Medical Tribune
7. Juni 2017Angsterkrankungen, Schizophrenie und Suchterkrankungen

Suizidprävention aus dem Wasserhahn

Die Mehrzahl der Patienten leidet zum Zeitpunkt des Suizids an einer psychiatrischen Erkrankung. Meist handelt es sich dabei um affektive Störungen, aber auch Angsterkrankungen, Schizophrenie und Suchterkrankungen gehen mit einem deutlich erhöhten Suizidrisiko einher.

Zudem gibt es spezifische Risikokollektive wie die Altersgruppe der 15- bis 20-Jährigen sowie Migranten und Homosexuelle, bei denen die Suizidrate besonders hoch ist. Bei den jungen Patienten stellt der Suizid sogar die zweithäufigste Todesursache dar, schreiben Dr. Ute Lewitzka von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Dresden und ihre Kollegen.

Die Therapie und Prophylaxe des suizidalen Verhaltens richtet sich in erster Linie nach der psychia­trischen Grunderkrankung. Ihre drei Säulen bilden psycho-, soziotherapeutische und pharmakologische Behandlungsoptionen. Suizidprotektive Effekte bestimmter Medikamente spielen dabei eine zentrale Rolle.

- Antidepressiva: Die Wirksamkeit der Antidepressiva ist in einer Vielzahl randomisierter, kontrollierter Studien belegt. Sie eignen sich zur Behandlung mittelgradiger Depressionen und schwerer depressiver Episoden. Allerdings wird der Einfluss dieser Wirkstoffe auf die Suizidalität kontrovers diskutiert. Ein suizidprotektiver Effekt lässt sich anhand der aktuellen Datenlage nicht nachweisen, so die Autoren.

Junge Patienten besonders im Auge behalten

Allerdings zeigen Antidepressiva möglicherweise einen günstigen Einfluss auf Suizidgedanken und Lebensüberdruss. Bei jungen Patienten kann die Einnahme von Antidepressiva zum erstmaligen Auftreten oder womöglich auch zur Verstärkung von Suizidgedanken führen. Diese Altersgruppe bedarf deshalb einer sorgfältigen klinischen Beobachtung.

- Lithium: Lithium gilt als Goldstandard in der Therapie von Patienten mit uni- oder bipolaren affektiven Störungen. Unabhängig vom Ausmass seiner stimmungsstabilisierenden Wirkung hat Lithium auch einen suizidprotektiven Effekt. Mehrfach konnte in Studien belegt werden, dass sowohl die Suizidrate als auch die Zahl der Suizidversuche signifikant abnimmt. Zudem fanden sich in Gebieten mit erhöhter Konzentration im Trinkwasser deutliche niedrigere Suizidraten in der Bevölkerung. Trotz dieser Evidenz wird Lithium in der Behandlung und Suizidprävention zu selten eingesetzt, so die Autoren. Auch das Absetzen gilt als kritisch, denn im ersten Jahr danach steigt die Suizidrate auf das 20-Fache. Die Experten raten deshalb bei Hochrisikopatienten zu einer Weiterbehandlung, mit dem Ziel, Suiziden vorzubeugen.

- Clozapin: Clozapin hat in zwei Studien als einziges atypisches Neuroleptikum eine suizidpräventive Wirkung gezeigt. Zudem verbesserte es depressive Symptome und Hoffnungslosigkeit, die als suizidale Risikofaktoren gelten. Deshalb könnten nach Meinung der Autoren nicht nur Patienten mit neuroleptikaresistenter Schizophrenie von Clozapin profitieren, sondern auch diejenigen mit einem erhöhten Suizidrisiko. Jeder zweite bis vierte Patient mit Schizophrenie unternimmt im Laufe seines Lebens einen Suizidversuch.

Lewitzka U et al. Nervenheilkunde 2017; 36: 239–243.