Medical Tribune
31. März 2023Schweizerisches Konsumentenforum (kf): 3. OncoRoundtable in Bern

Lungenkrebs-Screening: Wer übernimmt die Kosten?

Bereits zum zweiten Mal hat das Forschungsinstitut gfs.bern im Auftrag von MSD Schweiz (Merck Sharp & Dome AG) eine repräsentative Umfrage zur Qualität der Krebsversorgung in der Schweiz durchgeführt (1). Die am 3. OncoRoundtable präsentierten Daten bestätigen eine grundsätzlich hohe Zufriedenheit der Schweizer Bevölkerung. Allerdings besteht der deutliche Wunsch nach Verbesserung in den Bereichen Prävention und Früherkennung. Dass ein gut implementiertes Lungenkrebs-Screening sehr erfolgreich sein kann, zeigt das Beispiel Grossbritannien.

In der aktuellen gfs-Untersuchung zeigten sich rund 90 Prozent aller Teilnehmenden mit der Krebsversorgung in der Schweiz zufrieden. Im Vergleich zu den Daten des Vorjahres wurden fast alle abgefragten Parameter (z.B. Medikamentenversorgung, Zeit bis zur Therapie, Koordination der beteiligten Gesundheitspersonen) sogar leicht besser eingeschätzt. Nach Ansicht von Dr. Tobias Keller von gfs.bern läuft die Krebsversorgung in der Schweiz nach der Pandemie wieder im «Normalbetrieb».

Eine Mehrheit fordert: den Krebs früh erkennen!

Für die aktuelle Untersuchung wurden rund 1.250 zufällig ausgewählte Personen telefonisch und online kontaktiert. Rund elf Prozent der Befragten waren persönlich von einer vergangenen oder aktuellen Krebserkrankung betroffen. Zwar sei die Bewertung der Versorgungssituation in der Schweiz insgesamt sehr gut, trotzdem könne man aus der Sicht der Befragten hinsichtlich Krebs-Früherkennung, -Prävention und -Nachsorge noch deutlich mehr machen. «Das ist ganz eindeutig ein Bedürfnis», sagte Lukas Golder von gfs.bern.

Tatsächlich waren für die meisten Befragten die Früherkennung (96%) und die frühe Behandlung von Krebs (94%) ein überaus wichtiger Aspekt. Von den in der Studie befragten 136 Personen (ca. 11% der
Befragten), die früher oder aktuell von Krebs betroffen sind respektive waren, wären 41 Prozent froh gewesen, wenn ihre Erkrankung früher erkannt worden wäre. Weitere 31 Prozent gaben an, gerne früher Informationen zur Prävention gehabt zu haben. Diese offensichtlich zu lange Zeit bis zur Krebsdiagnose sei ein «eindeutiger Schwachpunkt», so Dr. Keller.

Empfehlung für ein Lungenkrebs-Screening

Wie könnte eine solche Früherkennung aussehen? Mitte November 2022 empfahl ein nationales Screeningkomitee nach 10-jähriger Beratung, in der Schweiz ein Lungenkrebs-Screening mittels low-dose-Computertomografie (CT) einzuführen. Da Lungenkrebs im Frühstadium noch gut behandel- und heilbar ist, gilt ein Lungenkrebs-Screening als aussichtsreiche Methode, um Leben zu retten. ­

Allerdings werden heute immer noch die meisten Lungentumore erst in fortgeschrittenem Stadium entdeckt. Entsprechend schlecht sind die Heilungschancen für die Betroffenen mit einem 5-Jahresüberleben von 15 Prozent. «Fundamental ändert sich nur etwas, wenn wir das Lungenkarzinom in einem frühen Stadium dia­gnostizieren», sagte Professor Dr. med. et phil. Milo Puhan, Universität Zürich.

Lung Health Check: Von den Briten lernen

Derzeit wird in vielen Ländern über ein Lungenkrebs-Screening nachgedacht (2,3). In einer grossen niederländisch-belgischen Studie mit rund 15 500 aktuellen oder ehemaligen Rauchern war ein solches Screening zu den Zeitpunkten 0, 1, 3 und 5,5 Jahren mit einem signifikanten Überlebensvorteil nach zehn Jahren verbunden (4). So sank die Lungenkrebs-Sterblichkeit bei Frauen um 33 und bei Männern um 24 Prozent (p < 0,01).

