Medical Tribune
3. Apr. 2023Oft lange Ursachenforschung

Plötzliche Psychose: Organische Störungen tarnen sich oft gut

Treten Halluzinationen oder Wahnvorstellung nach einem Hirnschaden auf, liegt der Verdacht auf eine organische Psychose nahe. Manchmal gibt es jedoch körperliche Ursachen, die nur schwer aufzudecken sind, wie zwei Fallbeispiele zeigen.

schizophrenia attack
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Erste Hinweise auf eine organische Ursache für eine Psychose können eine ungewöhnliche Psychopathologie sein, beispielsweise visuelle Halluzinationen. Und auch ein hohes Alter bei Auftreten der ersten Psychose oder ein atypischer Verlauf mit perakutem Beginn und rascher Progredienz sind verdächtig.

Bildgebung und Labor weisen dann aber nicht immer direkt den Weg zur korrekten Diagnose, warnt Professor Dr. ­Ludger ­Tebartz van Elst, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Freiburg (1).

Keine neurologischen Auffälligkeiten

Er stellte den Fall eines 25-jährigen Auzubildenden vor, der seit vier Wochen unter einer akuten polymorphen Psychose litt. Es dominierte ein desorganisiertes Wahn­system. Neurologisch fand sich keine Auffälligkeit und auch die Magnet­resonanztomografie (MRT) war nicht richtungsweisend. Erkennbar war nur eine unspezifische Läsion im rechten frontalen Marklager.

An Tag vier der stationären Behandlung verschlechterte sich der Zustand deutlich, der Patient entwickelte eine Aphasie und war räumlich desorientiert. Daraufhin wurde eine Liquorpunktion durchgeführt. Es fanden sich Autoantikörper gegen spannungsabhängige Kaliumkanäle (VGKC). Dank der Immuntherapie mit Plasmapherese, Kortison und Rituximab überlebte der Patient und erholte sich komplett. «In diesem Fall wäre es sicher günstig gewesen, früher eine Liquorpunktion durchzuführen», sagte Prof. Tebartz van Elst.

Ein Liquorbefund kann aber auch falsch negativ sein wie in dem Fall einer 31-jährigen Patientin, die aus völliger Gesundheit heraus psychotisches Erleben und Anfälle entwickelte, im weiteren Verlauf dann eine Katatonie und starke Aggressivität. In der MRT fand sich kein Anhalt für eine limbische Enzephalitis, allerdings eine mässiggradige perisylvisch und temporal betonte Hirnatrophie. Die Positronenemissionstomografie (PET) zeigte einen linksbetonten globalen glutamatergen Hypometabolismus, das EEG eine globale Verlangsamung und intermittierende rhythmische Delta­aktivität (IRDA).

Statt Psychose NMDA-Rezeptor-Enzephalitis

Der Liquorbefund war antikörper­negativ, es gab keinen Hinweis auf eine Schrankenstörung. Die Patientin wurde mit dem Befund, es handele sich nicht um eine neurologische oder immunologische Störung, entlassen und fast eineinhalb Jahre erfolglos mit der Diagnose katatone Schizophrenie in verschiedenen psychiatrischen Kliniken behandelt.

2010 kam sie zur Diagnostik in die psychiatrische Universitätsklinik Freiburg. Die MRT ergab wieder eine mässiggradige Atrophie. Die Liquoruntersuchung wurde wiederholt, der Liquor aber diesmal in ein Speziallabor nach Oxford geschickt – weil inzwischen bekannt war, dass die Standard-Liquoruntersuchung auch falsch-negativ sein kann. Dort konnten mit anderer Methodik tatsächlich Antikörper gegen den NMDA-Rezeptor nachgewiesen werden.

Die daraufhin durchgeführte PET bestätigte den pathologischen Befund einer Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis. Die Immuntherapie mit Methylprednisolon und Azathioprin führte trotz des langen Krankheitsverlaufs zu einer fast vollständigen Remission.

Referenz

DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychia­trie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V.) Kongress 2022, 23. - 26. November 2022, Berlin