Medical Tribune
24. Jan. 2024Erstmals Myelin-zerstörende T-Zellen in Patienten entdeckt

Guillain-Barré-Syndrom: Der Ursache einen Schritt näher

Das Guillain-Barré-Syndrom wird als Autoimmunerkrankung angesehen. Häufig gehen ihm Infektionen voran. Die Mechanismen, die dem Syndrom zugrunde liegen, sind jedoch noch weitgehend unklar. Eine Schweizer Forschergruppe hat nun einen wichtigen Aspekt der Krankheitsentstehung für eine Unterart der Erkrankung aufgeklärt.

Das Guillain-Barré-Syndrom führt zu oftmals schweren Lähmungserscheinungen.
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Die häufigste Unterart des Guillain-Barré-Syndroms (GBS) ist die akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP). Sie geht mit einer Schädigung der Myelinscheiden und der Schwann’schen Zellen einher.

Nun gelang es Forschern erstmals, autoreaktive T-Zellen bei Patienten mit AIDP zu isolieren. Diese können in das periphere Nervensystem einwandern und Antigene des Myelinproteins peripherer Nerven erkennen. Das ruft eine Entzündung hervor, die zur Zerstörung des Myelins führt.

Patienten, die die Erkrankung nach einer Virusinfektion entwickelten, hatten ausserdem T-Zellen im Blut, die gleichzeitig mit Myelinprotein und Virusantigenen reagierten. Das stärkt einen möglichen Zusammenhang mit Virusinfektionen.

Guillain-Barré-Syndrom

Das Guillain-Barré-Syndrom ist eine Gruppe von seltenen und heterogenen Krankheitsbildern des peripheren Nervensystems. In Europa tritt es bei rund einem bis zwei Fällen pro 100.000 Menschen auf.

Die Erkrankung geht mit einer meist schnell entstehenden schweren Muskelschwäche einher. Diese kann etwa zur Lähmung der Extremitäten und damit einer Gehbehinderung führen. In schweren Fällen sterben Patienten an einer Lähmung der Atemmuskulatur.

Die Ursachen sind noch weitgehend unbekannt – daher gibt es aktuell auch noch keine kausale Behandlung. Oft geht dem Krankheitsbeginn eine Infektion der Atemwege, oder eine Gastroenteritis mit dem Erreger Campylobacter jejuni voran.

Erkenntnis könnte Ursache des demyelinisierenden Guillain-Barré-Syndroms erklären

Die Schweizer Forschergruppe unter der Leitung von Dr. Daniela Latorre, Institut für Mikrobiologie an der ETH Zürich, identifizierte bei 12 von 15 Patienten mit AIDP autoreaktive CD4-positive Gedächtnis-T-Zellen (T-Helfer-Zellen) sowie seltene CD8-positive T-Zellen (zytotoxische T Zellen), die sich gegen Myelin-Antigene der peripheren Nerven richten. Bei Gesunden waren diese Zellen hingegen nur selten vorhanden. Und auch bei Patienten mit einem anderen Guillain-Barré-Subtyp (AMAN), und dem demyelinisierenden Charcot-Marie-Tooth-Syndrom fehlten die T-Zell-Klone grösstenteils.

Diese Beobachtung bestätigt die zuvor nur im Tiermodell beobachtete Existenz autoreaktiver T-Zellen beim Guillain-Barré-Syndrom, die gegen das Myelinprotein peripherer Nerven gerichtet ist.

T-Zellen bei GBS ähnelten autoimmunreaktiven T-Zellen

Die beobachteten autoreaktiven T-Zellen erkannten dabei unter anderem Bereiche des Myelins, die die Struktur des Proteins erhalten sollen. Im Tiermodell können T-Zellen, die gegen diese Antigene gerichtet sind, einen Phänotyp erzeugen, der dem AIDP-Typ des Guillain-Barré-Syndrom nicht unähnlich ist (experimentelle autoimmune Neuritis).

Zudem wiesen die T-Zellen einen proinflammatorischen TH1-Phänotyp, sowie eine Gen-Signatur auf, die bekannten T-Zell-Signaturen während Autoimmunkrankheiten ähnelte.  

Bei Patienten, die eine Infektion mit dem Herpesvirus CMV durchgemacht hatten, fanden die Forscher ausserdem T-Zellen, die nicht nur mit dem körpereigenen Myelinprotein reagierten, sondern auch gleichzeitig mit CMV-Antigenen. Das legt nahe, dass der Entstehung autoreaktiver T-Zellen bei AIDP-Patienten eine Virusinfektion zugrunde liegen könnte.

Kausale Therapie lässt noch auf sich warten

Trotz der heutigen Behandlungsoptionen bleiben fast 20 Prozent der GBS-Patienten schwer behindert, und fast fünf Prozent sterben an Erkrankungen der Atemwege. Neue Erkenntnisse zum Krankheitsmechanismus wie die vorliegende Arbeit werden daher dringend erwartet, um möglicherweise eines Tages eine kausale Behandlung für das Guillain-Barré-Syndrom zu erhalten.