Staatliches Planungsdebakel Zulassungssteuerung
Im Sommer 2020 hat das Bundesparlament die Revision des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung betreffend Zulassung von Leistungserbringern verabschiedet. Die Kantone haben bis am 30. Juni 2023 Zeit, ihre kantonalen Regelungen zur Umsetzung der Zulassungsbeschränkung anzupassen. Die Umsetzungsprobleme zeitigen: Ein weiteres Mal versagt der Ansatz, mit staatlicher Planung die schweizerische Gesundheitsversorgung kostengünstiger gestalten zu wollen.
Mit der Revision von Artikel 55a KVG sollen die Kantone die Möglichkeit erhalten, Höchstzahlen für die Zulassung von Fachärzten festzulegen – für alle oder nur für bestimmte Fachgebiete. Der Bundesrat delegiert damit die Kompetenz den Kantonen, Höchstzahlen der Ärzteschaft mit einer Zulassung zur Tätigkeit zulasten der OKP festzulegen. Es war vorauszusehen, dass sowohl der Planungsansatz an sich wie auch die Stelle, welche die Kompetenz übertragen erhalten hat, versagen werden. Genau das ist eingetreten.
Planwirtschaft ist kein taugliches Instrument
Planwirtschaft ist ein Instrument, das Diktaturen anzuwenden pflegen. Deren Wirtschaftsmodelle sind allesamt gescheitert – der Ansatz, über Jahre den Verlauf der Wirtschaft durch Beamte planen zu wollen, führte nie zu Erfolg. Auch die ganze Zulassungssteuerung ist reine Planwirtschaft. Sie geht komplett an der realen Entwicklung vorbei. Vor Jahren auf die politische Schiene gebracht, entspricht sie den aktuellen Bedürfnissen und Entwicklungen längst nicht mehr.
Heute haben wir eine rekordhohe Bevölkerungszuwanderung, eine offensichtlich fallierende Grundversorgung mit komplett überforderten Spitalnotfallaufnahmen; hinzu kommt ein akuter Fachkräftemangel. Versorgungslücken, Nachwuchsprobleme und Bürokratie ohne Ende sind die beobachtbaren Konsequenzen. Es ist heute unmöglich, den Ärztebedarf pro Disziplin dauerhaft zu beplanen oder mit Maximalzahlen zu deckeln, ohne Schäden an der Versorgungsqualität anzurichten. Es braucht Manövriermasse nach oben und unten und wir brauchen ausreichend Nachwuchs im Arztbereich, darunter auch Fachkräfte aus dem EU-Raum, vor allem auch Ärztinnen und Ärzte.
Die Regierung des Kantons Baselland hat vorschnell auf die Neuregelung eine kantonale Verordnung mit zahlreichen Mengenbeschränkungen in Ärztekategorien erlassen. Dieses Bürokratieprodukt hat das Basler Kantonsgericht jüngst kassiert. Das Gericht begründete sein Urteil mit der fehlenden Zuständigkeit des Regierungsrats, Höchstzahlen für die Zulassung von Fachärztinnen und -ärzten festzulegen. Artikel 55a KVG stelle keine unmittelbar anwendbare Regelung dar, die dem Regierungsrat ein unselbständiges Verordnungsrecht einräume.
Die Umsetzung der Zulassungssteuerung erfordere vielmehr eine kantonale (Einführungs-)Gesetzgebung, sprich die Involvierung des Gesetzgebers. Begründung: Der faktische Zulassungsstopp sei eine Einschränkung, welche die Freiheitsrechte der betroffenen Ärzteschaft sowie die Anstellungsfreiheit von Kliniken massiv beeinträchtige. Dieser schwerere Eingriff in die Berufsausübung der Ärzteschaft erfordere zwingend ein Gesetz. Im Kanton Basel-Landschaft sei somit der Landrat als gesetzgebendes Parlament für die Zulassungssteuerung nach Artikel 55a KVG zuständig.
Gesetzgeber muss Interessen abwägen
Das kantonale Parlament als Volksvertretung muss dabei gemäss Gerichtsurteil zwingend folgende Punkte und Fragestellungen in einem Gesetz entscheiden:
- Wann soll in einem medizinischen Fachgebiet eine Obergrenze eingeführt werden? Wie ist sie statistisch zu berechnen und wer kontrolliert sie?
- Es soll nach Fachgebieten gesteuert werden, wobei Fachgebiete Facharzttiteln entsprechen. Die Fachärzte haben sich heute aber zumeist bereits weiter in Subspezialitäten spezialisiert. Die kantonalen Parlamente müssen zwingend entscheiden, wie mit diesen Subspezialitäten umgegangen wird. Fehlt diese Abwägung, droht in vielen Spezialgebieten eine Verknappung der ärztlichen Ressourcen oder eine Entspezialisierung der Spezialisten.
