Medical Tribune
20. Juli 2023EAN 2023

Mit Psychotherapie, Selbstmanagement und Hirnstimulation gegen Long Covid

Fatigue, Post-exertionelle Malaise, Depressionen: Neurologische Probleme sind die hartnäckigsten Symptome bei Personen mit Long Covid. Drei Experten berichten, was sich in den letzten Jahren bei der Diagnose und Behandlung von Neuro-Covid getan hat.

Langsam trudeln neue Behandlungsansätze für Long Covid ein.
BlackSalmon/gettyimages

«Geschätzte 17 Millionen Menschen litten in den ersten drei Pandemiejahren in Europa unter einer Post-Covid-Symptomatik», berichtet Prof. Dr. Sasa R. Filipovic von der Universität Belgrad am Europäischen Neurologenkongress EAN (1).

Darunter versteht man nach aktueller WHO-Definition Symptome, die innert drei Monaten nach der Coronavirus-Infektion entweder bestehen bleiben oder neu auftreten. Für die Erfüllung der Long-Covid-Definition müssen sie mindestens zwei Monate andauern, und dürfen nicht durch andere Ursachen erklärbar sein.

Riesenprobleme Fatigue und Belastungsintoleranz

In den riesigen Symptomkreis von Long Covid fallen dabei neben Erkrankungen der Atemwege und der Myokarditis auch viele neuropsychologische Symptome. Das wundert den italienischen Neurologen Dr. Francesco Cavallieri von der Universität Reggio Emilia nicht (2). «Viele Gewebe, unter anderem das Zentralnervensystem, exprimieren ACE2, das Molekül, an das SARS-CoV-2 andockt. Im Gehirn weisen etwa Neuronen, Astrozyten, die Mikroglia und die Endothelzellen ein niedriges Level des Virusrezeptors auf.» Durch die hohe Dichte an ACE-Molekülen am Riechepithel kommt es so bei Vielen durch die Infektion etwa zum Verlust des Geruchssinnes.

Während aber die allermeisten Long-Covid-Symptome binnen eines Jahres nach der Infektion verschwinden, erweisen sich zwei neurologische Symptome immer wieder als schwer behandelbar: Die Fatigue und die Post-Exertional Malaise (Belastungsintoleranz). Sie sind bei einem Grossteil der rund zehn Prozent der Betroffenen vorhanden, die sich innerhalb der ersten sechs bis zwölf Monate nach der Infektion nicht vollständig erholen.

Dies führt oft zu starken Einschränkungen im täglichen Leben, berichtet Prof. Filipovic. Ein Grossteil der langfristig eingeschränkten Patienten bleibt etwa auch über verlängerte Zeiträume arbeitsunfähig. Steigen Patienten dann nach teilweiser oder gänzlicher Erholung wieder in den Job ein, tun sie dies häufig lediglich mit reduzierter Stundenzahl. «Mit teils grossen finanziellen Konsequenzen».

Long Covid-Management abgeleitet vom Chronic-Fatigue-Syndrom und der Multiplen Sklerose

Wenig überraschend wird aktuell daher mit Hochdruck daran geforscht, wie Betroffene eine Symptombesserung erlangen könnten. Anhaltspunkte kommen dabei aus der Rehabilitation von Patienten mit Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrom (ME/CFS) oder Fatigue aufgrund von Multipler Sklerose (MS). Diesen weisen ähnliche Symptome auf, und neurophysiologische Daten deuten auf einen ähnliche Kausalität der Fatigue bei allen drei Erkrankungen hin. Massnahmen, die bei ME/CFS und MS-Fatigue greifen können, sind daher auch bei einigen Patienten mit Long Covid erfolgreich.

Am wichtigsten sind dabei verhaltenstherapeutische Massnahmen zum Krankheitsmanagement, die zur Stressreduktion und besseren Einteilung der körperlichen, kognitiven und psychischen Kräfte (Pacing) führen sollen. Dabei wird etwa erlernt, gezielte Erholungspausen in den Tagesablauf einzuplanen. Aber auch eine gezielte Physiotherapie mit sanftem Fitness- oder Krafttrainings kann einigen Patienten helfen, so Prof. Filipovic.

Medikamente gegen die Fatigue sind hingegen noch recht wenig erforscht, obwohl einige Substanzen, wie Amantadin und Modafinil, gelegentlich Erfolge bei Patienten mit MS-Fatigue zeitigen. «Einen Versuch sind diese Substanzen möglicherweise auch bei bestimmten Long-Covid-Betroffenen wert», sagt Prof. Filipovic.

