Medical Tribune
6. Sept. 2023Wechselbeziehung von Depression mit kardiovaskulären und metabolischen Erkrankungen

Das richtige Antidepressivum wählen

Die Prävalenz der Depression nimmt im Alter zu. Komorbiditäten mit kardiovaskulären Erkrankungen oder Diabetes Typ 2 sind häufig. ­Dr. Nina Schweinfurth-Keck, stellvertretende Oberärztin im Zentrum für Affektiv-, Stress- und Schlafstörungen an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel, erläutert an einem Webinar (1) von Medical Tribune die medikamentösen Behandlungsoptionen einer Depression, auch im Hinblick auf Begleiterkrankungen.

Bei der Auswahl des Antidepressivums sollten auch die Komorbiditäten bedacht werden.
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Eine ganze Reihe an körperlichen Symptomen können auf eine Depression hinweisen. Dazu zählen etwa

  • Schlafstörungen
  • gastrointestinale Störungen
  • diffuse Schmerzen
  • Schwindelgefühle
  • Muskelverspannungen
  • Libidoverlust

Damit besteht das Risiko, dass Ärzte die depressiven Symptome als rein somatisches Leiden verstehen und die Depression nicht als solche diagnostizieren.

Dr. Schweinfurth-Keck betont jedoch: «Die korrekte Diagnose und effektive Behandlung einer komorbiden Depression ist wesentlich für die Lebensqualität.» Eine wirksame Therapie kann daher allenfalls auch die Prognose der somatischen Erkrankung beeinflussen. Patienten mit akutem ischämischem oder hämorrhagischem Infarkt und Patienten mit Diabetes mellitus sollen einmal im Jahr und in kritischen Krankheitsphasen gescreent werden.

Partizipative Entscheidung und Psychoedukation

Bei einer leichten Depression kann eine aktiv abwartende Begleitung von zwei Wochen stattfinden. Bei einer mittelgradigen oder schweren Depression hingegen soll direkt eine Psychotherapie mit (oder ohne) zusätzliche Pharmakotherapie erfolgen. Wichtig ist die gemeinsame Therapie-Entscheidung mit dem Patienten, so die Expertin. Nach vier Wochen Behandlung mit einem Antidepressivum soll der Hausarzt gegebenenfalls eine Dosis­erhöhung, einen Klassenwechsel oder aber eine Kombination mit einem Antidepressivum anderer Klasse in Betracht ziehen. Die Augmentation mit Lithium oder Antipsychotika gehört dagegen eher in die Hände des Psychiaters.

Mehr als 20 verschiedene Antidepressiva verfügbar

Ist die Diagnose Depression samt Behandlungsindikation gestellt, folgt die Frage nach dem passenden Antidepressivum. In der Schweiz sind über 20 verschiedene Substanzen erhältlich. Dr. Schweinfurth-Keck empfiehlt, ein vorherig wirksames Präparat erneut einzusetzen. Bei einer ersten depressiven Episode stehen Symptomlast und ein allfälliges Suizidalitätsrisiko sowie der Patientenwunsch an oberster Stelle bei der Auswahl eines Antidepressivums.

Nebenwirkungsprofile und komorbide Erkrankungen sind ebenfalls zu beachten. Wichtig ist, die Betroffenen zu fragen, welche Begleiterscheinungen unbedingt zu vermeiden sind. Es sind vor allem Gewichtszunahme, sexuelle Dysfunktion oder befürchtete Verhaltensveränderungen, um die sich Patienten sorgen.

Die Auftitrierung auf die optimale Dosis ist klar empfohlen, jedoch steigen damit häufig auch die Nebenwirkungen und das Risiko für einen Therapieabbruch, z.B. bei Mirtazapin oder Venlafaxin. Dagegen ist etwa Vortioxetin in der Dosierung von 20 mg wirksamer als 10 mg, bei vergleichbarer Verträglichkeit.

Gewichtszunahme kann mehrere Ursachen haben

Depression und metabolisches Syndrom treten häufig zusammen auf: Etwa 25 Prozent aller Erwachsenen mit Diabetes mellitus Typ 2 leiden an einer Depression – das Risiko steigt nochmals, wenn zusätzlich eine Adipositas dazu kommt. Der Grund dafür liegt einerseits auf der Verhaltensebene: Die Krankheitsbilder können sich durch Faktoren wie Inaktivität, sozialen Rückzug, chronischen Stress und Fehlernährung wechselseitig verstärken. Forscher vermuten zudem einen Einfluss von Zytokinen, Störungen auf der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse und eine durch die Insulinresistenz gestörte Neurogenese im Neurotransmittermetabolismus.

Gewichtsveränderungen können eine Nebenwirkung von Antidepressiva oder ein Symptom einer Depression sein. Eine Gewichtszunahme kann aber auch ein Zeichen des Therapieerfolgs sein, da Patienten wieder mehr Lust am Leben und am Essen und mehr Appetit verspüren. Vor allem Trizyklika und Mirtazapin wirken sich negativ auf das Gewicht und den Lipidstatus aus, während Vortioxetin in Kurz- und Langzeitstudien keine Gewichtszunahme verursacht.
Unabhängig vom Gewicht sind mit dem Patienten frühzeitig Strategien zu erwägen, die Bewegung und Ernährung miteinbeziehen. «Adipositas ist klar assoziiert mit einem schlechteren Ansprechen auf Antidepressiva,» so die Expertin.

Antidepressivum bei kardiovaskulärer Erkrankung mit Bedacht wählen

Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen zeigen ein schlechteres Behandlungsoutcome – umgekehrt erhöht eine Depression das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis. Das erhöhte Risiko lässt sich durch eine Therapie der Depression normalisieren. Auf Trizyklika und Monoaminooxidase-Hemmer ist bei Patienten mit Herzerkrankungen in der Regel zu verzichten.

Trizyklika haben in dieser Hinsicht das schlechteste Nebenwirkungsprofil. Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SNRI) können zu einer arteriellen Hypertonie führen, serotonerge Antidepressiva interagieren mit Antikoagulanzien und bei Sertralin und Escitalopram besteht das Risiko einer QT-Zeit-Verlängerung.

Vortioxetin könnte eine gute Option für Patienten mit komorbiden kardiovaskulären Erkrankungen sein: Der Wirkstoff beeinflusste in klinischen Kurz- und Langzeitstudien die Herzfrequenz und den Blutdruck nicht und zeigte keinen relevanten Effekt auf EKG-Parameter wie die QT-Zeit. Überdies hatte Vortioxetin keinen Effekt auf die Pharmakokinetik von Gerinnungshemmern wie Acetylsalicylsäure und Vitamin-K-Antagonisten.