Medical Tribune
8. Juli 2016Immuntherapie spielt eine zentrale Rolle

Immuntherapie auf dem Vormarsch, 
Smartphone-App verlängert Überleben

Die Jahresversammlung der American Society for Clinical Oncology (ASCO) ist weltweit die grösste Veranstaltung in der onkologischen Disziplin. In diesem Jahr spielte die Immuntherapie eine zentrale Rolle: Sie wird bei immer mehr Krebstherapien getestet, bei einigen Indikationen ist sie praktisch schon Standard.

Über 30 000 Teilnehmer waren an den weltweit grössten Krebskongress nach Chicago gekommen. Das weitläufige McCormick-Kongresszen­trum, drei Metrostationen südlich der City, war eine Herausforderung für die Schrittzähler der Kongressteilnehmer.

10 Jahre Aromatasehemmungreduziert Rezidive

Aufsehen erregte eine randomisierte Phase-III-Studie mit Letrozol: Eine zehnjährige Hormontherapie verringert das Risiko für das Wiederauftreten von Brustkrebs, ohne die Lebensqualität negativ zu beeinflussen. Die Studie, die unter der Leitung der Canadian Cancer Trials Group und Beteiligung des National Clinical Trials Network durchgeführt wurde, ist als die Studie mit dem grössten Impact an patientenzentrierter Fürsorge am diesjährigen Kongress ausgezeichnet worden.

1918 postmenopausale Frauen erhielten eine Aromatasehemmer-Therapie anstelle der üblichen fünf Jahre über zehn Jahre und wurden mit einer Placebogruppe verglichen. Zwar konnte man noch keinen Unterschied beim Gesamtüberleben erkennen, aber das Risiko für das Wiederauftreten der Erkrankung war um 34 % reduziert.

MooveCareTM-Appbei Lungenkrebs

In der SENTINEL-Studie berichteten Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs im Follow-up per Smartphone-App namens MooveCareTM über ihre Symptome. Die französische Studie musste vorzeitig abgebrochen werden. Die App verlängerte nämlich das Gesamtüberleben auf erstaunliche 19 Monate im Vergleich zu zwölf Monaten bei denjenigen Patienten mit Standard-Nachkontrolle. «Mit dem personalisierten Follow-up mittels dieser einfachen Online-Applikation können wir Komplikationen und Anzeichen für eine Rückfall früher erkennen und angemessen reagieren», sagte Studienleiter Dr. Fabrice Denis, Le Mans.

Zu viel Aggressivität bei terminalen Patienten

Bei jungen Patienten mit nicht heilbarem Krebs werden zu häufig aggressive therapeutische Massnahmen eingesetzt, meinte Dr. Ronald C. Chen, Chapel Hill, USA. Er und seine Kollegen haben die Daten von 28 731 Patienten analysiert. Über 70 % erhielten noch in den letzten 30 Tagen ihres Lebens eine aggressive Behandlung. Die Autoren verglichen auch die Situation vor der sogenannten ASCO Choosing Wisely-Kampagne 2012 mit der von 2014. Gross geändert hat sich nichts, im Gegenteil: Bei Lungen-, Pankreas- und Prostatakrebs haben unnötige aggressive Massnahmen am Lebensende sogar zugenommen. Beim kolorektalen Karzinom und Brustkrebs ist die Lage unverändert.

Intraperitoneal applizierte Chemotherapie

30–40 % der Patientinnen mit Ovarialkrebs erhalten in Europa und Nordamerika eine neoadjuvante Therapie. Für manche Frauen, die erfolgreich operiert worden sind, bietet sich die intraperitoneale Applikation der Chemotherapie an. Damit wird eine höhere Konzen­tration am Tumor mit Aussparung anderer Körperteile erreicht. 23,3 % der Frauen, die die Chemotherapie intraperitoneal und intravenös (IP/IV) erhielten, hatten eine Progression im 9. Monat der Behandlung im Vergleich zu 42,2 % der Frauen, die nur die intravenöse Form (IV) erhalten hatten.

