Medical Tribune
9. März 2023«Tsunami psychischer Erkrankungen» blieb aus

Covid-19: Psychische Gesundheit hat sich während der Pandemie kaum verschlechtert

Die psychische Gesundheit der Allgemeinbevölkerung dürfte sich während Covid-19 nur wenig verändert haben. Das zeigt eine Studie, die Anfang März im BMJ veröffentlicht wurde. Zu den Verlierern gehören Frauen und Eltern; aber auch dort gab es – auf die Gesamtheit bezogen – nur minimale Änderungen.

Entgegen reisserischer Medienberichte zeigt eine grosse Übersichtsstudie, dass sich die psychische Gesundheit kaum verändert hat.
Rattankun Thongbun/gettyimages

Immer wieder hört man, dass Covid-19 die psychische Gesundheit an vielen Orten stark verschlechtert hat. Medien schlachteten für diese Aussage immer wieder einzelne Studien aus, und prophezeiten sogar einen «Tsunami psychischer Erkrankungen». Diese sehr polarisierenden Studienergebnisse könnten aber auch das Ergebnis mangelnder Studienqualität und Fehlinterpretationen von Querschnittsdaten gewesen sein, schreiben die Autoren der vorliegenden Veröffentlichung (1).

Keine Veränderung bei psychischer Gesundheit oder Angstsymptomen

In ihrer Übersichtsarbeit werteten sie 137 Studien mit 134 Kohorten aus, die die allgemeine psychische Gesundheit, sowie Angst- und Depressionssymptome in der Bevölkerung verglichen. Sie verglichen dabei Daten aus dem Zeitraum zwischen 1. Januar 2018 bis 31. Dezember 2019, sowie ab 1. Januar 2020.

Die eingeschlossenen Studien mussten zu mindestens 90 Prozent aus denselben Teilnehmern aus der Zeit vor und während der Pandemie bestehen, oder zulässige statistische Verfahren verwenden, um fehlende Daten zu berücksichtigen. Die meisten der in Frage kommenden Studien stammten aus Ländern mit mittlerem oder hohem Einkommen, und wurden vor ihrer Aufnahme in die Analyse gründlich auf Verzerrungen geprüft.

Gemessen wurden in der Vergleichsstudie Unterschiede zwischen den Gruppen, die als standardisierte mittlere Unterschiede (SMD) angegeben wurden. Ein SMD von weniger als 0,2 wurde dabei als minimaler Effekt eingestuft. Zwischen 0,2 und 0,5 galt der Effekt als klein, zwischen 0,5 und 0,8 als moderat, und ab 0,8 als gross.

Das Ergebnis: In der Allgemeinbevölkerung wurden keine Veränderungen der allgemeinen psychischen psychischen Gesundheit oder den Angstsymptomen festgestellt. Einzig die Depressionssymptome verschlechterten sich – allerdings nur in geringfügigem Ausmass (SMD von 0,12).

Frauen und Eltern unter Druck

Unter den untersuchten Untergruppen waren weibliche Teilnehmerinnen die einzige Gruppe, die eine Verschlechterung der Symptome bei allen Ergebnissen zeigte – aber auch hier wieder in geringem Umfang mit Änderungen von 0,2 bis 0,22. Das spiegelt wider, dass Frauen während der Pandemie unverhältnismässig stark belastet wurden, so die Forscher. Dazu gehört, dass die meisten Alleinerziehenden Frauen sind, Frauen allgemein ein geringeres Einkommensniveau haben, und dass das stark beanspruchte Gesundheitswesen zu einem hohen Anteil aus weiblichen Mitarbeitern besteht.

Bei zwei Gruppen verschlechterten sich die Depressionssymptome geringfügig, und zwar bei älteren Erwachsenen, Studierenden, und Angehörigen sexueller Minderheiten.

Bei Eltern verschlechterten sich die allgemeine psychische Gesundheit und Angstsymptome. (Sehr geringfügige) Verbesserungen bei der allgemeinen psychischen Gesundheit und bei Depressionssymptomen erfuhren einzig Personen mit bereits bestehenden psychischen Erkrankungen. Die Forscher betonen in beiden Fällen allerdings, dass die beiden Ergebnisse auf einer kleinen Anzahl von Studien und Teilnehmern beruhen.

Signifikante Veränderung bei allen Ergebnissen gab es aber in keiner Untergruppe – auch nicht bei jungen Menschen, betonen die Autoren.

Ergebnisse hauptsächlich aus Ländern mit höheren Einkommen

Obwohl die Studie die bislang grösste und am gründlichsten durchgeführte zum Thema ist, besteht in einigen Gesichtspunkten ein hohes Risiko für Verzerrungen, wie auch die Autoren selbst einräumen. Dazu gehört, dass die Daten der eingeschlossenen Studien fast durchwegs in Ländern mit höheren Einkommen erhoben worden waren. Auch Kinder waren darin unterrepräsentiert.

Die Autoren mutmassen aufgrund der geringen Veränderungen bei Angst- und Depressionssymptomen und der allgemeinen psychischen Gesundheit, dass die Bevölkerung während Covid-19 hohe mentale Widerstandsfähigkeit bewiesen hat. Auch, dass öffentliche Unterstützungen zum Erhalt von Lebensqualität und psychischer Gesundheit haben, gefruchtet haben, halten sie für möglich.

Die Pandemie hat jedoch, schreiben die Forscher weiter, das Leben vieler Menschen stark beeinträchtigt – wichtig ist nun, der Bevölkerung weiterhin psychosoziale Unterstützung zur Verfügung zu stellen, die ihren Bedürfnissen entspricht.

Prävalenz psychischer Störungen bei Jugendlichen besorgniserregend hoch

Daran erinnern auch Forscher aus Dänemark in einem begleitenden Leitartikel. Denn abseits der unveränderten psychischen Gesundheit der Allgemeinbevölkerung sind die gemeldeten Prävalenzraten psychischer Störungen vor allem bei Jugendlichen immer noch besorgniserregend hoch (2). Das kann, aber muss nicht unbedingt (nur) mit der Pandemie im Zusammenhang stehen, betonen die Autoren des Leitartikels. «Unabhängig von der Pandemie besteht ein dringender Bedarf an präventiven Massnahmen zur Förderung der psychischen Gesundheit derjenigen, die am stärksten gefährdet sind», lautet darum ihr Fazit.  

Wann war die psychische Belastung der Menschen während der Pandemie am höchsten?

Studien mit mehreren Nachbeobachtungszeiträumen während der Pandemie zeigen, dass es scheinbar einen Schockmoment mit einem Abfall der psychischen Gesundheit in den untersuchten Kohorten zu Beginn der Pandemie gegeben hat. Später im Jahr 2020 und im Jahr 2021 hat sich dieser aber wieder normalisiert (2).

Referenzen