Medical Tribune
7. Feb. 2024zirkulierende Tumor-DNA

ctDNA beim kolorektalen Karzinom: für De-Eskalation zu früh

Am ASCO GI 2024 wurden die bisher grössten Studien zum prognostischen und prädiktiven Wert der zirkulierenden Tumor-DNA (ctDNA) präsentiert. Inwieweit lässt sich der Biomarker jetzt in die Praxis implementieren?

Ein positiver ctDNA-Befund nach Resektion spricht für eine schlechte Prognose.
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Dr. Pashtoon M. Kasi, Weill Cornell Medicine and NewYork-Presbyterian Hospital, präsentierte in einer Morgen-Session die ersten Ergebnisse der grossen BESPOKE CRC-Studie, die den Wert der ctDNA für die Entscheidungsfindung zu einer adjuvanten Chemotherapie (ACT) bei Patienten mit kolorektalen Karzinomen (CRC) im Stadium II und III untersuchte (1).

Positiver Befund nach Resektion bei 22 Prozent im Stadium III

Die jetzt vorliegende Zwischenanalyse enthielt Datensätze von 623 Personen. Bei 6,4 Prozent der untersuchten Patienten im Stadium II, und bei 21,9 Prozent der Patienten im Stadium III lag in den zwei bis 12 Wochen nach der Tumorentfernung («MRD window») ein positiver ctDNA-Befund vor.

Dieser sprach eher für eine schlechte Prognose (2-Jahres-krankheitsfreies Überleben [DFS] 91,6 % bei Negativen vs. 29,9 % bei Positiven), sowohl im Stadium II als auch im Stadium III.

Ursprünglich ctDNA-positive Patienten profitierten in der Studie deutlich von einer adjuvanten Chemotherapie (2-Jahres-DFS 42,4 % mit, vs. 12,5 % ohne ACT; HR 3,06; 95%-KI: 1,43-6,60; p=0,0025). Bei den ctDNA-Negativen hatte die ACT hingegen keinen signifikanten Effekt (2-Jahres-DFS: 93,7 mit, und 90,4 ohne Chemotherapie; HR=1,47; p=0,23).

85 Prozent der molekularen Rezidive passieren in den ersten 15 Monaten

Nach Abschluss der ACT erreichten 40 Prozent der ursprünglich ctDNA-positiven Patienten einen negativen Befund. Am besten schnitten Patienten ab, die über den gesamten Beobachtungszeitraum auch ctDNA-negativ blieben. Patienten, die nur vorübergehend negativ blieben, hatten hingegen eine schlechtere Prognose.

Insgesamt 85 Prozent der molekularen Rezidive traten dabei innerhalb der ersten 15 Monate nach Resektion auf. In der anschliessenden Diskussion gab Dr. Kasi zudem an, dass die ctDNA-Surveillance oligomestastasierte Patienten zwischen sechs und neun Monate früher identifiziert hätte als konventionelle Diagnoseverfahren.

Wer misst, hat weniger Angst

Im Zuge einer Posterpräsentation präsentierte Dr. Kasi zudem Daten zum psychologischen Wert der kontinuierlichen ctDNA-Messungen während der Nachbeobachtung (2). Dabei gaben 73 Prozent der befragten Patienten an, dass der Assay ihnen die Angst vor Rezidiven eher nahm. 87 Prozent sagten zudem aus, dass die ctDNA-Ergebnisse ihnen Sicherheit vermittelten, die richtige Tumorbehandlung erhalten zu haben.

ctDNA-informierter Ansatz erreichte Nichtunterlegenheit nicht

Die tatsächliche Anwendung einer ctDNA-informierten Entscheidugnsfindung zur ACT testete die australische AGITG DYNAMIC-Rectal-Studie, die in derselben Session von Dr. Jeannie Tie präsentiert wurde (3).

Die Forscher unterteilten dabei Patienten mit lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinomen

  • in einen Standard-Arm, der nach der Wahl des behandelnden Arztes weiterbehandelt wurde, sowie
  • in einen ctDNA-informierten Arm, in dem nur Patienten, die bis fünf Wochen nach der Resektion einen positiven ctDNA-Status hatten, eine viermonatige ACT erhielten.

Bei rund 28 Prozent der untersuchten Patienten stellten die Forscher postoperativ ctDNA fest. Im ctDNA-informierten Arm wurde dabei mit 46 versus 77 Prozent deutlich weniger ACT aufgewendet als im Standard-Arm. Damit erreichte die Studie ihren primären Endpunkt.

Den sekundären Endpunkt der Nichtunterlegenheit der ctDNA-geleiteten Strategie beim klinischen Ergebnis erreichte die Studie allerdings nicht: Das Dreijahres-rezidivfreie Überleben belief sich in der experimentellen Patientengruppe auf 76 Prozent, und in der Standard-Managementgruppe auf 82 Prozent (6 % Differenz, 95 %-KI: -6-17 %).

Als Grund dafür nannte Dr. Tie einen frühzeitigen Abbruch der Patientenrekrutierung nach nur 230 der geplanten 408 Patienten durch den Ausbruch der Pandemie, und die beginnende Implementierung der Totalen neoadjuvanten Therapie (TNT).

Haben ctDNA-negative Tumoren eine andere Biologie?

Dr. Tie und Kollegen beobachteten, dass Patienten, die ursprünglich ctDNA-negativ gewesen waren, Fermetastasen fast ausschliesslich in der Lunge entwickelten (78 %). Diese wurden bei Patienten mit positivem Befund nach Resektion hingegen kaum beobachtet (1,6 %). Fernrezidive ereigneten sich bei ihnen in 50 Prozent der Fälle in der Leber, weitere 19 Prozent hatten sowohl in der Leber als auch in der Lunge Metastasen.  

