Medical Tribune
1. Juni 2024Symptome sind vielfältiger als gedacht und treten oft im Zusammenhang mit Schüben auf

Symptome des neuropsychiatrischen Lupus besser erkennen

Eine neue Studie stellt einige der vorherrschenden Annahmen über den neuropsychiatrischen Lupus auf den Kopf. So könnten derzeitig verwendete Diagnosemodelle neuropsychiatrischer Begleiterscheinungen oft übersehen. Einige Symptome wie Albträume könnten zudem möglicherweise als «Frühwarnsystem» für herannahende Schübe dienen.

Viele Patienten mit rheumatischen Erkrankungen geben an, in den Nächten vor einem Schub etwa zu träumen, dass sie fallen.
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Viele Patienten mit rheumatischen Erkrankungen geben an, in den Nächten vor einem Schub etwa zu träumen, dass sie fallen.

Die Studie INSPIRE wendete eine Kombination aus Literaturrecherchen und Befragungen von Patienten und Ärzten an.

Die Ergebnisse der Untersuchung legen nahe, dass neuropsychiatrische Symptome bei Lupus-Patienten unterdiagnostiziert sein könnten. Zudem treten etwa bestimmte depressive Symptome oder Albträume oft im Vorfeld von Krankheitsschüben auf. Diese könnten laut den Autoren dazu genutzt werden, um Lupus-Schübe frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.

Neuropsychiatrischer Lupus: Keine einfache Diagnose

Der systemische Lupus Erythematodes (SLE) ist eine komplexe Autoimmunerkrankung, die mit unterschiedlichen klinischen Symptomen einhergeht. Oft betrifft die Erkrankung mehrere Organsysteme.

Unter anderem kann der SLE dabei auch direkt Symptome verursachen, die das Gehirn und andere Bestandteile des Nervensystems betreffen. Diese werden als neuropsychiatrischer Lupus (NPSLE) bezeichnet.

Zu den bekannten Symptomen des NPSLE gehören unter anderem Kopfschmerzen, Halluzinationen, Psychosen und Schlaganfälle.

Im Gegensatz zu anderen Organbeteiligungen (etwa der Niere oder der Haut) sind die neuropsychiatrischen Symptome beim SLE aber oft schwierig zu diagnostizieren, zuzuordnen und zu behandeln. Das liegt unter anderen an fehlenden diagnostischen Tests, unklarer Klinik, subjektiven Symptomen und der Tatsache, dass Patienten oft nicht über neuropsychiatrische Symptome reden.

Warum neuropsychiatrische Symptome diagnostisch durch den Rost fallen

Die Autoren kritisieren in der Studie zudem, dass die derzeitig verwendeten Zuordnungsmodelle für den neuropsychiatrischen Lupus Symptome nur berücksichtigen, wenn sie in zeitlichem Kontext mit dem Diagnosezeitpunkt auftreten.

Passend dazu ergab ihre Literaturanalyse, dass neuropsychiatrische Symptome beim SLE und anderen rheumatischer Erkrankungen Ärzten häufig nicht auffallen. Ärzte und Patienten ordnen ihren Zusammenhang mit der Erkrankung ausserdem oft unterschiedlich ein.

Im zweiten Schritt führten die Forscher zwei Befragungen durch. In der ersten liessen sie 676 Erwachsene mit SLE (94% Frauen) und 400 Kliniker (51 % Rheumatologen, 24 % Psychiater, 13 % Neurologen) Online-Fragebögen zu 29 neuropsychiatrischen Symptomen ausfüllen. Patienten, die ein Symptom mindestens dreimal im Leben erlebt hatten, befragten sie weiter über dem Zeitpunkt des ersten Auftretens des Symptoms und der SLE-Diagnose.

Darin zeigte sich, dass die meisten neuropsychiatrischen Symptome nicht, wie vielfach angenommen, ungefähr zum Zeitpunkt der Diagnose oder dem Beginn anderer für die Erkrankung typischen Symptome (z.B: Gelenksschmerzen, Ekzeme und andere Organbeteiligungen) auftraten. Dies traf nur bei einem Fünftel bis einem Drittel der Fälle zu.

Im Gegensatz dazu sagte etwa mehr als die Hälfte der Patienten mit Halluzinationen oder Wahnvorstellungen bzw. Paranoia aus, dass diese Symptome mehr als ein Jahr nach ihren anderen SLE-Symptomen erstmals aufgetreten waren.

