Medical Tribune
22. Apr. 2024Was die unterschiedlichen Medikamente leisten können

Covid-19: Wirkstoffe unter der Lupe

Viele Ärzte und Patienten setzen bei Covid-19 grosse Hoffnungen in eine medikamentöse Therapie. Doch was kann man etwa von Remdesivir, Kortison und Ivermectin tatsächlich erwarten? Die überarbeitete Leitlinie der WHO gibt einen Überblick über ihre Wirksamkeit,

3D-Illustration eines Coronavirus
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Klar ist: Auch bei Covid-19­ richtet sich die Wahl der Therapie nach dem Risiko­profil des Patienten. Vor allem für Infizierte mit erhöhtem Hospitalisierungsrisiko stehen mehrere Optionen zur Verfügung

Nirmatrelvir/Ritonavir: Deutlicher Rückgang der Klinikeinweisungen

Eine Möglichkeit etwa ist die Kombination Nirmatrelvir plus Ritonavir (Paxlovid®). Der SARS-CoV-2-­Protease-Inhibitor Nirmatrelvir hemmt dabei die Replikation des Virus, Ritonavir verbessert die Pharmako­kinetik. In der Leitlinie empfehlen die Autoren empfehlen den Einsatz für Patienten ohne schwere Erkrankung, aber mit hohem Risiko für einen stationären Therapie­bedarf (siehe Kasten "Stationärer Therapiebedarf").

Stationärer Therapiebedarf

  • hohes Risiko für Klinikeinweisung (≥ 6 %): Immundefekt, Organtransplantation, immunsuppressive Therapie wegen Autoimmun­erkrankung
  • moderates Risiko für Klinikeinweisung (≥ 3 %): Alter über 65 Jahre, Adipositas, Diabetes und/oder chronische kardiopulmonale Erkrankung, Nieren- oder Leber­insuffizienz, aktives Malignom
  • niedriges Risiko für Klinikeinweisung (≥ 0,5 %): keine erhöhte Gefährdung

Für die Kombination wurde ein deutlicher Rückgang der Klinikeinweisungen gezeigt. Die Evidenz für eine Verbesserung der Überlebens­rate ist aber moderat. Die Verabreichung der Substanzen sollte möglichst früh im Krankheitsverlauf beginnen. Dabei werden 300 mg bzw. 100 mg. alle 12 Stunden über fünf Tage eingenommen.

Studien zeigen, dass zwar auch Personen mit moderatem Hospitalisierungs­risiko profitieren können, der Effekt ist dann jedoch geringer. Bei einer niedrigen Wahrscheinlichkeit für die Notwendigkeit einer stationären Therapie besteht keine Indikation.

Therapie möglichst früh beginnen

Eine weitere Option ist Remdesivir, ein Nukleosid-Analogon, das mit der SARS-CoV-2-Polymerase inter­agiert und auch gegen die neuen Virus­varianten wirkt. Bei guter Verträglichkeit reduziert es die Rate der Spital­behandlungen. Appliziert wird es intravenös über drei Tage. Die Autoren empfehlen es mit gewissen Einschränkungen für Personen ohne schwere Manifestation, aber hohem Hospitalisierungs­risiko.

Auch das oral gegebene Molnupiravir kann bei Patienten ohne schweren Infekt, aber mit hoher Wahrscheinlichkeit für einen stationären Aufenthalt eingesetzt werden. Bei nur moderatem Risiko raten die Experten davon ab. Der Wirkstoff hemmt die Replikation des Virus und reduziert wahrscheinlich den stationären Therapie­bedarf ebenso wie die Mortalität und die Symptom­dauer. Die teratogene Wirkung schliesst den Einsatz bei Schwangeren aus. Männern wird ausserdem geraten, mindestens drei Monate nach der Einnahme von Molnupiravir kein Kind zu zeugen.

Antidepressiva, Sotrovimab und Colchicin nur im Rahmen von Studien anwenden

Nicht ausserhalb von Studien anwenden sollte man andere Wirkstoffe wie das Anti­depressivum Fluvoxamin. Es wirkt zwar möglicherweise anti­inflammatorisch, ein Effekt bei Covid-19 konnte für den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) bisher aber nicht gezeigt werden.