Fernmetastasen traten insgesamt bei 16 Prozent der ctDNA-negativen und bei 36 Prozent der ctDNA-positiven Patienten auf. Ausserdem entwickelten 2,8 Prozent der Patienten mit negativem und 7,1 Prozent mit positivem Befund locoregionale Rezidive.

Die dominante Entwicklung von Lungenherden bei ctDNA-Negativen könnte laut Dr. Tie darauf hinweisen, dass die Biologie dieser Tumoren sich von ctDNA-positiven Patienten unterscheidet. Dr. Tie meinte, dass es möglich sei, dass diese Herde keine Tumor-DNA abscheiden, oder sogar indolent sein könnten. «Wir haben diese Herde oft über mehrere Jahre hinweg nur beobachtet, ohne dass sie stark wuchsen, so dass man sich fragen könnte, ob eine adjuvante Chemotherapie überhaupt eine Wirkung auf sie hätte.»

GALAXY-Daten zeigen ähnliche Richtung

Am Nachmittag präsentierte dann Dr. Hiroki Yukami, Cancer Chemotherapy Center, Osaka, ein Update der der bisher umfangreichsten Untersuchung bei 2.860 Patienten mit CRC (GALAXY, 4).

Auch hier war ein positiver postoperativer ctDNA-Befund prädiktiv für einen schlechteren Krankheitsverlauf (2-Jahres-DFS 85,9 Prozent bei ctDNA-Negativen vs. 28,9 Prozent bei ctDNA-Positiven).

Genauso wie in der BESPOKE CRC-Studie schnitten Patienten mit einer transienten Clearance fast gleich schlecht ab wie Patienten ohne Clearance (2-Jahres-DFS ohne Clearance 2 %, mit transienter clearance 2,3 %, mit permanenter Clearance 90,1 %).

Und auch in der GALAXY-Studie wurden 98 Prozent der Patienten, die in der Studie wieder positiv wurden, dies in den ersten 18 Monaten nach dem Landmark-Zeitpunkt.

«Noch nicht sinnvoll für ACT-Entscheidungsfindung anwendbar»

Dr. Aparna R. Parikh, Massachusetts General Hospital, setzte die Ergebnisse als eingeladene Diskutantin für die ASCO in Perspektive.

Für sie stehe zwar ausser Frage, dass die ctDNA bei kolorektalen Karzinomen zur Zeit der verlässlichste prognostische Biomarker ist, so Dr. Parikh. Aktuell sei die Sensitivität der verfügbaren Tests aber noch zu gering, um ihn für die klinische Entscheidungsfindung zum Landmark-Zeitpunkt zu verwenden. «Wenn wir vor einem wirklichen Patienten sitzen und uns überlegen, ob wir eine Chemotherapie anwenden sollen.»

Die Sensitivität des Markers belaufe sich in den jetzt präsentierten GALAYY-Daten auf 48 Prozent – das decke sich mit anderen Untersuchungen, in denen ctDNA postoperativ zwischen 40 und 50 Prozent aller Rezidive beim Tumoren vor dem Stadium IV vorhersagen konnte (5-8).

Je später die Messung in der Beobachtung der Patienten durchgeführt werde, umso höher sei die Sensitivität der Tests – nur sei aktuell ausserhalb von Studien eben nur die Messung zum Landmark-Zeitpunkt klinisch entscheidend.

Keine Clearance, sondern Artefakt?

Zusätzlich sei für sie die Analyse der Clearance interessant. «Die GALAXY-Studie zeigt, dass eine dauerhafte Clearance der nach ACT möglich ist. Diese Patienten haben gute Ergebnisse.»

Dass aber jene 80 Prozent der Patienten, die die ctDNA nur in den ersten 12 Monaten nach ACT beseitigten, nach zwei Jahren ein ähnliches klinisches Ergebnis hatten wie Patienten ohne Clearance heisse für sie aber eines: «Das ist keine Clearance, sondern das ist entweder die Chemotherapie, die die ctDNA unterdrückt. Oder ein besserer Test hätte das erkannt, was wir als Clearance betrachtet haben.»

Die erste Generation von Tests sei für sie also zwar vielversprechend, aber nicht empfindlich genug. Verbesserungsmöglichkeiten für die Tests gebe es einstweilen zuhauf. Dass Tests also eine ausreichende Sensitivität erhalten werden ist wahrscheinlich also nur eine Frage der Zeit.

Nicht genug um zu de-eskalieren, aber in einigen Fällen, um zu eskalieren

Zusammenfassend ist für Dr. Parikh die Testung aber aktuell noch nicht sensitiv genug, um die Therapie bei Patienten zu de-eskalieren, bei denen normalerweise eine Chemotherapie angezeigt wäre.

Erst wenn die Rezidivwahrscheinlichkeit in der ctDNA-negativen Population etwa auf jene von Patienten im Krankheitsstadium I sinkt (5-Jahres-DFS ca. 93-95 %), würde sie es in Betrachtung ziehen, anhand dem ctDNA-Befund zu deeskaliseren.

Dennoch sei die zirkulierende Tumor-DNA für sie ein wichtiges Instrument auch ausserhalb klinischer Studien, sagt Dr. Parikh. In Einzelfällen würde sie etwa angesichts eines positiven ctDNA-Ergebnis die Therapie eskalieren.