Problematisch zu behandeln ist auch die Belastungsintoleranz, bei der 12 bis 72 Stunden nach kognitiver, körperlicher oder emotionaler Überlastung eine Verschlimmerung der vorhandenen Symptome auftritt. «Hier basiert die Behandlung hauptsächlich auf einer Verhaltenstherapie, Selbstmanagement und einer Anpassung des Verhaltens, um die Symptome zu kontrollieren und die sogenannten ‹Crashes› zu vermeiden.

Erste Erfolge mit transkranieller Gleichstromstimulation

Darüber hinaus gibt es auch erste Studien, die zeigen, dass eine nichtinvasive Hirnstimulation die Fatigue verbessern kann. Bei der transkraniellen Gleichstromstimulation (transcranial direct current stimulation, tDCS) Zielbereiche im präfrontalen oder posterioren parietalen Cortex stimuliert. Die meisten Daten kommen dabei wieder aus der MS-Forschung. Die transkranielle Gleichstromstimulation konnte hier die subjektiv empfundene Fatigue von MS-Patienten im Vergleich zu einer Placebo-Behandlung verbessern.

Nun legt eine neue Veröffentlichung nahe, dass auch Patienten mit Post-Covid-Fatigue von der Hirnstimulation profitieren könnten (4). Nach zehn tDCS-Einheiten verbesserte sich dabei der Gesamt-Fatigue-Score der Teilnehmer mit wirksamer Stimulation. Im Speziellen bei kognitiven Symptomen gaben die Patienten aus der tDCS-Gruppe Erleichterungen an. Aber auch bei begleitenden Symptomen der Fatigue, wie Angststörungen, der Lebensqualität und Schmerzen gab es ansatzweise Verbesserungen.

Psychische Probleme unterdiagnostiziert

Die Begleitsymptome Depressionen, Angst und Schmerzen bei Patienten mit Long Covid beschäftigen auch Dr. Christian Stubbe, Internist an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Vor allem psychische Störungen bei den Patienten würden häufig verschleppt, bemängelt er.

Das liegt zum einen daran, dass viele Betroffene schon von vornherein einen langen Weg zur richtigen Diagnose haben. Patienten werden dabei von Spezialisten zu Spezialisten geschickt, etwa vom Allgemeinmediziner zum Kardiologen, und vom Kardiologen zum Neurologen. Nur sehr wenige würden laut Dr. Stubbe aber einen Psychiater oder einen Psychologen konsultieren. «Dabei ist eines der häufigsten Symptome der Patienten, nach der Fatigue und kognitiven Einschränkungen, die leichte bis mittelschwere Depression.»

Während aber bei fast allen Patienten ein Blutbild gemacht wird – das laut Dr. Stubbe meist nur unbedeutende Auffälligkeiten wiedergibt – wird die psychische Gesundheit der Betroffenen von Ärzten zumeist ausser Acht gelassen.

Ärztliche Vorurteile, abnorme Immunsysteme

Was die Diagnose zusätzlich verzögern kann, sind auch Vorurteile einzelner Ärzte gegenüber dem Symptombild Long Covid überhaupt. «Unsere Patienten berichten von Kardiologen, die ihnen sagten: ‹Warum sind Sie da, ich glaube nicht an Post-Covid.›» Dr. Stubbe führte dazu mit Kollegen in der Long-Covid-Ambulanz der LMU eine eigene Studie durch. Darin sah man, dass Patienten mit Long Covid ihre körperliche Gesundheit, sowie die Intensität ihrer Schmerzen viel schlechter einschätzten als ihre behandelnden Internisten. «Da gibt es offenbar eine starke Dissonanz. Wenn man glaubt, der Patient übertreibt, nimmt man ihn nicht ernst.»

In weiteren Untersuchungen führt das Team aktuell Forschungsarbeiten durch, im Zuge derer es die Immunzell-Aktivität, das Antikörper-Repertoire und das Gerinnungssystem von Patienten mit Long Covid untersucht. «Dabei sieht man teils gewichtige Unterschiede, die aber auf einem regulären Blutbild nicht ersichtlich sind» resümiert Dr. Stubbe. Das Problem geht für ihn eindeutig über psychiatrische Probleme hinaus – «obwohl diese bei Long-Covid-Patienten deutlich unterschätzt werden.»