Medical Tribune
28. Sept. 2016Von 15 Säuglingen hat einer ein Hämangiom.

Blickdiagnose reicht beim infantilen Hämangiom nicht immer aus

Im Alter von drei Monaten erreichen die infantilen Hämangiome durchschnittlich 80 % ihrer maximalen Grösse. Allerdings können tiefe Blutschwämme, die subkutan wachsen, auch später noch proliferieren und dadurch eventuell lokale Probleme hervorrufen.

Die genaue Pathogenese der Hämangiome ist noch unklar, erklärte Dr. Lisa Weibel, Universitätsspital Zürich. Doch es gibt einige Hypothesen: Zu diesen zählen die somatische Mutation in Hämangiom-Stammzellen, die Plazenta-Theorie (Unterversorgung bestimmter Hautregionen) und die Hypoxie-induzierte Proliferation.

Meist bilden sich die vaskulären Tumoren spontan in einem Alter von zwei bis vier Jahren zurück. Dennoch verbleiben in bis zu 65 % der Fälle Hautveränderungen, die die Kinder ästhetisch stören.

Hämangiome sind meist eine Blickdiagnose, weiterführende Untersuchungen werden nur in speziellen Situationen gebraucht. So empfiehlt sich eine Bronchoskopie bei Tumoren des seitlichen Gesichts in Höhe der Ohrspeicheldrüse. Denn diese Läsionen sind nicht selten assoziiert mit einem Atemwegshämangiom, das evtl. einen Stridor hervorruft.

Mehr als fünf? Leber schallen!

Hämangiome in der Lumbosakralregion stehen in 60 % der Fälle in Verbindung mit einer spinalen Dysraphie mit spinalen Lipomen und intraspinalen Hämangiomen. Zudem muss man mit urogenitalen Anomalien, einer Myelopathie, Knochendeformitäten sowie anorektalen Malformationen rechnen. Bei der Abklärung kommen Abdomensonographie und MRT (Spinalbereich, kleines Becken) zum Einsatz.

Bei allen Kindern mit fünf oder mehr kutanen Hämangiomen sollte eine Lebersonographie durchgeführt werden, um eine multifokale Leberhämangiomatose zu erkennen. Diese ist zwar per se nicht bedrohlich, aber manchmal mit Zusatzbefunden wie einer Hypothyreose verbunden.

Grössere segmentale Hämangiome im Kopf-Hals-Bereich (> 5 cm Durchmesser) sind das Leitsymptom des PHACE-Syndroms, einem Komplex von arteriellen, kardialen und okulären Anomalien. Nach diesen sollte mittels MR-Angiographie (Kopf und Hals), Echokardiographie und ophthalmologischer Untersuchung gefahndet werden. Wegen der häufig begleitenden Hypothyreose gehört auch eine TSH-Bestimmung zum Programm.

Therapeutisch sind Betablocker erste Wahl

Die Behandlung infantiler Hämangiome ist immer dann indiziert, wenn ein Risiko für störende Residuen, Narben oder Ulzera besteht. Orales Propranolol gilt unbestritten als Mittel der ersten Wahl. Die Medikation sollte nach kardialer Voruntersuchung frühzeitig begonnen werden, d.h. vor der maximalen Proliferation im Alter von vier bis acht Wochen. Empfohlen wird eine Tagesdosis von 2-3 mg/kgKG, verteilt auf zwei oder drei Portionen – nach dem Füttern. Die Therapie wird unter einem begleitenden Monitoring von Herzfrequenz und Blutdruck mindestens sechs Monate, oft länger, durchgeführt.

Kleinere oberflächliche Blutschwämme lassen sich effektiv mit topischen Betablockern angehen, z.B. 0,5%igem Timolol-Gel. Allerdings besteht vor allem bei Neugeborenen, grösserer Hämangiomfläche und bei Ulzerationen ein Risiko für eine systemische Resorption. Die Subs­tanz ist immerhin achtmal potenter als Propranolol und ein Monitoring entfällt bei einer topischen Therapie meist, räumte die Schweizer Kollegin ein. Die Frage, ob die topische Timolol-Therapie sicher ist, kann somit noch nicht abschliessend beantwortet werden.

Quelle: FOBI*2016
*25. Fortbildungswoche für praktische Dermatologie und Venerologie