Medical Tribune
16. Apr. 2015

Traditionelle Werte, zeitgemässes Ambiente, zukunftsweisende Konzepte

BASEL – Im Gellert-Quartier betreibt Stéphane Haller seine Top­Pharm-Apotheke, die er kürzlich umgebaut hat, um Arbeitsabläufe, Warenbewirtschaftung, Beratungsangebote und das gesamte Ambiente den heutigen Erfordernissen und Kundenwünschen anzupassen. Betritt man die selbstverständlich barrierefreie Gellert-Apotheke, fällt sofort das aussergewöhnliche Raumkonzept auf.

Wo andernorts jeder Quadratmeter mit Aufstellern und Sichtwahlregalen genutzt wird, fällt die Grosszügigkeit dieser Offizin ins Auge. Verschiedene komfortable Sitzgelegenheiten laden zum Verweilen ein, und wer möchte, kann bei einer Tasse Kaffee eine kurze Wartezeit überbrücken. Wer es sehr eilig hat, ist hier ebenfalls gut beraten, denn diese Apotheke verfügt über ein Drive-in. Um die Konzeption und Hintergründe etwas genauer kennenzulernen, waren wir vor Ort und sprachen mit dem Inhaber, Apotheker Stéphane Haller.

Herr Haller, wie kamen Sie zum Apothekerberuf, und seit wann sind Sie Inhaber der Gellert-Apotheke?
Haller: Ich habe Menschen einfach gerne und denke, dass das eine entscheidende Voraussetzung für den Apothekerberuf ist. Unter diesem Aspekt des beruflichen Umgangs mit Menschen hätte ich genauso gut Medizin studieren oder Pfarrer werden können. Aber die Wahl fiel damals auf die Pharmazie. Seit dem 1.1.1998 bin ich Inhaber der Gellert-Apotheke, davor war ich für sieben Jahre Geschäftsführer einer Apotheke in Delsberg.

Was bedeutet «TopPharm-Apotheke», und was bietet dieses Netzwerk den Apothekern?
Haller: Bei TopPharm handelt es sich um eine Genossenschaft, also eine Vereinigung von selbstständigen Apothekern. Die TopPharm AG beschäftigt rund 25 Personen, die sich in erster Linie um Marketing, Fortbildung und betriebswirtschaftliche Belange kümmern. Dieses Team ist auch für unseren Auftritt am Markt, für die TV-Spots oder die Kundenzeitschrift zuständig. Als weitere wichtige Aufgabe übernimmt dieses Team die Organisation unserer Kampagnen zu aktuellen Gesundheitsthemen, sei es im Zusammenhang mit Diabetes, mit Allergien oder Zeckenschutz – um nur einige Beispiele zu nennen. Nicht zu vergessen: TopPharm handelt auch Verträge mit Lieferanten und Grossisten aus, um günstigere Konditionen zu erzielen, damit wir beim Einkauf wettbewerbsfähig bleiben – Stichwort: Apothekenketten.

Welche Vorteile haben Kunden, wenn sie (Stamm-)Kunden einer TopPharm-Apotheke werden?
Haller:
Über die Kundenkarte haben wir den Überblick über das gesamte «Health-Management» des Kunden: Wir kennen die Diagnosen und die gesamte Medikation, die vom Hausarzt, den Spezialisten oder dem Spital verordnet wurde und wir haben einen Überblick über die Selbstmedikation. Unsere PC-Programme geben auch Auskunft, wie es mit Adherence und Persistence bestellt ist. Wenn es da zu Unstimmigkeiten kommt, können wir das ansprechen und Wege suchen, um die Situation zu verbessern. Mit solchen Fragestellungen beschäftigt sich u. a. der Gesundheits-Coach.

Was hat man sich unter einem Gesundheits-Coach vorzustellen?
Haller:
Mit dem Gesundheits-Coach versuchen wir, die Apothekenkunden intensiv zu begleiten, ihnen zur Seite zu stehen, damit sie einen maximalen Vorteil von der vorordneten medikamentösen Therapie haben. Die Compliance-Förderung sehen wir als wichtige pharmazeutische Aufgabe. Ein Teil unserer Kunden hat einen persönlichen Gesundheits-Coach, andere werden von wechselnden Mitarbeitern betreut. Das muss individuell herausgefunden werden. Der Gesundheits-Coach fokussiert nicht nur auf die Krankheit, sondern wird immer auch die Ressourcen des Patienten im Auge behalten und auf die Gesunderhaltung hinarbeiten.

Welche Überlegungen standen hinter der Entscheidung, ihre Apotheke umzubauen?
Haller:
Zum einen gibt es einen durchaus egoistischen Aspekt, wenn man so will, denn ich bin sehr viel in dieser Apotheke und möchte mich wohlfühlen. Auf der anderen Seite sollen auch meine Mitarbeiter und insbesondere die Kunden von der angenehmen Atmosphäre profitieren. Als der Umbau kurz vor Weihnachten abgeschlossen war, brachte es ein Kunde auf den Punkt. Er setzte sich hin und sagte: «Am liebsten würde ich hier Weihnachten feiern.» Die Apotheke soll ein Ort der Begegnung sein und zum Verweilen einladen. Wir haben praktisch keine Laufkunden, sondern leben als Quartier-Apotheke von und mit unserer älteren Kundschaft.

