Medical Tribune
24. Aug. 2023Gastrales Karzinogenese-Verständnis in Frage gestellt

Helicobacter plus Genvarianten erhöhen Magenkrebsrisiko

Eine neue Studie hilft dabei, zu verstehen, wie DNA-Schäden durch Helicobacter pylori zur malignen Transformation beitragen. Eine Rolle spielt dabei die hereditäre homologen Rekombinationsdefizienz. Patienten mit pathogenen Genvarianten könnten daher von einer Eradikation des Keims besonders profitieren.

Eine Infektion mit H. pylori in Kombination mit bestimmten Risikogenen erhöhte das Magenkrebsrisiko stark.
SciePro/gettyimages

In der Überwachung und Prävention spielen bei gastralen Tumoren pathogene Genvarianten in der Keimbahn eine zentrale Rolle.

So ist etwa das Gen CDH1 ein Risikofaktor für das hereditäre diffuse Magenkarzinom. Darüber hinaus können unter anderem BRCA1/2-Alterationen das Risiko erhöhen; sie sind aber kein Bestandteil von Screening­empfehlungen.

Zusammenhang zwischen Risikoclustern und H.-pylori-Infektionen untersucht

Helicobacter pylori (H. pylori) gilt als Karzinogen der Gruppe 1 für die Entwicklung gastraler Tumoren. Es gibt es Hinweise darauf, dass die Eradikation von H. pylori die Inzidenz von Magenkrebs verringert – und zwar auch das von erblich vorbelasteten Personen.

In einer neuen Studie fanden japanische Forscher nicht nur weitere hereditäre Risikogene, die das bisherige Verständnis der gastralen Karzino­genese auf den Kopf stellen (1). Vielmehr entdeckten sie ein Zusammenspiel zwischen pathogenen Varianten in Genen für die homologe Rekombination und einer Infektion mit H. pylori. Dieses liefert einen Erklärungs­ansatz, wie die durch das Bakterium verursachten DNA-Schäden zur Tumorent­stehung beitragen.

Basis waren die Daten von 10.426 Magenkrebspatienten und 38.153 Kontrollen der Biobank der HERPACC (hospital-based epidemiologic research program at Aichi Cancer Center)-Studie. Die Teilnehmerdaten wurden hinsichtlich pathogener Varianten in 27 Krebsprädispositionsgenen und gastralem Karzinom­risiko analysiert. Die Forscher evaluierten darüber hinaus den kombinierten Effekt aus pathogenen Varianten und H.-pylori-­Infektionsstatus. Dabei berechneten sie das kumulative Risiko in einer Gruppe von 1.433 Erkrankten und 5.997 Kontrollen des HERPACC.

Mutationsträger deutlich jünger bei Diagnose

Pathogene Keimbahnvariationen von neun Genen – APC, ATM, BRCA1/2, CDH1, MLH1, MSH2/6 und PALB2 – erwiesen sich als mit dem Risiko für gastrale Tumoren assoziiert. Mit steigendem Alter zum Zeitpunkt der Diagnose verringerte sich der Anteil der Träger. Personen mit einer pathogenen Variante in APC, CDH1 oder MLH1 waren bei Diagnose­stellung median mehr als zehn Jahre jünger als Nicht-Träger.

In der HERPACC-Population entdeckten die Forscher 74 unterschiedliche pathogene Varianten in den neun Risikogenen. 88,9 Prozent der Träger und 86,4 Prozent der Nicht-Träger waren mit H. pylori infiziert. Dabei gab es Interaktionen zwischen Infektion und pathogenen Varianten in Genen für die homologe Rekombination. Das relative übermässige Risiko aufgrund der Interaktion bezifferten die Wissenschaftler mit 16,01.

Als ein möglicher Mechanismus komme die durch das Bakterium verursachte genomische Instabilität infrage, die aufgrund einer verringerten DNA-Reparatur nicht behoben werden kann. Die Daten legen nahe, dass die Evaluation und Eradikation von H. pylori bei Trägern pathogener Varianten in Genen für die homologe Rekombination besonders wichtig ist, so die Forscher.

Wichtiger Treiber der Karzinogenese

Bisher ging man davon aus, dass hereditäre Keimbahnmutationen, z.B. in CDH1 oder MLH1, nur für ein bis drei Prozent der gastralen Krebsfälle verantwortlich sind, schreiben Professor Dr. ­Anne Müller und Dr. ­Jiazhuo He von der Universität Zürich in ihrem Editorial (2). Die Hypothese, dass Magenkarzinomen meist keine erbliche Komponente zugrunde liegt, werde aufgrund der vorliegenden Studie infrage gestellt. Die durch H. pylori­ verursachten DNA-Schäden sind, sofern sie nicht (korrekt) repariert werden, ein wichtiger Treiber der gastralen Karzinogenese.

Dank der neuen Daten beginne man nun endlich zu verstehen, wie die DNA-Schäden durch H. pylori zur malignen Transformation beitragen: und zwar im Kontext einer hereditären homologen Rekombinationsdefizienz. Dies sei ein Beispiel einer «Multihit»-Karzinogenese, für die zwei oder mehr «hits» für die Krebsentstehung benötigt werden, resümieren die Kommentatorinnen.

Blick auf das Lebenszeitrisiko

Das kumulative Magenkrebsrisiko betrug bei 85-jährigen Personen ohne Infektion, unabhängig vom Trägerstatus, weniger als fünf Prozent. Demgegenüber hatten Menschen mit einer Infektion mit Helicobacter pylori und einer pathogenen Variante mit 45,5 versus 14,4 Prozent ein höheres kumulatives Risiko für gastrale Tumoren als Menschen mit Infektion, aber ohne pathogene Varianten.