Medical Tribune
11. Juni 2024Management der Krampfadern im Hoden in Diskussion

Varikozele bei Jugendlichen behandeln oder nicht behandeln?

Bei 14 bis 20 Prozent der männlichen Jugendlichen liegt eine Krampfader im Hoden vor. Dabei herrscht derzeit Uneinigkeit darüber, ob und wann diese Varikozele therapiert werden soll. Am EAU-Kongress 2024 lieferten sich zwei Expertinnen dazu eine Pro- und Contra-Diskussion.

Scrotal ultrasonography of varicocele
wikimedia/ Chee-Wai Mak, Wen-Sheng Tzeng

In der Farbdopplersonografie zeigt sich bei einer Varikozele ein vaskulärer Reflux während eines Valsalva-Manövers.

Dr. Josine Quaedeckers, Kinderurologin am Universitätsklinikum Groningen, hatte am 39. Jahreskongress der European Association of Urology (EAU) die Aufgabe, das Auditorium von der Notwendigkeit einer Therapie zu überzeugen.

Die EAU-Guideline «Sexual and Reproductive Health» empfiehlt zur Zeit eine Behandlung Erwachsener bei abnormalen Spermien-Parametern und nicht anders zu erklärender Infertilität.

Unter anderem ein kürzlich publizierter Review kommt zu dem Schluss, dass in dieser Altersgruppe unabhängig von der Methode jegliche Behandlung zu einer höheren Spermienkonzentration und besserem Schwangerschafts-Outcome führt, insbesondere bei präoperativ abnormalen Spermien-Parametern (1).

Varikozele

Bei der Krampfader (Varikozele) handelt sich um eine variköse Erweiterung des Venengeflechts in Hoden und Nebenhoden (Plexus pampiniformis). Sie ist assoziiert mit kleinen Hoden und möglicherweise veränderten Spermien-Parametern. Unter den erwachsenen Männern sind 15 bis 20 Prozent von Varikozelen betroffen, bei infertilen Männern sind es 35 bis 40 Prozent, und bei Jugendlichen 14 bis 20 Prozent.

20 Prozent der Betroffenen werden künftig Fertilitätsprobleme haben

Aber wie sieht das in jungen Jahren aus? Die pädiatrische EAU-Guideline gibt an, dass bei 70 Prozent der Betroffenen eine Grad-II- bis Grad-III-Varikozele besteht. Ausserdem sind abnormale Hormon- und Spermien-Qualität mit dem Schweregrad assoziiert. Bei 46 Prozent der Betroffenen besteht eine pathologische Histologie, die bei 20 Prozent schwer ausfällt. Demnach werden 20 Prozent der Betroffenen in der Zukunft Fertilitätsprobleme haben, so die Expertin.

Die Guideline gibt für die operative Therapie bei hypotrophen Hoden (> 2 ml bzw. 20 % weniger Volumen im Vergleich zum kontralateralen gesunden Hoden) eine starke Empfehlung. Um temporäre Asymmetrie und nicht synchrones Wachstum auszuschliessen, sollten zwei Messungen im Abstand von sechs Monaten erfolgen.

Auch bei Schmerzen (2–10 % der Varikozelen), einer Erkrankung des kontralateralen Hodens oder einer bilateralen Varikozele, sowie bei kosmetischer Beeinträchtigung und abnormalen Spermien-Parametern kann eine Behandlung in Erwägung gezogen werden. Diese Empfehlung ist schwach, da robuste Daten fehlen.

«Better safe than sorry»

Bei der Behandlung ist jedoch keine Eile gefragt, so die Referentin. Das andrologische Outcome ist nicht besser, wenn man im Kindesalter operiert. Laut einem Review mit Metaanalyse liegen die Erfolgsraten einer Therapie zwischen 85 und 100 Prozent (2).

Nach der Behandlung kommt es zu einer testikulären Volumenerhöhung, steigender Spermienkonzentration und einer deutlichen Schmerzlinderung. Die Komplikationsrate beträgt 0 bis 29 Prozent im Hinblick auf die Entwicklung einer Hydrozele. Diese Rate lässt sich mit einer lymphschonenden Operation verringern.

