Medical Tribune
15. Dez. 2015Philadelphia-Chromosom

Wird die CML heilbar?

Bei vielen Krankheiten überlegen wir, wann wir mit einer Therapie beginnen sollen. Bei der CML sind wir heute soweit, dass wir überlegen, wann wir die Therapie beenden sollen, weil unsere Patienten sie nicht mehr benötigen, sagte Dr. Thoralf Lange, Asklepios Klinik Weissenfels, an der gemeinsamen Jahrestagung der deutschsprachigen Fachgesellschaften für Onkologie und Hämatologie.

Bereits 1845 hat Virchow die CML zum ersten Mal beschrieben. 1960 wurde von Nowell und Hungerford das Philadelphia-Chromosom identifiziert. 1983 wurde der Zusammenhang von BCR-ABL, Tyrosinkinase und t(9;22) erkannt und 1986 gelang die Charakterisierung von BCR-ABL. Mit der Entwicklung des ersten selektiven BCR-ABL-Tyrosinkinasehemmers 1996, dem Imatinib, begann eine aufregende Medikamentenentwicklung.

2001 wurde Imatinib als erster TKI in der Zweitlinienbehandlung der CML zugelassen und wurde als erste Innovation mit dem zu dieser Zeit in der Schweiz durch Medical Tribune neu eingeführten Prix Galien ausgezeichnet. 2003 führten die Ergebnisse der IRIS-Studie zur Zulassung in der ersten Linie der CML. 2006 wurden die TKIs der zweiten Generation, Dasatinib und Nilotinib, in der zweiten und 2011 Nilotinib in der Erstlinie zugelassen. Die 2011 publizierte STIM-Absetzstudie von Mahon, die EURO-SKI-Studie aus dem gleichen Jahr und der Start der Studien ENESTfreedom, ENESTPath und ENESTop sollen zu mehr Klarheit bezüglich einer Therapiefreiheit für die betroffenen CML-Patienten führen.

Die Inzidenz der CML steigt pro Jahr um etwa 0,01/100 000. Wird im «worst Case» eine Inzidenz von 2/100 000 angenommen, werden wir 2015 mit über 350 000 Betroffenen in Europa rechnen müssen, allerdings bei einer Mortalität von nur noch 2 % pro Jahr, betonte Dr. Lange.

Optimales Therapieziel erreichen

Als optimales Therapieziel nach Leitlinien gilt bei der CML eine BCR-ABL ≤ 10 % und/oder Ph+ ≤ 35 % nach drei Monaten, eine BCR-ABL < 1 % und/oder Ph+ = 0 nach sechs Monaten (komplette zytogenetische Remission, CCyR), eine BCR-ABL ≤ 0,1 % nach zwölf Monaten (gute molekulare Remission, MMR) und dann anschliessend und zu jeder Zeit eine BCR-ABL ≤ 0,1 %. Eine tiefe molekulare Remission ist letztlich erreicht, wenn der BCR-ABL-Wert ≤ 0,01 % (MR4) bzw. ≤ 0,0032 % (MR4, 5) beträgt.

Für das Gesamtüberleben nach fünf Jahren ist die frühe molekulare Antwort (Early Molecular Response, EMR) ein wichtiger Parameter. Bei Patienten mit fehlender EMR, d. h. BCR-ABL > 10 % nach drei Monaten Therapie, zeigt sich ein schlechtes 5-Jahres-Gesamtüberleben. Die Raten einer fehlenden EMR sind unter Imatinib 400 mg/d grösser als unter Nilotinib 600 mg/d, betonte Dr. Lange.1

Im ENESTnd 6-Jahres-Update erreichten 55 % der Patienten mit Nilotinib 300 mg/2 × täglich und 56 % unter Nilotinib 400 mg/2 × täglich eine MR4, 5, d. h. eine tiefe molekulare Remission. Unter Imatinib 400 mg/d kamen nur 33 % der Patienten in die tiefe molekulare Remission. Der Unterschied von 22 % bzw. 23 % zeigt die signifikante Überlegenheit des TKIs der zweiten Generation.2

Dr. Lange ging auch auf die finalen Daten der ENEST1st-Studie ein, die zwischen 2010 und 2012 durchgeführt wurde. In diese Studie wurden Erwachsene mit einer neu diagnostizierten CML in der chronischen Phase aufgenommen. Imatinib unter drei Monaten und/oder Hydroxyurea unter sechs Monaten zuvor waren erlaubt. Die Patienten erhielten 18 Monate lang Nilotinib 300 mg/2 × täglich in der Erstlinie. Der primäre Endpunkt war definiert als das Erreichen von MR4 nach 18 Monaten, anschliessend wurde für sechs Monate weiter behandelt.

Die finale ENEST1st-Analyse wurde durchgeführt, nachdem alle Patienten 24 Monate Behandlung beendet hatten oder frühzeitig ausgeschieden waren.3 Diese Studie war um einiges grösser als die ENEST-Studie und bestätigte das gute Ansprechen unter Nilotinib. 38,8 % erreichten den primären Endpunkt, der sich nach 24 Monaten sogar noch auf 40,4 % verbesserte.

Tiefe molekulare Remission als Ausgangsidee

Dr. Lange stellte die Frage, ab wann bei der CML die Therapie abgesetzt werden darf. Ein Konzept als Ausgangsidee ist die tiefe molekulare Remission. Darf die Therapie bei nicht detektierbarem BCR-ABL abgesetzt werden? Ein Studienprogramm mit unterschiedlichen Patientengruppen soll Klarheit schaffen. ENEST1st, ENESTfreedom und TIGER untersuchen neu diagnostizierte CML-Patienten, die Nilotinib in der Erstlinie erhalten. ENESTPath, ENESTop und DECLINE IIT haben Patienten im Fokus, die nach fortdauernder Imatinib-Behandlung keine MR4 erreichen. Und in Kombinationsstudien werden Patienten untersucht, die unter Nilotinib keine tiefe molekulare Remission (MR4) erreicht haben.

In TIGER ist in einem Studienarm das Design zum Nachweis der Wirksamkeit und Sicherheit einer Induktionsphase mit Nilotinib und pegyliertem Interferon-alfa 2b angelegt. Nach zwei Jahren und bestätigter MMR folgt eine einjährige Erhaltungstherapie mit pegyliertem Interferon und danach stellt sich die Frage, ob die Therapie abgesetzt werden darf, ob es vielleicht sogar zur Heilung gekommen ist. Im Nilotinib-Arm wird adäquat mit Nilotinib 300 mg/2 × täglich verfahren.

Neue Therapien bei MM und PV, baldige Chance auf Therapiefreiheit bei CML. Novartis Satellitensymposium. Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie 2015 in Basel.
1. Hughes TP et al. Blood. 2014; 123(9): 1353–1360.
2. Larson RA et al. Blood. 2015; #4541.
3. Hochhaus A et al. Haematologica 2015; 100 [abstract S486].