Medical Tribune
15. Apr. 2024Die unterschiedlichen Facetten des nichtdentalen Gesichtsschmerzes

Neuralgie? Neuropathie? Fazialer primärer Kopfschmerz?

Gesichtsschmerzen können in vielen Variationen auftreten. Dazu gehören attackenförmige und persistierende Schmerzen, Beschwerden mit klar erkennbarer Ursache, oder solche, die idiopathisch sind. Was spricht für eine Trigeminus(ast)-Neuralgie, eine faziale Migräne, oder idiopathischen bzw. neuropathischen Gesichtsschmerz?

Abstraktes Porträtgemälde mit zwei Gesichtern auf rotem Hintergrund
sSplajn/gettyimages

Um der Ursache nicht-dental bedingter Gesichtsschmerzen in der Praxis auf die Spur zu kommen, bietet sich nach Aussage von PD Dr. Gudrun Gossrau, Universitätsklinikum Dresden primär der folgende diagnostische Gedankengang an: Tritt der Schmerz attackenartig auf, steckt möglicherweise eine Neuralgie von Trigeminus, Occipitalis oder Glossopharyngeus dahinter, oder es liegen faziale primäre Kopfschmerzen (faziale Migräne, faziale trigeminoautonome Kopfschmerzen) vor.

Persistierende Gesichtsschmerzen können neuropathisch bedingt sein oder idiopathisch vorkommen. Für vier dieser Entitäten stellte die Neurologin jeweils eine Kasuistik vor.

Kasuistiken: Faziale Migräne, Trigeminus-Neuralgie, idiopathischer und neuropathischer Gesichtsschmerz

Fall 1:

Eine 60 Jahre alte Patientin leidet seit mehr als 20 Jahren an einer episodischen Migräne mit und ohne Aura. Sie erhält aktuell eine Prophylaxe mit 2 × 500 mg Topiramat und hat darunter «nur» noch vier bis sechs Attacken pro Monat. Unabhängig von den bekannten Migränesymptomen sind seit 2019 regelmässige Gesichtsschmerzattacken hinzugekommen.

Sie werden von der Patientin als pochend-ziehend im Bereich des Oberkiefers beschrieben. Photophobie und Übelkeit treten ebenfalls auf. Weder kommt es zuvor zu einer Aura noch gibt es sensorische Defizite. 75 Prozent dieser Attacken sprechen auf die Gabe von 100 mg Sumatriptan an. Dies ist ein Beispiel für eine faziale Migräne, erklärte Dr. Gossrau.

Fall 2:

Seit vier Jahren klagt eine 38-Jährige über dumpfe Dauerschmerzen in der rechten Gesichtshälfte, deren Stärke auf der visuellen Analogskala (VAS) mit 6/10 angegeben wird. Eine Therapie mit Carbamazepin 2 × 400 mg/d blieb ohne Effekt, und auch die zahnärztliche Therapie konnte die Beschwerden nicht lindern.

In diesem Fall lautete die Diagnose persistierender idiopathischer Gesichtsschmerz. Er ist definiert als ein Schmerz im Gesicht und/oder im Mundbereich, der mindestens drei Monate täglich über mehr als zwei Stunden auftritt, schwer zu lokalisieren ist und nicht dem Versorgungsgebiet eines peripheren Nervens folgt. Die Schmerzqualität ist dumpf oder bohrend. Die klinische neurologische sowie die zahnärztliche Untersuchung sind unauffällig. Zudem darf das Krankheitsbild nicht besser durch eine andere Diagnose gemäss ICHD-3 (International Classification of Headache Disorders, 3. Auflage) erklärbar sein.

Fall 3:

Einschiessende Schmerzen, als würde jemand das linke Nasenloch ausbrennen – so beschrieb ein 62 Jahre alter Patient drei Tage nach einem Schlaganfall seine Beschwerden. Zudem hatte er einen Sensibilitätsausfall der linken Gesichtshälfte. Ab Woche 7 entwickelte sich ein Dauerbrennen in V 1–3, meist periorbital. Im weiteren Verlauf kam es zu einschiessenden Attacken mit Blitzen über V2, die bis zu einer Minute anhielten. Dieser Patient hatte nach einem PICA-Infarkt einen zentralen neuropathischen Gesichtsschmerz entwickelt.

