Medical Tribune
15. Apr. 2023Wie man eine antidepressive Behandlung zum guten Ende bringt

Antidepressiva gut absetzen

Wenn die Einnahme von Antidepressiva abrupt beendet oder die Dosis zu schnell reduziert wird, kann es innerhalb weniger Tage zum sogenannten Absetzsyndrom kommen. Darüber müssen Betroffene aufgeklärt werden.

Vor dem Absetzen von Antidepressiva sollten Patienten über das Absetzsyndrom informiert werden.
fizkes/gettyimages

Eine Therapie mit Antidepressiva irgendwann auch wieder zu beenden, ist integraler Bestandteil des Behandlungsplans. Treten dann Absetzsymp­tome auf, frustriert das Patient und Arzt oft.

Das gilt vor allem, wenn das Medikament nicht den erhofften Erfolg gebracht hat, sondern die Einnahme wegen Nebenwirkungen oder unzureichender Wirksamkeit gestoppt wurde.

Über alle Substanzgruppen hinweg

Absetzphänomene beim Abbruch der Therapie oder bei zu schneller Dosisreduktion von Antidepressiva sind für die meisten Wirkstoffgruppen beschrieben, ist auch in einem aktuellen Übersichtsartikel zu lesen. Die Symptome sind in Schweregrad und Dauer variabel und umfassen typischerweise systemische und neuropsychiatrische Zeichen:

  • grippeähnliche Beschwerden wie Kopfschmerzen, Lethargie, ­Müdigkeit, Gelenkschmerzen
  • Schlafstörungen, darunter auch intensive Träume
  • Übelkeit, mitunter mit Erbrechen
  • Reizempfindlichkeit und Wahrnehmungsstörungen
  • Übererregtheit mit Angst, ­Unruhe, Aggressivität

Die meisten Daten liegen für selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) vor, weil ältere Substanzen diesbezüglich kaum untersucht wurden. Bei Medikamenten mit kurzer Halbwertszeit wie Paroxetin kommt ein Absetzsyndrom häufiger vor als bei solchen mit langer Halbwertszeit wie Fluoxetin.

Mechanismen noch weitgehend unklar

Die physiologischen Mechanismen hinter den Absetzphänomenen sind noch weitgehend unklar. Theoretisch sollte das Problem bei den Nicht-SSRI-Antidepressiva geringer ausfallen, da durch sie keine Stimulation postsynaptischer 5-HT2A-­Rezeptoren erfolgt. Bei der anhaltenden Stimulation durch SSRI dürfte es hingegen zur Rezeptor-Downregulation kommen. Beim abrupten Absetzen der SSRI käme es dann zur kompensatorischen Hochregulation mit entsprechender Symptomatik.

Es ist anzunehmen, dass auch die sogenannte Rezeptorreserve die individuelle Vulnerabilität für die Absetzphänomene beeinflusst. Eine hohe Rezeptorreserve besteht, wenn ein Signalmolekül nur einen kleinen Anteil der Rezeptorgesamtheit aktivieren muss, um eine maximale Antwort zu erzielen. Je grösser die Reserve – also je mehr dieser Moleküle frei bleiben –, desto höher die Wirkstärke des Agonisten im Gewebe.

Theoretisch könnte dies auch die Anfälligkeit gegenüber Nebeneffekten und Absetzsymptomen bei einer serotonergen Medikation erhöhen. Insgesamt scheint mehr als die Hälfte der Patienten, die ihre Antidepressiva-Therapie beenden, ein Absetzsyndrom zu entwickeln. Manchmal lässt sich das Problem nur durch eine schnelle Wiederaufnahme der Medikation beseitigen, vor allem nach abruptem Absetzen. Das gilt insbesondere für sedierende Antidepressiva.

Auch das hyperbolische Absetzen hat Tücken

Für die Praxis empfiehlt es sich, die Dosis nur ganz allmählich herunterzufahren, besonders Substanzen mit kurzer Halbwertszeit und sedierenden Eigenschaften wie Paroxetin. Das Risiko für ein Absetzsyndrom lässt sich mit einer hyperbolischen Dosisreduktion besser senken als durch lineare. Bei der hyperbolischen Reduktion verringert man die Dosis so lange, bis sie deutlich unter der therapeutisch wirksamen Minimaldosis liegt. Dennoch schützt auch dies nicht unbedingt vor Absetzeffekten.

Lineares Absetzen birgt ein gewisses Risiko dafür, dass auftretende Beschwerden als Rezidiv der Depression fehlinterpretiert und unnötigerweise mit erneuter antidepressiver Medikation angegangen werden. Jeder Patient, der Antidepressiva erhält, sollte darüber aufgeklärt werden, dass er diese nicht eigenmächtig und abrupt absetzen darf.

Soll eine antidepressive Therapie beendet werden, kann eine begleitende Pharmako- und Psychotherapie helfen, belastende Effekte zu mildern. Als wirksam hat sich vor allem die kognitive Verhaltenstherapie erwiesen. Für das Absetzen von sedierenden trizyklischen Antidepressiva wird empfohlen, begleitend Anticholinergika oder Antihistaminika zu geben.

Referenz

  1. Fornaro M et al. Antidepressant discontinuation syndrome: A state-of-the-art clinical review. Eur Neuropsychopharmacol. 2023 Jan;66:1-10. doi: 10.1016/j.euroneuro.2022.10.005