Medical Tribune
22. Aug. 2016Hypochondrischer Patient

Hypochonder von ihren Ängsten befreien

"Ach hallo, da bist Du ja wieder!" – Wenn Ihr Patient es schafft, in dieser Weise aufkommende Krankheitsangst wie einen vertrauten alten Bekannten zu begrüssen, dann haben Sie ein hochgestecktes Ziel erreicht. Der Weg dahin ist nicht immer einfach. Und ganz los wird ein hypochondrischer Patient seine erhöhte Besorgnis wohl nicht. Aber er kann lernen, sie in Schach zu halten, erklärte Privatdozent Dr. Rainer Schäfert von der Klinik für Allgemeinmedizin und Psychosomatik am Universitätsklinikum Heidelberg.

Erwachsene Frau stützt ihren Kopf
iStock/valentinrussanov

Nur eine nondirektive Gesprächsführung ermöglicht es dem Patienten, sich für eine Verhaltensänderung zu entscheiden. Er soll Bedrohungsannahmen bewusst relativieren und sein quälendes, sicherheitssuchendes Verhalten abbauen. Das kognitive Umstrukturieren erfolgt dann in drei Schritten:

  • Um den Patienten da abzuholen, wo er steht, gilt es seine persönliche Krankheitstheorie zu erfragen.
  • Daran anknüpfend erweitern Sie das Spektrum der möglichen Erklärungen (s. Abb. zu Kopfschmerzen). Dies ermöglicht es dem Patienten, seine Krankheitstheorie zu überdenken und seine Ängste Schritt für Schritt loszulassen.
  • Schliesslich bieten Sie dem Patienten ein alternatives biopsychosoziales Erklärungsmodell an (z.B. anhand des vegetativen Nervensystems), um zu erreichen, dass der Patient sein Krankheitsmodell ändert. "Kann der Patient seine Beschwerden erklären, hat er signifikant weniger Angst davor."

Gedankenstopptechnik hilft beim Durchhalten

Und wie helfen Sie bei der Verhaltensänderung? "Zu versichern, dass keine gefährliche Erkrankung vorliegt, ist richtig und wichtig", so der Experte. Aber irgendwann muss der Arzt deutlich machen, dass das ständige Vergewissern (auch durch wiederholte Apparatediagnostik) nicht weiterhilft. Dann empfiehlt sich folgendes Vorgehen:

  1. Das problematische Verhalten beschreiben: "Die Untersuchung (EKG, Darmspiegelung) verschafft Ihnen nur kurzfristig Sicherheit, und deshalb kommen Sie immer wieder – und sogar immer öfter."
  2. Konsequenzen explorieren: "Sie erkaufen sich kurzfristige Erleichterung damit, dass Sie langfristig Einschränkungen und Abhängigkeit in Kauf nehmen."
  3. Eine Diskussion über die bewusste Entscheidung führen: "Das Verhalten, das sich aus Ihrer Krankheitsangst ergibt, ist ein Problem, an dem wir arbeiten können – sind Sie dazu bereit?"
  4. Ziele konkretisieren, wenn der Patient einwilligt. Ein erstes Ziel könnte sein, die Intervalle zwischen den Arztbesuchen zu strecken, z.B. nur noch einmal im Monat.
  5. Dem Patienten versichern, dass Sie für ihn da sind und ihn beim Durchhalten unterstützen. Welche Tipps fürs Durchhalten haben Sie parat?
  • Bei der Gedankenstopptechnik stellt sich der Patient jedes Mal ein Stoppschild vor, wenn er zum Arzt (oder ins Internet) will.
  • Mit der Ver­schie­­betechnik versucht der Patient, Zeit zu gewinnen und den Impuls hinauszuzögern ("Ich gehe jetzt erst mal die Blumen giessen"). 
  • Bei der Aufmerk­sam­keits­um­lenkung hilft das Scheinwerfermodell: Das Spotlight bewusst wegschwenken auf Dinge, die gut tun. Wenn sich der Patient auf seine Kraftquellen konzentriert, richtet er seine Aufmerksamkeit nach aussen.
  • "Aufschreiben statt Ausführen" lautet das Motto beim Krankheitsangst-Protokoll.
  • Sicherheit und doppelten Boden bietet last but not least ein Notfallplan, den Sie gemeinsam mit dem Patienten erarbeiten: Wenn Angst und Druck das Bedürfnis, den Arzt aufzusuchen deutlich steigern, helfen bestimmte Mittel. Das sind für den einen Entspannungsübungen, für den anderen intensive Anstrengung (Krafttrainig, Laufen, sich "körperlich mal richtig spüren"). In verschärften Notlagen kann der Patient auch eine bestimmte Person ansprechen.

Bei sehr starkem Leidensdruck helfen Psychopharmaka, z.B. Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) wie Paroxetin in höherer Dosierung. Dabei muss man den Patienten aufklären, dass eine Behandlungsdauer von 8–16 Wochen notwendig sein kann.

Haben Sie das Gefühl, den Fall alleine nicht in den Griff zu bekommen, holen Sie sich Unterstützung beim Psychosomatiker/Psychotherapeuten. Dabei sollten Sie mit dem Patienten den Teamgedanken deutlich machen, damit sich dieser nicht weggeschickt fühlt: "Wir holen uns jemanden ins Boot, aber ich bin und bleibe als Hausarzt Ihr Ansprechpartner."

Quelle: 23. Heidelberger Tag der Allgemeinmedizin