Medical Tribune
12. Jan. 2017Die «Male Depression» ist eher ein Subtyp

Männliche Depression gibt es auch bei Frauen

So war die Vorstellung einst: Männer sind stark, Frauen erkranken an Depressionen. Das Konzept der «Male Depression» förderte die eher externalisierenden Symptome von Männern zutage und zeigte: Die Depressionsprävalenz ist in beiden Geschlechtern gleich. Und zunehmend offenbart sich: Diese vermeintlich männlichen Symptome kennen auch Frauen.

Es gibt inzwischen eine breite Evidenz für das Konzept der «Male-type Depression». Typische Symptomkonstellationen sind nach Aussage von Professor Dr. Anna Maria Möller-
Leimkühler
von der Psychiatrischen Klinik der LMU München die folgenden Symptome:

  • geringe Stresstoleranz
  • ausagierende Verhaltensweisen
  • Irritabilität
  • Ruhelosigkeit
  • Unzufriedenheit
  • Substanzmissbrauch
  • antisoziale Verhaltensweisen
  • depressive Verstimmung

Die aktuellen Diagnosekriterien für eine Depression nach ICD10 F32 oder DSM-IV bzw. -V bilden dies allerdings nicht ab. 

Die Forschung ergründet gerade erst die Männerwelt

Verwendet man Instrumente, die solche Symptome berücksichtigen, verschwindet der Geschlechtsunterschied in der Prävalenz der Depression, berichtete die Kollegin. Sie fand bei der Validierung ihres eigenen 33 Items umfassenden gendersensitiven Depressionsscreenings (GSDS-33), dass die Faktoren Aggressivität und schlechte emotionale Kontrolle mit einem klar erhöhten Risiko für eine Depression einhergehen, und das nicht nur bei Männern. Aber: «Bei Männern wird normalerweise starke Aggression kriminalisiert, bei Frauen eher psychologisiert», meinte Prof. Möller-Leimkühler. Sie präferiert inzwischen das Konzept, dass die «Male Depression» ein Subtyp der Depression ist, der sich nicht an die Geschlechterzugehörigkeit hält. Als geschlechtsneutralen Begriff schlägt sie daher «externalisierte Depression» vor.

Die Forschung zur «Male Depression» ist allerdings nicht so weit. Sie erkundet gerade erst die Männerwelt. So hat sich Professor Dr. Siegfried Kasper von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Wien mit der eher nach aussen gerichteten aggressiven Natur der Depression bei vielen Männern ohne Blick auf die Frauen beschäftigt. Es zeigte sich, dass die externalisierte Depression bei Männern häufig mit einem niedrigen und nicht etwa einem hohen Testosteronspiegel einherging.

Bei mittelalten Patienten den Testosteronspiegel messen 

Im Rahmen der Untersuchungen zu einem Transgender-Projekt zeigte sich ein Zusammenhang zwischen Testosterongabe und serotonergem System:1 Bei Testosteronsubstitution der Frauen, die auf dem Weg zum Mann waren, nahm die Serotonintransporter-Aktivität im Gehirn deutlich zu. Die Patienten fühlten sich dabei im Allgemeinen sehr wohl, ergänzte der Wiener Psychiater. Die Männer auf dem Weg zur Frau erlebten dagegen unter der Östrogenersatztherapie mehr Stimmungseintrübungen.

Für Prof. Kasper haben die Ergebnisse durchaus schon therapeutische Implikationen. Bei mittelalten Männern mit Depression kann eine Kontrolle des Testosteronspiegels und ggf. eine Testosteronsubstitution erwogen werden. Bei depressiven Männern über 60 Jahren ist dagegen nach einer Metaanalyse kein güns-tiger Effekt der Testosterongabe auf die Depression zu erwarten.2 Bei Männern mit Depression und starken Ärgerattacken setzt Prof. Kasper auf eine Therapie, die sowohl auf depressiv-internalisierende als auch externalisierende Symptome abzielt. Zum Antidepressivum gibt er in der Anfangsphase für kurze Zeit ggf. ein sehr niedrig dosiertes Antipsychotikum (z. B. 1 mg Risperidon oder 2,5–5 mg Aripiprazol) hinzu, um zu verhindern, dass die Ärgerattacken zu Beginn der antidepressiven Therapie noch zunehmen.

In der Abteilung Neue Versorgungskonzepte am Klinikum Wahrendorff wird derzeit eine multizentrische Studie vorbereitet, um die «Male Depression» bei Männern und Frauen zu untersuchen. Eine Pilotstudie hatte gezeigt, dass es bezüglich der Symptombelastungen keine Geschlechtsunterschiede gibt und Männer wie Frauen sowohl nach der Gotland Scale of Male Depression als auch dem GSDS-33 typische und untypische (externalisierende) Symptome einer Depression aufweisen können. Vanessa Rössner-Ruff aus Wahrendorff hofft, dass die multi­zen­trische Studie die Evidenz liefert, ob die «Male Depression» tatsächlich kein Männerleiden, sondern ein Subtyp der Depression in beiden Geschlechtern ist.

Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde

1. Kranz GS et al. Biol Psychiatry 2015; 78: 525–33.

  1. Amanatkar H et al. Ann Clin Psychiatry 2014; 26: 19–32.