- Die ambulante Tätigkeit eines Arztes oder einer Ärztin, vornehmlich in einem Spital, beinhaltet neben dem Behandeln von Patienten auch die Weiterbildung der Assistenzärzte oder des Pflegepersonals. Hinzu kommen die eigene Fortbildung, die Forschung sowie die Wahrnehmung von betriebswirtschaftlichen Aufgaben im Spital. Das hat Einfluss auf die Zahl der Vollzeitstellen. Das Parlament wird darum festzuhalten haben, wie «Vollzeitäquivalente» berechnet und wie sie kontrolliert werden.
- Es gibt zahlreiche weitere Fragen, welche der kantonale Gesetzgeber regeln muss:
- Können bestehende Bewilligungen beispielsweise bei einer Pensionierung auf Nachfolgende übertragen werden und wenn ja, unter welchen Bedingungen?
- Welche Regeln gelten für die geografische Zulassungsbeschränkung (beispeilsweise bezogen auf innerkantonale Versorgungsregionen oder interkantonale Patientenströme)?
- Wie werden Zulassungsbewilligungen im Markt neuen Anwärterinnen und Anwärtern zugesprochen, falls in einem gesteuerten Fachgebiet die Anzahl der tätigen Ärztinnen und Ärzte unter die Höchstgrenze fällt?
Die Versorgungssicherheit ist zu gewährleisten
Die Kantonsparlamente müssen ausserdem entscheiden, wie die Versorgungssicherheit in der ambulanten Versorgung künftig gewährleistet wird. Sie müssen darum, gesetzlich konkretisieren, wann eine Unterversorgung besteht, welche Massnahmen die zuständige Behörde gegen eine Unterversorgung ergreifen kann/muss, wie die Qualität der Anbieter geprüft und gesichert wird (mit Massnahmenkatalog bei Minderqualität wie Entzug der Zulassung etc.), wie geprüft wird, ob moderne Behandlungsmethoden angewandt werden (Digitalisierung, moderne Behandlungsmethoden, Entzug von Bewilligungen bei Verweigerung der Neuerungen etc.) und wie bei knappen Ressourcen die Versorgungsgerechtigkeit für Patientinnen und Patienten gewährleistet wird (beispielsweise durch Priorisierung durch geeignete Triageeinrichtungen durch die Fachgesellschaften), und wie die Entschädigung derartiger Arbeiten geregelt ist.
Fazit: Innovation statt ein weiteres Planungsdebakel
Die Zulassungssteuerung und ihre Umsetzung werden zum Bürokratiemonster – angesichts der Dynamik, der die medizinische Versorgung unterliegt, ein Unsinn: Heute reguliert, wird sie morgen schon veraltet sein. Um die Kostenzunahme abzubremsen, brauchen wir in der Gesundheitspolitik nicht noch mehr staatliche Planung, sondern eine Verlagerung der Reformdiskussion auf eine Ebene, wo der Preis/Nutzen, die Qualität und die Leistungsfähigkeit des Gesundheitswesens im Vordergrund stehen. Entscheidend sind dabei folgende Reform-Parameter:
- Ausmerzung von Fehlanreizen: Einführung der einheitlichen Finanzierung von ambulant und stationär (EFAS) sowie von weiteren pauschalierten Tarifen auch im ambulanten Bereich.
- Innovation und Digitalisierung: Effizienzsteigerung dank neuen Technologien und innovativen Versorgungsmodellen mit verbesserten Finanzierungsmechanismen.
- Wettbewerb um das beste Preis-/Leistungsverhältnis: Schaffen von Transparenz darüber, wer solide Qualität bei optimalen Kosten anbietet.
Die Qualitätserwartungen der Patienten und der Gesundheitsbehörden, aber auch der «War on talents» um qualifiziertes Personal werden in einer solcherart konfigurierten Gesundheitsversorgung zu kosteneffizienteren Lösungen führen. Unsere Gesundheitsversorgung muss und kann sich ohne Einbussen im Bereich der Versorgungsgerechtigkeit und der Zugänglichkeit (cave: Zweiklassenmedizin) weiterentwickeln. Planungsbürokraten brauchen wir dazu keine: Die Zulassungsteuerung gehört auf den Misthaufen der Geschichte.
Steckbrief
Dr. Daniel Heller ist Partner bei Farner Consulting AG. Im Jahr 2000 übernahm er das Präsidium der Spezialklinik Barmelweid, wandelte diese als erstes Spital im Kanton Aargau in eine gemeinnützige Aktiengesellschaft um und wurde 2014 Verwaltungsratspräsident der Kantonsspital Baden AG. Daneben hält er verschiedene Verwaltungsratsmandate im Finanz- und Startup-Bereich. Er hat in Zürich Geschichte, Wirtschaftsgeschichte und Politikwissenschaften studiert (Promotion Dr. phil. I) und wohnt in Erlinsbach AG.