Medical Tribune
30. März 2024Expertentipps für «schwierige Fälle»

Therapieresistente Schizophrenie: Dosiseskalation ist meist falscher Weg

Bei Patienten mit Schizophrenie sollten Antipsychotika deutlich niedriger dosiert werden, als es lange üblich war – auch bei schwer zu behandelnder Erkrankung. Auch eine antipsychotische Kombinationstherapie ist Experten zufolge nur selten sinnvoll.

Bei behandlungsresistenter Schizophrenie gilt das Motto «mehr hilft mehr» nicht.
Sascha/stock.adobe.com, generiert mit KI
Bei behandlungsresistenter Schizophrenie gilt das Motto «mehr hilft mehr» nicht.

Zwischen 35 und 60 Prozent der Patienten mit Schizophrenie sprechen nicht ausreichend auf einen ersten Behandlungsversuch an. Von den neu Erkrankten ist es sogar rund jeder vierte.

Statt von Therapieresistenz spricht Professor Dr. ­Gerhard ­Gründer vom Zentral­institut für Seelische Gesundheit in Mannheim aber lieber von schwierig zu behandelnder Schizophrenie – «um das Behandlungsergebnis nicht direkt vorwegzunehmen», wie er sagt (1).

Behandlungsresistenz vermutlich therapiebedingt

Von einer pharmakologischen Behandlungsresistenz spricht man gemäss der S3-Leitlinie von 2019 dann, wenn die folgenden Kriterien erfüllt sind:

  • Die Symptomschwere, erfasst durch Standard-Ratingskalen wie PANSS (Positive and Negative Syndrome Scale) oder BPRS (Brief Psychiatric Rating Scale), sinkt durch eine Therapie um weniger als 20 %.
  • Die Mindestbehandlungsdauer lag bei zwölf Wochen, in der Zeit wurden zwei verschiedene Anti­psychotika über jeweils mindes­tens sechs Wochen gegeben.
  • Die Therapie erfolgte mit ausreichend hohen Dosierungen (600 mg Chlorpromazin-Äquivalente) und der Patient hat mindes­tens 80 % der verordneten Dosis eingenommen.

Die Gründe für das Phänomen sind noch wenig verstanden. Man kann aber davon ausgehen, dass die Resis­tenz zumindest teilweise durch die Behandlung selbst entsteht, so Prof. Gründer: «Jede Pharmakotherapie induziert eine biologische Gegenreaktion im Gehirn.»

Darauf deuten auch Tierversuche hin, die zeigen, dass durch die Gabe etwa eines D2-Antagonisten die Zahl der D2-Rezeptoren nach oben reguliert wird. Nach einer gewissen Therapiedauer entsteht so ein neues Gleichgewicht, das weitere Behandlungsversuche erschwert. Aus diesem Grund seien Monotherapien in der niedrigsten effektiven Dosierung immer Hochdosistherapien vorzuziehen, so Prof. Gründer.

Bei Nichtansprechen können auch Pseudotherapieresistenz und Wechselwirkungen eine Rolle spielen

Bei einem Nichtansprechen sollte man immer zuerst prüfen, ob eine sogenannte Pseudotherapieresistenz vorliegt. Hervorrufen können eine solche beispielsweise

  • psychiatrische und somatische Komorbiditäten
  • der Konsum illegaler Substanzen oder
  • Umweltfaktoren (z.B. Stress)

Ein weiteres häufiges Problem ist aber auch eine geringe Adhärenz. Messungen des Serumspiegels rücken daher auch bei Patienten, die nicht auf ihre Therapie ansprechen, immer stärker in den Fokus. Neben einer unzuverlässigen Medikamenteneinnahme können aber auch weitere Faktoren wie Rauchen (bei Olanzapin und Clozapin), metabolische Besonderheiten oder Medikamenteninteraktionen zu erniedrigten Serumkonzentrationen der eingenommenen Wirkstoffe führen.

Response-Status nach zwei Wochen überprüfen

Früher ging man davon aus, dass die Wirkung von Antipsychotika verzögert eintritt und man deshalb vor einer Dosisänderung oder Umstellung mindestens sechs Wochen lang zuwarten sollte. Diese Sichtweise ist mittlerweile veraltet, stellt hingegen Professor Dr. ­Stefan ­Leucht vom Klinikum rechts der Isar in München klar. Gemäss Leitlinie sollte man den Response-Status nach zwei, spätes­tens vier Wochen unter voller Dosierung überprüfen (mit Ausnahme von Clozapin, bei dem weiterhin sechs Wochen empfohlen werden).

Die Wirkung der Medikamente tritt ohne Verzögerung ein und die grösste Verbesserung der Symptome ist sogar im Lauf der ersten Woche zu beobachten, betont Prof. Leucht. Haben sich die Symptome der Patienten nach zwei Wochen nicht wenigstens minimal verbessert (20 % in der BPRS oder PANSS), ist eine spätere Remission extrem unwahrscheinlich. «Nach den ersten vier Wochen tut sich in der Regel nur mehr wenig», so der Experte.