Keinen Platz in der Therapie sehen die Leitlinien-Autoren auch für Sotrovimab, einen neutralisierenden Anti­körper, der an das Spike-Protein von SARS-CoV-2 bindet. Ebenfalls ungeeignet ist das anti­entzündliche Colchicin. Es reduziert weder die Mortalität noch den stationären Behandlungs­bedarf.

Evidenz für Wirkstoffe bei schwerer Erkrankung

Eine besondere Herausforderung ist die medikamentöse Therapie von Patienten mit schwerer oder kritischer Erkrankung. In diesen Fällen soll der WHO-Leitlinie zufolge die systemische Applikation von Gluko­kortikoiden erfolgen. Begründet wird diese Empfehlung mit einer Reduktion der Mortalität und wahrscheinlich auch einem geringeren Beatmungs­bedarf. Aufgrund der kurzen Therapie­dauer von maximal sieben bis zehn Tagen ist das Risiko für Nebeneffekte gering.

Ausserdem plädieren die Leitlinien-Autoren bei ausgeprägter oder lebens­bedrohlicher Covid-19-Erkrankung für den Einsatz der Interleukin-6-Rezeptor­blocker Tocilizumab und Sarilumab. Inzwischen ist gut belegt, dass diese mono­klonalen Anti­körper die Überlebens­chancen erhöhen, bei wahrscheinlich ähnlicher Effektivität. Für die Praxis wird die Kombination mit einem Steroid angeraten. Die Antikörper müssen intravenös verabreicht werden, es genügen eine bis zwei Dosen.

Auch für eine weitere Option, Remdesivir, gibt es inzwischen eine Kann-Empfehlung zur Behandlung bei schwerer Infektion. Bei hoher Sicherheit liess sich für den RNA-Polymerase-Inhibitor ein positiver Einfluss auf Sterberate und Ventilations­bedarf ermitteln.

Baricitinib und IL6-Blocker mit Steroiden kombinieren

Auch der Januskinase­inhibitor Baricitinib sollte Patienten mit schwerer Covid-19-Erkrankung nicht vorenthalten werden. Grundlage dieser Einschätzung sind die Daten aus der RECOVERY-­Studie mit über 8.000 Teilnehmern. Sie zeigen einen Überlebens­vorteil bei guter Verträglichkeit und oraler Applikation. Am besten wird Baricitinib ebenso wie die IL6-Rezeptor­blocker mit einer Steroid-Therapie kombiniert. Auch eine Dreier­kombination kann gemäss der gleichen Studie vorteilhaft sein.

Von Ruxolitinib und Tofacitinib raten die Leitlinien-Autoren wegen der niedrigen Evidenz für eine Reduktion von Sterblichkeit und Beatmungs­dauer ab. Zudem besteht möglicherweise ein erhöhtes Nebenwirkungs­risiko vor allem unter Tofacitinib.

Keinerlei Berechtigung sehen die Leitlinien-Autoren ausserdem für Ivermectin bei Patienten ohne schwere Erkrankung. In ernsteren Fällen darf es aber in Studien weiter erforscht werden. Ebenfalls abgelehnt wird die Anwendung von Rekonvaleszenten-Plasma ausserhalb der Forschung. Das Blutprodukt soll den Patienten neutralisierende Anti­körper zuführen, die die Abwehr des Virus erleichtern. Ein günstiger Effekt auf den Krankheitsverlauf konnte bisher jedoch nicht nachgewiesen werden. Ausserdem ist die Applikation mit Risiken wie Infektionen behaftet.

Ebenfalls ungeeignet sind Casirivimab und Imdevimab, zwei humane Anti­körper gegen das Spike-Protein von SARS-CoV-2. Die Experten sind sich einig, dass eine Wirksamkeit gegen die aktuell zirkulierenden Virusvarianten sehr unwahrscheinlich ist.

Schweregrade von Covid-19

  • kritisch: akutes Atemnotsyndrom, Sepsis, septischer Schock oder ein anderer Zustand, der z.B. mechanische Beatmung erfordert
  • schwer: Sauerstoffsättigung < 90 %, Zeichen einer Pneumonie oder einer respiratorischen Insuffizienz (z.B. Tachy­pnoe > 30 / min)
  • nicht schwer: kein Kriterium für eine schwere oder kritische Erkrankung erfüllt