Studien zum Erfolg einer späteren Vaterschaft gibt es kaum. Eine neuere Untersuchung (3) kommt zum Ergebnis, dass sich das Hodenwachstum nach der Operation dem des gesunden Hodens angleicht und auch die Spermienkonzentration signifikant ansteigt. Die Komplikationsrate betrug sieben Prozent, 95 Prozent der behandelten Patienten erzielten Schmerzfreiheit im Vergleich zu 36 Prozent der Nichtoperierten. Untersucht wurde auch die Auswirkung auf eine spätere Vaterschaft, die bei den Operierten 80 Prozent, bei den Nichtoperierten 36 Prozent betrug.

«Denken Sie daran, dass die Jugendlichen, die vor Ihnen sitzen, in dem Moment nicht von Fertilitätsproblemen betroffen sind, aber vielleicht in der Zukunft», so Dr. Quaedeckers. Sie plädierte dafür, die Varikozele zu behandeln: «Better safe than sorry.»

Spontanes Hodenwachstum bei 80 Prozent

Dr. Uchenna Kennedy, Pädiatrische Urologie, Universitäts-Kinderspital Zürich, führte Argumente gegen die Behandlung der Varikozele bei Heranwachsenden an. So gibt es bei 80 Prozent der Adoleszenten ein spontanes «Catch-up»-Wachstum im mittleren Alter von 15 Jahren (4). Dies bestätigen mehrere Studien. Damit ist ihrer Meinung nach das Grössen-Argument der EAU-Guideline schwach.

Auch die Spermienanalyse ist ihrer Meinung nach kein guter diagnostischer Faktor, denn zwei Drittel der Jungen mit Tanner-Stadium 5, einer belassenen Varikozele und normalen Hodenvolumina erreichen einen normalen «Totale Motile Count» unabhängig von Schweregrad oder Alter (5).

Schmerzen sieht Dr. Kennedy ebenfalls als keine gute Indikation an, denn bei 20 Prozent der Patienten persistieren die Schmerzen nach der Varikozelektomie. Zudem entwickelt eine kleine Anzahl Patienten, die präoperativ schmerzfrei waren, erst im Anschluss an den Eingriff Schmerzen (6).

Frühere Diagnose sollte nicht zu dringenderem Eingreifen führen

Für das Management stehen neben der Beobachtung operative Verfahren wie Ligatur oder Okklusion der Vena spermatica interna oder interventionelle Massnahmen wie die angiografische Okklusion zur Verfügung.

Bevor man einen solchen Eingriff in Erwägung zieht, gab Dr. Kennedy folgendes Statement aus den EAU-Guidelines zu bedenken: «Es gibt keine Evidenz, dass eine Therapie der Varikozele im Kindesalter zu einem besseren Outcome führt als zu einem späteren Zeitpunkt und eine frühere Diagnose sollte nicht zu einem dringenderen Eingreifen führen.»

Auch die Nebenwirkungen einkalkulieren

Die Referentin betonte, dass sich die zuvor erwähnten Erfolgsraten von 85 bis 100 Prozent nur auf das Verschwinden der Varikozele bezogen und das Catch-up-Wachstum von 62 bis 100 Prozent auch durch das postoperative Ödem bedingt gewesen sein könnte. Zu beachten ist auch die Rate an Nebenwirkungen von bis zu 29 Prozent (2). Neben einer Hydrozele waren auch

  • Atrophie,
  • Infektion,
  • Epididymitis und
  • Rückfälle

zu beobachten. Das wichtigste Argument gegen die Therapie ist für Dr. Kennedy, dass es keine Kenntnisse zu den Langzeit-Outcomes Fertilität und Vaterschaft gibt.

Sie führte eine Studie (7) an, nach der die Vaterschaftsraten ohne Therapie in der Pubertät sogar leicht höher waren als mit Behandlung. Die Autoren resümieren, dass Screening und Behandlung einer Varikozele während der Pubertät die Wahrscheinlichkeit für eine spätere Vaterschaft nicht beeinflussen. Auch das haben mehrere Studien bestätigt. Ihr Fazit: «Observation is the way to go.»