Medical Tribune
5. Juli 2023Bis zu zehn Prozent der Fälle könnten unterdiagnostiziert sein

Verwirrung und Unterdiagnosen bei neurologischen Covid-Komplikationen

Ärzte aller Disziplinen haben Schwierigkeiten damit, bestimmte neurologische Störungen einzugrenzen, die nach einer Covid-19-Infektion auftreten können. Vor allem bei Enzephalopathien, Enzephalitis und Psychosen gab es Verwirrung. Rund zehn Prozent der Patienten könnten daher unterdiagnostiziert sein, so das Ergebnis einer Studie, die am EAN 2023 vorgestellt wurde.

Neurologische Covid-Komplikationen könnten häufiger sein als gedacht.
DrAfter123/gettyimages

Wie gut können Ärzte auf einen Zusammenhang zwischen neurologischen Symptomen und Covid-19 schliessen? Das war die Fragestellung einer Untersuchung der britischen Neurologin Dr. Arina Tamborska von der Universität Liverpool (1,2).

Für ihre Studie lud sie weltweit Ärzte aller Disziplinen, inklusive Neurologen, ein, an einer Online-Befragung teilzunehmen, bei der zehn reale Patientenfälle präsentiert wurden. Bei ihnen sollten die Teilnehmer eine Diagnose nennen, und angeben, ob eine vorangegangene Covid-19-Infektion für die Symptome der Patienten verantwortlich sein könnte.

Zu den Erkrankungen, die zur Auswahl standen, gehörten

  • Enzephalopathie
  • Kraniale Neuropathien
  • Schlaganfall
  • Enzephalitis
  • Epilepsie
  • Sinusvenenthrombose
  • Guillain-Barré-Syndrom
  • Kopfschmerzen
  • Psychose

Die abgefragten Patientenfälle waren zuvor von einem Gremium aus zehn Neurologen, die Experten auf dem Gebiet waren, begutachtet und diagnostiziert worden. Sie legten auch fest, ob eine vorangegangene Covid-19-Infektion einen bestätigten, wahrscheinlichen, möglichen oder ausgeschlossenen Zusammenhang mit den Symptomen der Patienten hatte.

Viele «Post-Covid-Enzephalopathien» dürften fraglich sein

Insgesamt 146 Ärzte aus 45 Ländern nahmen an der Studie Teil. Ein Viertel davon gehörte einer anderen Profession als der Neurologie an. Die höchste diagnostische Trefferquote erzielten sie bei der Sinusvenenthrombose, beim Guillain-Barré-Syndrom und bei Kopfschmerzen (92-96%). Bei Psychosen und bei der Enzephalopathie hingegen gab es nur wenige richtige Antworten (43-56%). «Das ist wichtig, denn die Enzephalopathie ist eine der am häufigsten berichteten Nachwirkungen von Covid-19. Unsere Befragung deutet aber darauf hin, dass hinter einer ‹Enzephalopathie› unterschiedliche Störungen für unterschiedliche Diagnostiker stecken könnten», so die Erstautorin Dr. Tamborska.

So wurde bei einem Patientenfall, hinter dem eine Psychose steckte, häufig die Diagnose «Enzephalopathie» angegeben.

Da nicht alle Patienten mit neurologischen Symptomen sich in einer spezialisierten Klinik vorstellen, war es den Autoren wichtig, zu unterscheiden, wie Neurologen und Nicht-Neurologen diagnostizieren. «Sie schnitten ungefähr gleich gut ab», so Dr. Tamborska. Eine bessere Treffergenauigkeit hatten allerdings Kliniker, die in spezialisierten Zentren arbeiteten.

Wie oft wird Covid-19 hinter einer neurologischen Diagnose entlarvt?

Bei der Frage, ob eine Covid-19-Infektion hinter den Symptomen stecken könnten, gaben die Teilnehmer gaben in 59 Prozent der Patientenfälle die richtige Einschätzung ab. Unter den Fällen, wo eine Covid-19-Infektion die bestätigte Ursache war, waren es sogar 78,4 Prozent. Bei den Patientenfällen, wo eine Assoziation mit Covid möglich oder wahrscheinlich war, waren es rund 60 Prozent.

Die Assoziation mit Covid-19 wurde von den befragten Ärzten zu zehn Prozent unterschätzt – und das durch alle Fachrichtungen. «Kliniker unterschätzen also den Zusammenhang mit Covid-19 eher als dass sie ihn überschätzen. Covid-19 dürfte als Auslöser für neurologische Symptome also oft übersehen werden», so das Fazit der Studienautoren.