Welche zukunftsweisenden Modernisierungen haben Sie durchgeführt?
Haller:
Wir haben die gesamte Informatik und das Daten-Management aktualisiert. Für die Lagerhaltung haben wir einen Roboter, der auch die Rezepte über eine Rutsche «beliefert». So haben wir mehr Zeit für den einzelnen Kunden, weil wir nicht mehr in Schränken und Schubladen die Medikamente heraussuchen müssen.

Neben der Belieferung ärztlicher Verordnungen und der Beratung in der Selbstmedikation, also den pharmazeutischen Kernkompetenzen, bieten Sie Gesundheits-Checks und Net-Care an, die Erstabklärung in der Apotheke. Wie hat man sich das vorzustellen, und wie ist die Akzeptanz?
Haller:
Mit diesen Checks für das metabolische Syndrom oder kardiovaskuläre Risikofaktoren etc. wollen wir jene erreichen, die nicht zum Arzt gehen. Durch die Erfassung des Risikoprofils können wir die Kunden motivieren, den Hausarzt zu kontaktieren. Der Schmerz-Check dient vor allem dazu, die Schmerztherapie zu optimieren: Wenn wir se­hen, dass kurz wirkende Analgetika im Übermass eingenommen werden, obwohl der Patient auch retardierte Präparate bekommen hat, können wir intervenieren und zur besseren Schmerzkontrolle (und Lebensqualität) beitragen.
Net-Care kann bei Befindlichkeitsstörungen wie Augenentzündungen oder Harnwegsinfekten sinnvoll sein: Wir haben entsprechende Algorithmen, die uns helfen, die richtigen Fragen zu stellen und nichts zu vergessen. Dann überlegen wir, ob ein «Wait and see» infrage kommt ober ob der Arzt hinzugezogen werden muss.

Ist das Ihre Antwort auf die rückläufige Zahl der Hausarztpraxen? Welche Aufgaben könnten künftig vom Apotheker übernommen werden?
Haller:
An erster Stelle steht für mich die gute, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Ärzten im Quartier zum Wohle unserer Apothekenkunden. Wir sind, wie andere Leistungserbringer, eine Eintrittspforte ins Gesundheitswesen, und vielleicht die niederschwelligste. Entscheidend ist die Triagefunktion der Apotheker. Die traditionellen Kompetenzbereiche werden sich nicht ändern.

Würden Sie dafür plädieren, dass künftig in der Apotheke verschreibungspflichtige Medikamente ohne ärztliche Verordnung abgegeben werden dürfen?
Haller:
Im Notfall erlaubt uns der Gesetzgeber, eine korrekte Dokumentation vorausgesetzt, dass wir verschreibungspflichtige Medikamente abgeben dürfen. Auch bei einer Therapieverlängerung haben wir gesetzliche Rückendeckung, wobei wir darauf zu achten haben, dass regelmässige Arzttermine wahrgenommen werden.

Sie haben das traditionelle Arzneimittelangebot längst erheblich erweitert, indem Sie beispielsweise Alltagshilfen, hochwertige Kosmetik, TCM-Fertigmischungen und, last but not least, auch Bioweine offerieren.
Haller:
Wir sind zwar offizieller Weinimporteur, doch spielt sich das in kleinem Rahmen ab, mit nicht mehr als 1000 Flaschen pro Jahr. Trotzdem ist das für mich ein wichtiger Aspekt, dass ich den Kunden etwas anbieten kann, was Freude bereitet, positive Emotionen auslöst. Und es kommt zu angenehmen Gesprächen, die oft weit über die Krankheit und das Kranksein hinausgehen. In diese Richtung geht auch das Kosmetikangebot.
Die TCM spielt eine Rolle bei Patienten, die von der westlichen Medizin enttäuscht sind, wie z. B. Schmerzpatienten mit rheumatischen Leiden. Aber auch bei Personen mit Übergewicht oder hartnäckigen Nebenhöhlenentzünden haben wir gute Erfahrungen machen können.

Bei Ihnen wird Service ganz gross geschrieben, von der Medikamentenrücknahme über den Hauslieferdienst bis hin zum Drive-in. Wie ist die Akzeptanz dieser Angebote?
Haller:
Der Drive-in ist noch neu, aber er wird bereits drei- bis viermal am Tag genutzt. Personen mit kleinen Kindern oder auch Rollstuhlfahrer nehmen das in Anspruch.

Wie sieht Ihre persönliche Vision der Apotheke im 21. Jahrhundert aus?
Haller:
Wir werden an den Medikamenten immer weniger verdienen und müssen mehr Dienstleistungen anbieten und endlich aufhören zu glauben, in der Apotheke müsse alles gratis sein. Der von den Krankenkassen bezahlte Polymedikations-Check ist eine zukunftsweisende Dienstleistung: Wenn mehr als vier Medikamente parallel eingenommen werden, können wir nicht nur prüfen, ob ein Interaktionsrisiko besteht, sondern auch sicherstellen, dass der Patient seine Therapie versteht und entsprechend korrekt durchführt. Wir bieten ausserdem an, dass wir die Medikamente für die Patienten verblistern, so dass er für jeden Wochentag, entsprechend seinem persönlichen Einnahmeschema – morgens, mittags, abends und zur Nacht – die Medikamente ausgehändigt bekommt.

Wie lautet Ihre Take-Home-Message für die pharmazeutischen Kollegen?
Haller:
Ich wünsche mir eine noch bessere Zusammenarbeit mit den Ärzten und anderen Leistungserbringern im Sinne einer Vernetzung. Das wäre von Vorteil für alle Beteiligten.

Besten Dank für das Gespräch!

Dr. Renate Weber