Studienleiterin Dr. Helen Mackay aus Toronto sagte dazu: «In diesem frühen Zeitfenster haben wir festgestellt, dass es Frauen mit der intraperitonealen Chemotherapie besser geht, ohne dass uns ein signifikanter Unterschied bei den Nebenwirkungen aufgefallen wäre.» Das mediane progressionsfreie Überleben lag in der IP/IV-Gruppe bei 12,5 Monaten im Vergleich zur IV-Gruppe mit 11,3 Monaten, das Gesamtüberleben bei 59,3 vs. 38,1 Monaten. Die Studie mit 275 Teilnehmerinnen war für das Gesamtüberleben nicht gepowert, weshalb dieser Unterschied statistisch nicht signifikant ist.

Immuntherapie ist die Sensation am ASCO 2016

An der Session «Novel Direction of Clinical Trial Design» ging es u. a. darum, wie die Immuntherapie in die aktuellen Therapiemodelle integriert werden kann. So haben z. B. PD-1-Inhibitoren wie Pembrolizumab oder Nivolumab Behandlungen grundlegend umgestaltet, was andere Immuntherapien nicht erreicht haben, erklärte Professor Dr. Anthony W. Tolcher, Vancouver. Eine Analyse der bei clinicaltrails. gov gelisteten Studien zeigt, dass die Immuntherapie bei Melanom, NSCLC, Nieren-, Blasen- und Hals- und Kopfkrebs wirksam ist, während die meisten Patienten mit Kolonkrebs, Sarkom und ösophagealem Karzinom bislang keine Vorteile gezeigt haben.

Professor Dr. Howard A. Burris, London, erläuterte die Strategie, mittels Kombinationen die Immuntherapie effektiver zu machen. Derzeit laufen Hunderte von Untersuchungen, darunter 85 mit Ipilimumab, 149 mit Pembrolizumab, 104 mit Nivolumab und 42 mit dem noch nicht zugelassenen Atezolizumab.

Laut Prof. Burris bieten sich zahlreiche Kombinationsmöglichkeiten mit Checkpoint-Inhibitoren an: IDO-Pathway-Inhibitoren, onkolytische Viren, adoptiver T-Zell-Transfer, T-Zell-Engineering, kleine Moleküle, die ein immunaktives Umfeld schaffen (wie anti-EGFR, anti-VEGF), Impfstoffe, Chemound Strahlentherapie.

Biosimilars auch in der Onkologie?

Biosimilars könnten in Zukunft auch eine Rolle in der Onkologie spielen. Am Kongress wurde eine Phase-III-Studie mit dem Trastuzumab-Nachahmer MYL-14010 vorgestellt. 500 Frauen mit metastasiertem, HER2-positivem Brustkrebs erhielten zusätzlich zur Chemotherapie mindestens acht Zyklen Trastuzumab oder MYL-14010 als Erstlinienbehandlung. An einer Pressekonferenz erklärten die Autoren, dass die Ansprechrate des Nachahmers derjenigen des Originals entspräche, dass hinsichtlich der Sicherheit keine signifikanten Unterschiede aufgetreten seien und dass es sich um eine der ersten Studien handle, welche die Wirksamkeit eines Biosimilars mit dem Trastuzumab-Original verglichen hätte. Bislang ist weder in Europa noch in den USA ein onkologisches Biosimilar zugelassen.

Krebsverhütung durch Impfung

Jedes Jahr erkrankt eine Million Menschen wegen einer Virusinfektion an Krebs. Hauptsächlich sind das humane Papillomavirus (HPV), das Hepatitis-B- (HBV), das Hepatitis-C- (HCV) und das Epstein-Barr-Virus (EBV) dafür verantwortlich. Gegen HBV und einige HPV-Genotypen gibt es bereits Impfstoffe. HPV spielt eine Rolle im Zusammenhang mit dem Zervixkarzinom, oropharyngealem, vaginalem, Vulva-, Anal- und Peniskrebs. Alle diese Krebsarten treten überproportional in armen bzw. Entwicklungsländern auf, weshalb die Experten diesbezüglich besondere Anstrengungen fordern.