Medical Tribune
16. Jan. 2013Die posttraumatische Belas­tungsstörung

Nach dem Trauma: Nicht alles ist PTSD

Ganz viele Menschen – je nach Studie 50-90 % – erleben mindes­tens einmal in ihrem Leben ein potenziell traumatisches Ereignis. Allerdings entwickelt nur etwa jeder zehnte eine posttraumatische Belas­tungsstörung (PTSD). Die Lebenszeitprävalenz für die PTSD liegt für Männer bei 6%, für Frauen bei 12%, erklärte Professor Dr. Ulrich Schnyder von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsspitals in Zürich.

Mit der Anzahl der traumatischen Ereignisse steigt das Risiko, eine PTSD zu entwickeln, an und es kann sogar – wie nach den Massakern in Ruanda – 100 % erreichen. Es ist aber nicht nur das Trauma selber, das zur PTSD führt, sondern es gibt eine Vielzahl von prä- und posttraumatischen Risikofaktoren. Diese haben zumeist nur geringe Effektstärken.

Allerdings sticht ein Risikofaktor deutlich heraus: Die fehlende soziale Unterstützung für das Opfer ist – quer durch alle Traumaarten – der wichtigste Risikofaktor überhaupt für die Entwicklung einer PTSD, betonte der Kollege.

Sind nach dem Trauma die Symptome spezifisch oder unspezifisch?

Kommt es nach einem Trauma zu psychischen Auffälligkeiten, muss man unterscheiden zwischen unspezifischen Störungen – u.a. Depression, Angst, somatoforme Störung – und spezifischen posttraumatischen Störungen. Zu ihnen gehören die akute und die posttraumatische Belastungsstörung und die andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung. Kombinationen unterschiedlicher Krankheitsbilder kommen ebenfalls vor, so haben etwa 70% der PTSD-Patienten zusätzlich eine Depression.

Nach DSM-IV ist die akute Belas­tungsstörung durch die folgenden Kriterien definiert:

1. Stressorkriterium
– Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Integrität durch ein Ereignis
– Reaktion darauf mit intensiver Angst, Hilflosigkeit oder Grauen

Traumastärke lässt sich nicht objektiv messen, kommentierte Prof. Schnyder. Die subjektive Beurteilung der traumatischen Einwirkung sei der entscheidende Faktor und nicht das, was objektiv passiert ist. An Unfallopfern konnte man zeigen, dass sowohl die objektive Bedrohlichkeit des Unfalls als auch der Verletzungsschweregrad keine Korrelation zur Entwicklung einer PTDS hatten.

Dies wird vermutlich dazu führen, dass im ICD-11 und im DSM-V das Stressorkriterium massiv verändert oder ganz abgeschafft werden wird, vermutete der Kollege.

2. Dissoziative Symptome während oder nach dem Ereignis (dieses Kriterium wird wahrscheinlich im DSM-V rausfallen)

3. ständiges Wiedererleben des traumatischen Ereignisses

4. anhaltendes Vermeiden spezifischer Stimuli

5.
Angst bzw. erhöhtes Erregungsniveau

6.
erhebliches Leiden oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Bereichen

7.
Dauer 2 Tage bis 4 Wochen, Beginn innerhalb von 4 Wochen

Akute Reaktion von der posttraumatischen Belastungsstörung unterscheiden!

Die posttraumatische Belas­tungsstörung unterscheidet sich von der akuten Belastungsreaktion in der Dauer: Sie hält mindestens einen Monat an, wobei man zwischen akuter PTSD (Dauer < 3 Monate) und chronischer PTSD (Dauer > 3 Monate) unterscheidet.

Manifestieren sich die Symptome später als sechs Monate nach dem Trauma, spricht man von einer PTSD mit verzögertem Beginn. Ausserdem leiden PTSD-Patienten laut Definition erheblich oder sind in ihren sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Bereichen beeinträchtigt.

Die Behandlung der PTSD ist primär eine Domäne der Psychotherapie, sie erfolgt mit kognitivem bzw. verhaltenstherapeutischem Ansatz (s. Kasten). Von den Medikamenten sind die SSRI und SNRI Mittel der Wahl. Sie wirken nicht nur auf depressive, sondern auch auf PTSD-spezifische Symptome.

Die besten Daten gibt es für Paroxetin und Sertralin, erklärte Prof. Schnyder. Deren Effektstärken seien allerdings begrenzt. So kommen unter Paroxetin nach 12 Wochen knapp 30 % der PTSD-Patienten in Remission, unter Placebo sind es 17 %.

Die Therapie mit Benzodiazepinen stört indirekt die Psychotherapie

Auch trizyklische Antidepressiva können verordnet werden. Ihre Indikation ist dann gegeben, wenn SSRI/SNRI nicht ausreichend wirken oder der Patient unter ausgeprägten Schlafstörungen leidet.

Mit Benzodiazepinen muss man dagegen sehr aufpassen, warnte der Kollege. Natürlich wirken sie auf Schlafstörungen. Zwei Argumente sprechen jedoch gegen ihren Einsatz: Zum einen sind PTSD-Patienten anfälliger für die Entwicklung einer Substanzabhängigkeit. Zum anderen beeinträchtigen Benzos das kognitive Leistungsvermögen, was die Fähigkeit der Patienten, in einer kognitiven Psychotherapie konstruktiv mitzuarbeiten, behindert.

Für Neuroleptika besteht nur bei komorbiden Störungen bzw. psychotischer Symptomatik eine Indikation, stellte Prof. Schnyder klar.

Und noch eine Traumafolgestörung

  • Von einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung spricht man nach ICD-10, wenn
  • A ein extremer Stressor und
  • B eine ausgeprägte Persönlichkeitsänderung vorliegt.
  • Dabei müssen mindestens zwei der folgenden Symptome gegeben sein:
  • feindliche oder misstrauische Grundhaltung
  • sozialer Rückzug
  • Gefühl von Leere oder Hoffnungslosigkeit
  • Gefühl von Nervosität und Bedrohung
  • Gefühl der Entfremdung

Quelle: 2. Psychiatrie-Update-Seminar