Medical Tribune
28. Nov. 2012PSA testen oder nicht?

PSA-Test rettet und kostet Lebensqualität

Ein Fallbeispiel zum Prostatakrebs-Screening und neue Studiendaten zur PSA-gestützten Karzinom-Suche: Der 55-Jährige sucht Ihren Rat in einer wichtigen Frage. Bei einem seiner Onkel wurde im Alter von 75 Jahren ein Prostatakarzinom diagnostiziert, könnte es auch ihn selbst treffen?

PSA-Screening: Gemeinsam Entscheidung treffen

Dem Patienten geht es subjektiv gut, Fragen nach urologischen Beschwerden verneint er. Berichte in den Zeitungen über Sinn oder Unsinn eines PSA-Screenings, erklärt der Mann, haben ihn verwirrt. Er möchte nun eine Auskunft "vom Fachmann" darüber, ob rektale Untersuchung und Blutentnahme zur Krebsprophylaxe sinnvoll sind.

Nach Ansicht von Dr. Anthony D'Amico vom Brigham and Women's Hospital in Boston lautet die Antwort "ja". Selbstverständlich sollten sämtliche diagnostische und therapeutische Optionen im Sinne einer gemeinsamen Entscheidungsfindung mit dem Patienten diskutiert werden, betont der Kollege. Auf diese Weise lasse sich ein eindeutiger Gewinn an QALYs (quality adjusted life years) erzielen.

PSA-Screening: Auf die Lebensqualität kommt es an

Dr. Matthew Smith vom Massachusetts General Hospital Cancer Center in Boston plädiert im vorliegenden Fall gegen das PSA-Screening. Das Lebenszeitrisiko für Prostatakrebs des Mannes betrage nur etwa 3 %, ein Screening könnte zu Überdiagnose und -therapie führen. Seiner Ansicht nach reicht die Evidenz derzeit nicht aus, um Männern mit durchschnittlichem Risiko das routinemässige PSA-Screening zu empfehlen.

Die Argumentation gegen ein allgemeines Screening stützt sich unter anderem auf die Daten der europäischen ERSPC*-Studie, die, so Dr. Smith, nur eine geringe Reduktion der Prostatakrebssterblichkeit, aber keinen Einfluss der Massnahme auf die Gesamtsterblichkeit zeigte. Nach elf Jahren Follow-up ergab sich in der ERSPC-Studie eine relative Reduktion der prostatakrebs­spezifischen Mortalität um 29 %.

Inkontinenz-Gefahr durch Übertherapie

Anderen Arbeiten zufolge entdeckt man mit dem PSA-Screening aber auch zu 10 % bis 56 % Vorsteherdrüsen-Tumoren, die ohne diese Untersuchung nie zu Symptomen geführt hätten. Diese überdiagnostizierten Prostatakarzinome werden oft behandelt – mit allen drohenden Komplikationen wie Impotenz oder Inkontinenz.

Niederländische Kollegen haben nun eine Modellrechnung durchgeführt, um Nutzen und Schaden des PSA-Screenings zu ermitteln. Wenn 1000 Männer aller Altersklassen über die Lebenszeit beobachtet würden, so ergäbe sich aus einem PSA-gestützten Screening zwischen dem 55. und 69. Lebensjahr ein Minus an neun krankheitsbedingten Todesfällen (28 %), rechneten die Forscher vor.

Achtung: Übertherapie

Insgesamt 14 Männer weniger müssten sich einer Palliativtherapie unterziehen und es resultiert ein Gesamtgewinn von 73 Lebensjahren (8,4 pro vermiedenem Prostatakrebs-Todesfall). Aber: Bezüglich der qualitätsadjustierten Lebensjahre beliefe sich der Zuwachs nur auf durchschnittlich 56 Jahre, das heisst 23 % der zusätzlichen Lebenszeit werden durch verlorene Lebensqualität zunichtegemacht.

Bevor also nun Empfehlungen bezüglich des Screenigs ausgesprochen werden, sollten erst noch länger dauernde Untersuchungen sowohl zum Nutzen als auch zur Lebensqualität erfolgen, schreiben Dr. Eveline Heijnsdijk vom Erasmus Medical Center in Rotterdam und Kollegen im "New England Journal of Medicine".1

Dr. Harold Sox von der Geisel School of Medicine at Dartmouth, Hanover, hält die Studie in seinem Kommentar aber bereits für ein gutes Modell, um evidenzbasierte Leitlinien zu entwickeln,2 nachdem ERSPC und auch die amerikanische Screeningstudie (keine Mortalitätssenkung) das Problem nicht hatten lösen können.

Nicht Äpfel mit Birnen vergleichen

Die reine Nutzen-Risiko-Abwägung – "Vermeiden tödlicher Krebserkrankung" versus "Gefahr von Inkontinenz und erektiler Dysfunktion durch Übertherapie" – beinhalte einen Äpfel-mit-Birnen-Vergleich. Die Annäherung über QALYs trage der Tatsache, dass der Rat zum PSA-Screening sehr stark an die Bedürfnisse des jeweiligen Patienten angepasst werden muss, besser Rechnung. Leitlinien sollten daher ein Pro oder Contra PSA vermeiden, sondern die gemeinsame Entscheidung nach sorgfältiger Information des Patienten propagieren.

 *European Randomized Study of Screening for Prostate Cancer

Quelle: 1. E. A.M. Heijnsdijk et al., N Engl J Med 2012; 367: 595-605

            2. Harold C. Sox, a.a.O.: 669-671