Allerdings sei die Implementierung des Screenings in die Praxis eine enorme Herausforderung, erklärte Prof. Puhan. So habe man in den USA die Studien­methoden einfach in die Praxis übertragen, «und das hat überhaupt nicht funktioniert», so der Epidemiologe. Tatsächlich nahmen dort weniger als fünf Prozent der entsprechenden Risikopopulation das Angebot zur Früherkennung an.

Ganz anders in Grossbritannien: Dort wurde der Fokus auf Gesundheitsversorgung und Prävention gelegt und in einem Lung Health Check «nebenbei» auch auf die Vorteile eines Krebs-Screenings aufmerksam gemacht. Ganz wichtig: «Das war nicht das ‹Modell Unispital›sondern man fuhr mit drei gigantischen Trucks – inklusive CTs –, zu den Leuten und arbeitete lokal mit Hausärzten und örtlich gewachsenen Strukturen zusammen». Die Beteiligung war mit über 50 Prozent ausserordentlich hoch.

Lungengesundheitscheck für Patienten mit hohem Risiko

In der Schweiz ist man bislang noch abwartend. Allerdings hat unter dem Eindruck der positiven englischen Erfahrungen auch hierzulande eine interdisziplinäre Expertengruppe kürzlich ein nationales Modell vorgelegt. Dabei sollte es sich um einen «Lungengesundheitscheck» handeln, nicht zuletzt um Ängste und Stigmatisierungen zu vermeiden. Zudem wurde eine Risikostratifizierung vorgenommen, die Faktoren wie Alter, Rauchstatus, Packungsjahre, Ausbildung, COPD oder Familienanamnese einschliesst. Neben standardisierten Diagnosekriterien, klaren Kommunikationswegen zu den Hausärzten, sollte auch ein Rauchstopp von den Betroffenen anvisiert werden, erklärte Prof. Puhan.

Natürlich sind für ein solches Programm erhebliche finanzielle Mittel erforderlich. Derzeit rechnet man mit Kosten pro Teilnehmer für Screening plus Beratung von etwa 500 CHF. «Aber auch damit wären alle Aufwendungen noch nicht gedeckt», gab Prof. Puhan zu bedenken. Bislang ist unklar, wer die Finanzierung übernehmen soll. Ein derzeit laufendes Lausanner Pilotprojekt hat der Kanton finanziell unterstützt, so der Experte. Da die Prävention kantonal und nicht national geregelt ist, könnte zudem der Zugang zu den Screenings zu ungleich geregelt sein und damit zu unterschiedlichen Chancen führen. Hier ist nun die Politik gefordert.

«Das Screening sollte in einer Hand sein»

Interview mit Prof. Dr. med. et phil. Milo Puhan, Universität Zürich

Foto Prof. Milo Puhan
KD

Prof. Milo Puhan, Direktor des Instituts für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich

Herr Prof. Puhan, wo stehen wir beim Lungenkrebs-Screening?

In der Schweiz wird die wissenschaftliche Evidenz für ein Lungenkrebs-Screening heute als ausreichend anerkannt. Die nationale Krebs-Screening-Kommission hat eine ­grosse Arbeit zu diesem Thema durchgeführt und vergangenen November eine Empfehlung ausgesprochen, dass ein Lungenkrebs-Screening mit low-dose Computer-Tomographie in der Schweiz angeboten werden soll. Wir haben uns in den vergangenen zehn Jahren mit einem Modell auseinandergesetzt, das in der Schweiz Akzeptanz finden könnte – und wie es sich implementieren liesse. Diese Implementierung ist bei Krebserkrankungen der springende Punkt und mindestens so wichtig, wie die wissenschaftliche Evidenz.

Wo liegen die Barrieren?

Es gibt eine ganze Reihe von Barrie­ren. So beeinträchtigen Ängste und Stigmatisierungen der Raucher die Akzeptanz der Leute. Auch die unterschiedliche Organisation von Screenings in den einzelnen Kantonen ist noch eine Barriere, ebenso wie die Finanzierung des Screenings. Von Lungenkrebs sind häufiger Menschen betroffen, die soziografisch etwas schlechter gestellt sind. Bei einem relativ hohen Selbstbehalt wird es schwieriger, diese Leute zu überzeugen.