Keine Evidenz für Hochdosistherapie

Eine Hochdosistherapie über den Zulassungsbereich hinaus ist generell nicht leitliniengerecht. Metastudien belegen die fehlende Effektivität. Das liegt an der Hyperbel-artigen Wirkungskurve: Ist ein Plateau erreicht, rufen die Präparate keine zusätzliche Wirkung, sondern nur noch stärkere Nebenwirkungen wie extrapyramidale Symptome hervor.

Bei Anti­psychotika ist das der Fall, wenn 80 Prozent der Dopaminrezeptoren im Striatum blockiert sind. Mit Risperidon etwa erreicht man das im Mittel mit einer Dosierung von vier bis sechs Milligramm pro Tag. Bei noch nicht chronischer Schizophrenie können aber auch schon 2 mg/d eine antipsychotische Wirkung erzielen. Im Einzelfall dürfe man natürlich auch einmal höher gehen als 6 mg/d, so Prof. Leucht. Dann sollte man aber die Effektivität zügig evaluieren.

Dosisempfehlungen sind meist zu hoch

Beide Experten waren sich einig, dass die Dosierungsempfehlungen im Waschzettel der meisten Anti­psychotika zu hoch angesetzt sind. Im Normalfall genügen etwa maximal 4 mg/d Haloperidol; die therapeutische Wirkung beginnt schon bei 1 mg/d, erklärt Prof. Gründer.

Bei gesicherter therapieresistenter Schizophrenie kann leitliniengerecht ein Behandlungsversuch mit Clozapin erfolgen, das wegen seines Nebenwirkungsprofils schwierigen Fällen vorbehalten bleiben sollte. Wichtig sind in diesem Fall eine entsprechende Aufklärung und Begleituntersuchungen (v.a. Differenzialblutbild). Eine 2023 von Prof. Leuchts Arbeitsgruppe publizierte Metaanalyse ergab, dass ein Wechsel auf Olanzapin bei Therapieresistenz genauso wirksam ist. Da weniger gravierende Nebenwirkungen als bei Clozapin drohen, plädiert der Referent dafür, es zunächst mit diesem Wirkstoff zu versuchen.

Erst wenn auch Clozapin nicht anschlägt, kann gemäss der Leitlinie eine Kombinationstherapie ausprobiert werden, etwa Clozapin plus Amisulprid. Kombinationen sind Prof. Gründer zufolge aber «nur in seltenen Fällen rational» – und auch nur dann, wenn man möglichst unterschiedliche Wirkstoffe miteinander kombiniert. Erst wenn ein nichtdopaminerges Antipsychotikum auf den Markt kommt, würde sich das möglicherweise ändern.

Für die Kombination mit Valproat, die derzeit häufig eingesetzt wird, gibt es den beiden Fachleuten zufolge ebenfalls keine ausreichende Evidenz wie für die Augmentation mit Stimmungsstabilisierern. Zeigen die Patienten allerdings ausprägte Negativsymptome, kann die zusätzliche Gabe eines Antidepressivums Metaanalysen zufolge sinvoll sein.

«Shared Decision Making» weckt positive Erwartung

Die Entscheidung für eine Therapieänderung ist stets gemeinsam mit dem Patienten zu treffen. Das «Shared Decision Making» weckt Studien zufolge positive Erwartungen und stellt für sich genommen bereits einen Faktor für einen grösseren Behandlungserfolg dar.

Für die konkrete Gestaltung eines Wirkstoffwechsels gibt es verschiedene Strategien, von denen die meisten ähnlich gute Erfolge zeitigen. Nach Aussage von Prof. Leucht sollte man allerdings darauf verzichten, zuerst das alte Antipsychotikum komplett auszuschleichen und erst dann mit dem Auftitrieren des neuen zu beginnen. Durch dieses Vorgehen entsteht eine Wirkstofflücke, die Rückfälle begünstigt.

Zur Rückfallprophylaxe braucht es meist weiterhin Standarddosis

Werden in der Rückfallprophylaxe geringere Dosierungen benötigt? «Leider nicht», sagt Prof. Leucht. Am sichersten fahre man, wenn man mit einer Standarddosis weitermacht. Aber auch das sei individuell, betonte der Experte: Manche Patienten kommen bereits mit sehr niedrigen Dosierungen aus. Und jede Behandlung ist besser als keine Therapie, sofern der Patient leidet.

Generell ratsam ist bei einer Behandlungsresistenz auch der Einsatz nichtmedikamentöser Verfahren. Leitliniengerecht müssten ohnehin alle Patienten mit einer Schizophrenie eine psychosespezifische kognitive Verhaltenstherapie angeboten bekommen, erinnert Prof. Leucht. Das gelte umso mehr für therapie­resistente Patienten.

Die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) soll vor allem gegen Positivsymptome helfen. Allerdings gibt es bislang nur kleine Studien, in denen die Effekte womöglich überschätzt werden. Ähnliches gilt für die Elektrokrampftherapie. Diese kann man therapieresistenten Patienten anbieten, aufgrund der begrenzten verfügbaren Evidenz erhält sie aber in der Leitlinie nur eine B-Empfehlung