Depressive Symptome für Patienten manchmal Teil der Entzündung

In einer zweiten Befragung führten die Forscher Video-Interviews mit 50 Ärzten (v.a. Rheumatologen) durch, sowie mit 69 Patienten mit rheumatischen Autoimmunerkrankungen (88% Frauen, 27 Teilnehmer mit SLE). Die meisten Befragten waren in Grossbritannien und Europa beheimatet.

Sie befragten die Teilnehmer unter anderen zum Charakter der Symptome und ihrem Verlauf vor Schüben.

Einige Patienten mit depressiven Symptomen berichteten dabei, dass diese durch Zeitpunkt des Auftretens, sowie ihrer Unterschiede in Art und Intensität oft mit einer aktiven Entzündung im Zusammenhang standen. Andere waren für sie eher auf eine reaktive gedrückte Stimmung infolge der psychischen Belastung zurückzuführen. Und wieder andere standen für sie nicht im Zusammenhang mit der rheumatischen Erkrankung.

Welche Symptome für Patienten mit einem Krankheitsschub in Zusammenhang stehen

Bestimmte Symptome fielen für Patienten zudem auffällig oft mit einem Krankheitssschub zusammen. Dazu gehörte etwa eine charakteristische, plötzlich einsetzende Fatigue, die sich von anderen Arten der Erschöpfung unterschied.

Einige Patienten mit SLE und anderen rheumatischen Erkrankungen berichteten zudem, dass neuropsychiatrische Symptome für sie wie ein «Frühwarnsystem» für einen Krankheitsschub funktionierten.

Zu diesen Symptomen gehörten etwa plötzliche Stimmungsschwankungen (meist Verschlechterungen), vermehrte Albträume, ein «Gefühl der Unwirklichkeit» oder verstärkte sensorische Symptome. Unter anderem sind das Symptome, die nicht in den derzeitigen diagnostischen Leitlinien aufgeführt sind, und von den meisten Klinikern auch nicht abgefragt werden.

Wenn «Tagträume» den Schub ankündigen

Aufgrund der Befragungen gehören zu den Symptomen, die für die Forscher ein Prodromalsyndrom für einen Krankheitsschub darstellen könnten, häufig gestörter Nachtschlaf, Albträume und Halluzinationen.

Viele Patienten mit rheumatischen Erkrankungen bereits vor der Befragung einen Zusammenhang zwischen einem sich anbahnenden Krankheitsschub und gestörtem Traumschlaf bemerkt. Gekennzeichnet war dies dabei oft durch «immer lebhaftere und beunruhigendere Albträume, die in eine verzerrte Realität und Halluzinationen am Tag übergingen».

Zu häufigen Mustern in den Albträumen zählten Gewalterfahrungen, worin Patienten entweder selbst stürzen, oder erdrückt werden, Familienangehörige ermordet werden, oder Patienten selbst anderen Gewalt zufügen.

Die Autoren berichten ausserdem, dass Patienten eher bereit waren, über halluzinatorische Erfahrungen zu sprechen, wenn der Begriff «Tagtraum» verwendet wurde, um sie zu beschreiben. Patienten berichteten dabei oft darüber, «sich zwischen Schlaf und Wachsein» zu fühlen.

Neuropsychiatrische Symptome als Prodromalphase des SLE?

Weitere Untersuchungen sind laut den Autoren ausserdem erforderlich, um abzuklären, ob die neuropsychiatrischen Symptome auch eine Prodromalphase des SLE darstellen könnten. Bei der Multiplen Sklerose ist diesbereits bekannt: Bei MS-Erkrankten finden in den fünf Jahren vor der Diagnose um 50 Prozent mehr klinische Konsultationen aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung statt.

Oft nicht mit Lupus in Zusammenhang gebracht

Neuropsychiatrische Symptome rheumatischer Erkrankungen werden offenbar oft nicht identifiziert oder falsch zugeordnet. So berichteten viele Patienten, dass sie vor ihrer Diagnose der rheumatischen Autoimmunerkrankung zusätzlich fälschlicherweise eine Diagnose einer separaten psychiatrischen oder psychosomatischen Erkrankung erhalten hatten.

Schwierig ist unter anderem, dass etwa psychotische Erkrankungen und SLE üblicherweise in einem ähnlichen Lebensalter (im frühen Erwachsenenalter) erstmals auftreten.