Was gegen eine Trigeminusneuralgie spricht

In diesen Fällen liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Trigeminusneuralgie vor:

  • der Schmerz überschreitet die Mittellinie
  • es bestehen gleichzeitig deutliche neurologische Ausfälle
  • es besteht ein Dauerschmerz
  • der Patient berichtet, er werde nachts durch die Attacken aus dem Schlaf gerissen

Fall 4:

Attackenartige Schmerzen im Bereich des linken Kiefergelenks bis zur Unterlippe, die durch Essen und Berührung ausgelöst werden und bis zu zwei Minuten anhalten: Diese Symptomatik sprach bei einer 51-Jährigen zusammen mit einer positiven Familienanamnese deutlich für eine Trigeminusneuralgie.

Von dieser Erkrankung ist auszugehen, wenn die folgenden diagnostischen Kriterien nach ICHD-3 erfüllt sind:

A: Es kommt zu wiederkehrenden paroxysmalen unilateralen Schmerzattacken ausschliesslich in Gesichtsbereichen, die von einem oder mehreren Ästen des N. Trigeminus versorgt werden. Zudem müssen die Kriterien B und C erfüllt sein.

B: Der Schmerz hält Sekundenbruchteile bis maximal zwei Minuten an, ist von starker Intensität und hat eine stromstossartige, einschiessende stechende oder scharfe Qualität.

C: Harmlose Reize im Versorgungsgebiet des Trigeminusastes lösen die Attacken aus.

D: Keine andere ICHD-3-Diagnose kann die Beschwerden besser erklären.

Häufig haben die Betroffenen zusätzlich zu den paroxysmalen auch persistierende Beschwerden. Bei manchen sind sie als Hintergrundschmerz von Beginn an vorhanden, bei anderen entwickeln sie sich erst nach Jahren mit rein paroxysmalen Attacken. In einer Studie mit 158 Trigeminusneuralgie-Patienten lag die Rate derer mit zusätzlichen persistierenden Schmerzen bei fast 50 Prozent.

Wenn nur ein Endast betroffen ist

Die Nasociliarneuralgie imponiert klinisch wie eine Trigeminusneuralgie, ist aber auf das Versorgungsgebiet des N. nasocilaris (Endast von V1) beschränkt, erklärte PD Dr. Janne Gierthmühlen von der Interdisziplinären Schmerz- und Palliativambulanz am Universitätsklinikum Kiel. Getriggert werden die Schmerzattacken durch Kauen, Berührung oder lokalen Druck auf das ipsilaterale Nasenloch, den inneren Augenwinkel oder den Nasenrücken. Ursachen können Entzündungsprozesse im Bereich der Siebbeinzellen oder der Keilbeinhöhle sein. Vielfach ist die Ursache jedoch unklar.

Die Auriculotemporalisneuralgie wird gekennzeichnet durch meist brennende, minutenlang anhaltende Schmerzen im Bereich des Endastes von V3. Durch den Anteil parasympathischer Fasern sind Hautrötung und Hyperhidrose möglich. Verletzungen oder Entzündungen der Parotis gelten als Ursache. Kauen und saure Speisen können die Schmerzen auslösen. Es gibt eine idiopathische Form.

Je nachdem, ob sich in der kranialen MRT eine neurovaskuläre Kompression mit morphologischen Veränderungen der Trigeminuswurzel nachweisen lässt, unterscheidet man die klassische Trigeminusneuralgie (mit positivem Nachweis) von der idiopathischen ohne relevanten Gefäss-Nerven-Konflikt. Bevor man die eine oder die andere Diagnose stellt, müssen allerdings andere Ursachen einer Trigeminusneuralgie, z.B. eine Multiple Sklerose oder eine Raumforderung, ausgeschlossen sein. An eine solche sekundäre Form, die in bis zu 15 Prozent der Fälle vorliegt, ist z.B. zu denken, wenn sich die Trigeminusneuralgie bei jüngeren Patienten manifestiert, sie bilateral auftritt oder mehrere Äste betroffen sind.

Von der Trigeminusneuralgie abzugrenzen ist die schmerzhafte Trigeminusneuropathie, die z.B. durch einen Zoster oder posttraumatisch verursacht wird. Sie geht üblicherweise mit dauerhaften (Brenn-)Schmerzen, sensiblen Defiziten und/oder einer Hyperalgesie/Allodynie einher. Kurze paroxysmale Attacken sind aber nicht ausgeschlossen.