Was kann die Schweiz von den Briten lernen?

Wir müssen in der Schweiz nicht bei null beginnen. Unsere Expertengruppe war in Manchester und konnte viele extrem gute Informationen mitbringen. Die Engländer haben es uns vorgemacht. Sie haben ein Programm implementiert, in das beispielsweise Fussballclubs und andere Vereine involviert sind. Wenn das Screening nur von den Unispitälern angeboten wird, funktioniert das nicht. Die beste Variante ist eine Kombination über Hausärztinnen und Hausärzte und lokale und kommunale Strukturen. Man muss von der Implementierung her denken, denn die Erreichbarkeit der Leute ist ein ganz grosses Thema.

Wie würde das Schweizer Gesundheitssystem von einem nationalen Screening profitieren?

Die Qualität des Gesundheitssystems würde sich ganz klar erhöhen. Allerdings würde man durch kleinteilige Aktionen nicht die Qualität einer nationalen Lösung erreichen. Das Screening sollte am Schluss schon einen lokalen Flavor haben, allerdings sollte es auf nationaler Ebene in einer Hand sein.


«Wir müssen die Tumore früher erkennen»

Interview mit Michael Emmenegger, Co-Präsident von «Leben mit Lungenkrebs»

Herr Emmenegger, Sie waren selbst von einem Lungenkarzinom betroffen. Wie wurde Ihre Erkrankung entdeckt?

Nach meiner Diagnose COPD vor vier Jahren, habe ich sofort mit dem Rauchen aufgehört. Vor drei Jahren litt ich unter Atemnot und dachte das würde mit meiner COPD-Vorerkrankung zusammenhängen. Der Lungenarzt stellte dann aber einen Stadium-1-Tumor fest. Dieser Krebs wäre früher oder später auch ohne die Symptome erkannt worden, da bei COPD regelmässig zur Verlaufskontrolle ein CT gemacht wird. Das ist zwar kein Screening, hat aber den gleichen Effekt.

Michael Emmenegger, ehrenamtlicher Co-Präsident "Leben mit Lungenkrebs"
KD

Michael Emmenegger, ehrenamtlicher Co-Präsident der Patientenorganisation «Leben mit Lungenkrebs»

Was würde ein Lungenkrebs-Screening bringen?

Die meisten Patienten werden erst im fortgeschrittenen Stadium 3 oder 4 diagnostiziert. Davon wollen wir wegkommen, denn da ist es fast immer zu spät. Mit einem Screening wollen wir versuchen, die Tumore bereits im Stadium 1 zu erkennen. Damit steigt die Chance, den Lungenkrebs zu überleben.

An wen würde sich das Screening richten?

An ehemalige und aktuelle Raucher, die die Absicht haben, sich einem Rauchentwöhnungsprogramm anzuschliessen. Ein negativer Screeningtest darf kein «Freifahrschein» zum Weiterrauchen sein. Das würde gar keinen Sinn machen.

Quelle: 3. OncoRoundtable des Schweizerischen Konsumentenforums (kf): «Aktuelle Krebsversorgung in der Schweiz», 7. März 2023, Bern. Veranstalter: Schweizerisches Konsumentenforum kf (Babette Sigg), Organisation & Moderation: Zumbühl & Partner Communications AG (Karin Richter).

Referenzen

  1. MSD Krebsversorgungsmonitor 2022. Krebsversorgungsqualität weiterhin sicherstellen. GFS Bern, 2022; S.4–47.
  2. Oudkerk M et al. Lung cancer LDCT screening and mortality reduction - evidence, pitfalls and future perspectives. Nat Rev Clin Oncol. 2021 Mar;18(3):135-151. doi: 10.1038/s41571-020-00432-6
  3. Bonney A et al. Impact of low-dose computed tomography (LDCT) screening on lung cancer-related mortality. Cochrane Database Syst Rev. 2022 Aug 3;8(8):CD013829. doi: 10.1002/14651858.CD013829.pub2
  4. de Koning HJ et al. Reduced Lung-Cancer Mortality with Volume CT Screening in a Randomized Trial. N Engl J Med. 2020 Feb 6;382(6):503-513. doi: 10.1056/NEJMoa1911793