Ärzte im Stundenlohn?
Seit 1. Januar gelten die von Gesundheitsminister Alain Berset erlassenen neuen TARMED-Regeln. Derzeit steht auch zur Diskussion, ob Ärztinnen und Ärzte im Stundenlohn bezahlt werden könnten. In Medizinerkreisen formiert sich Widerstand.
Im Stundenlohn abrechnen wie Anwälte oder Handwerker – kann das auch im Bereich des Gesundheitswesens funktionieren? «Durchaus», sagt Thomas de Courten, SVP-Nationalrat und Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK-NR). Er ist überzeugt, dass das komplexe über 4600 Positionen umfassende TARMED-Abrechnungssystem, das in der aktuellen Form nicht nur überholt, sondern in der Praxis nicht mehr verhandelbar ist, durch ein einfaches und in vielen Leistungsbereichen bewährtes System ersetzt werden könnte. Dadurch erhofft sich der Politiker sowohl für Patienten als auch für Versicherer eine übersichtlichere und transparentere ärztliche Leistung. Zudem würden Leistungserbringer und Leistungsfinanzierer eine neue, klare Verhandlungsbasis erhalten. Das Ziel dieses Vorstosses besteht auch darin, sich von den staatlich verordneten Preisfestsetzungen loszueisen.
Dr. Philippe Luchsinger, Facharzt für Allgemeine Medizin in Affoltern am Albis und Präsident Haus- und Kinderärzte Schweiz, zeigt sich von dieser Idee alles andere als begeistert und fügt an: «In der ärztlichen Tätigkeit stehen nicht nur Gespräche und Aktenstudium im Zentrum, sondern auch andere Tätigkeiten, die nicht miteinander vergleichbar sind und sich deshalb nicht einfach pauschalisieren lassen. Derzeit rechnen wir mit Handlungsleistungen oder mit Zeitleistungen ab, die in 5- und neu auch 1-Minuten-Abständen eingeteilt sind. Inwieweit Letzteres funktionieren wird, ist noch nicht abzuschätzen.»
Einen Tarif, der sämtliche Beteiligte zufriedenstellt, wird es wohl auch künftig kaum geben, doch sind sich die zuständigen Verhandlungspartner zumindest einig darüber, dass der aktuelle Tarif einer dringenden Anpassung bedarf.
Vorstoss steht auf wackeligen Beinen
«Bei der Prüfung des Postulats von Thomas de Courten wird der Bundesrat wahrscheinlich auch zum Schluss kommen, dass ein reiner Stundentarif der Komplexität der unterschiedlichen medizinischen Leistungen nicht gerecht zu werden vermag, selbst wenn dieser je nach Art der Tätigkeit und der Dignität differenziert würde», meint Bea Heim, SP-Nationalrätin und Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK-NR). So mussten beispielsweise auch die ursprünglich vorgesehenen Zeitlimiten in der Kindermedizin, weil nicht sachgerecht, wieder zurückgenommen werden.
Ausserdem stellt sich die Frage, wie man den Stundentarif auch im Zusammenhang mit technischen Geräten berechnen kann, was selbst Fachleuten und Gesundheitsökonomen schwerfallen und zu endlosen politischen Auseinandersetzungen führen dürfte. Das war bereits der Fall, als der Bundesrat die Tarife für das Praxis-Labor gesenkt hat. Thomas de Courten: «Der Zeittarif sollte nach meinen Vorstellungen je nach Art der Tätigkeit und je nach Dignität der ärztlichen Leistung differenziert festgelegt werden. Zusätzlich dürfen künftig in der Arztrechnung nur noch Medikamente, Verbrauchsmaterialien sowie Benutzung von Apparaturen erscheinen.»
Allerdings muss man sich auch vor Augen halten, dass u. a. die Radiologie eine andere technische Infrastruktur benötigt als beispielsweise eine psychiatrische Praxis. Schon alleine deshalb sei es sinnlos, solche unterschiedlichen Leistungen in einem einheitlichen Stundenlohn abzurechnen, ergänzt Dr. Luchsinger, und SP-Nationalrätin Bea Heim weist zudem auf die geforderte Sachgerechtigkeit im Krankenversicherungsgesetz (KVG) hin.
Man kann sich auch überlegen, ob im Falle eines ärztlichen Stundenlohns in den Praxen Labor- und Röntgenleistungen dereinst noch zum medizinischen Angebot gehören, wenn die Infrastrukturkosten nicht mehr richtig abgegolten werden. «Die Auswirkung wäre eine Zunahme der Zahl von Konsultationen, denn die Patienten würden für weitere Untersuchungen ins Spital geschickt oder an private Röntgeninstitute verwiesen. Erst im Rahmen eines möglicherweise weiteren Arztbesuchs würde der Befund schliesslich besprochen und mit der Behandlung begonnen», so die SP-Nationalrätin. Wichtig sei aber auch, dass Arztrechnungen in Zukunft verständlicher und auch für Patienten transparenter daherkämen.
Beschränkung medizinischer Angebote
Grundsätzlich ist zu bedenken: Leistungen, welche zu tief abgegolten sind, werden nicht mehr angeboten. Insbesondere soll es auch künftig darum gehen, möglichst zielgenaue Diagnosen stellen zu können dank der nötigen Ausrüstung.
Derweil sieht SVP-Nationalrat Thomas de Courten in seinem Postulat zahlreiche Vorteile, da das neue System auch für Patienten und Finanzierer nachvollziehbarer und verständlicher wäre. Nicht zuletzt würden dadurch die gewünschte Eigenverantwortung, Transparenz und Effizienz im Gesundheitswesen gestärkt. Der Stundenlohn liegt jedoch in der Kompetenz und Verantwortung der vom Gesetzgeber vorgesehenen Verhandlungspartner.
Wer zudem von einer Zeitentschädigung zwecks Mengenausweitung oder Optimierung seiner Leistungsabrechnung im Sinne eines langsameren Vorgehens profitieren wollte, würde laut Thomas de Courten im Benchmark der Leistungsfinanzierer in arge Erklärungsnot geraten.
«Generell dürfte es schwierig und wenig sinnvoll sein, die Gesundheitsversorgung primär über die Finanzierung zu steuern, ohne über eine Strategie, welche den Wettbewerb um die beste Behandlungsqualität ankurbelt, immer wieder ausführlich nachzudenken», ist Bea Heim sicher. Das grösste Problem stellt wohl in erster Linie eine sachgerechte Abbildung der sehr komplexen und differenzierten Leistungen von Ärztinnen und Ärzten im Umfeld verschiedener Strukturen dar.
Unabhängig davon, welche Tarifart gewählt wird, ist es an der Zeit, dass sich die zuständigen Verhandlungspartner gemeinsam auf einen neuen Tarif einigen können. Derweil wartet Thomas de Courten gespannt auf den Bericht des Bundesrates bezüglich seines Postulats, der für Zündstoff sorgen wird. Probleme erkennt der SVP-Nationalrat lediglich, wenn man sich dieser Diskussion fundamental verweigern würde.