erreicht die Blutgefässe

Nach 13-tägiger i.v. Antibiose und 19 Tagen Klinikaufenthalt konnte die Patientin entlassen werden. Die Kreuzotter ist bei uns in Nordeuropa die einzige wild lebende Giftschlange, schreiben die Autoren. Man findet die bis zu 65 cm lang werdende Schlange vor allem an Waldrändern, in Mooren und in den Bergen. Obwohl ihr komplexes hämato- und neurotoxisches Giftgemisch eigentlich sogar wirksamer ist als das Gift der Klapperschlange, sind schwere Verläufe nach einem Biss sehr selten.

Dies liegt vor allem daran, dass die Kreuzotter ihr Gift sehr sparsam einsetzt und bei einem Biss nur 10–18 mg abgibt. Nur ein sehr geringer Teil des Giftes erreicht das Blutgefässsystem, wo systemische Wirkungen ausgelöst werden können. Am meisten macht betroffenen Patienten die zytotoxische Wirkung auf das Endothel zu schaffen, die zu Ödemen mit Hypovolämie führen kann.

Nicht abbinden und nicht aussaugen

Als Erstmassnahme sollte die betroffene Extremität unterhalb des Herzniveaus ruhiggestellt werden, wobei man Einschnürungen der anschwellenden Körperteile unbedingt vermeiden muss. Von einem Einschneiden der Bissstelle oder Aussaugen des Giftes wird dringend abgeraten. Im Verlauf müssen dann die Vitalparameter und Gerinnungswerte überwacht werden.

Da das Antiserum stark immunisierend wirkt, sollte die Gabe sehr schweren Verläufen (z.B. Übergang der Lokalreaktion auf den Körperstamm, systemische Symptome bis hin zum Schock) vorbehalten bleiben. Die Möglichkeit eines Kompartment-Syndroms der betroffenen Extremität muss immer im Hinterkopf behalten werden

Klinischer Verlauf lässt sich nicht voraussagen

Die häufigsten systemischen Wirkungen spielen sich mit abdominellen Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Diarrhöen im Magen-Darm-Trakt ab. Gefürchtet sind aber auch renale Symptome durch die Rhabdomyolyse sowie Thrombozytopenie, Anämie und Hämolyse.

In Einzelfällen wurden auch neurologische Komplikationen und myokardiale Schäden berichtet. Da keiner den Verlauf der Giftwirkung im Einzelfall voraussagen kann, ist eine engmaschige Überwachung in den ersten Tagen besonders wichtig, betonen die Autoren.

Quelle Sarah Bertheau et al., Internist 2015; 56: 189-194