Medical Tribune
29. Jan. 2024Früh einsetzende Demenz nach Wachstumshormon-Behandlung vor 1986

Alzheimer möglicherweise übertragbar

Die Alzheimer-Krankheit könnte in seltenen Fällen von Gewebematerial von Verstorbenen übertragen werden. Die neue Studie in Nature Medicine unterstützt damit die Hypothese des Beta-Amyloid-Seedings. Experten schätzen das aktuelle Risiko für Patienten jedoch als gering ein.

Alzheimer kann offenbar neben seiner genetischen und spontanen Entstehung auch übertragen werden.
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Alzheimer kann offenbar neben seiner genetischen und spontanen Entstehung auch übertragen werden.

Bei der Alzheimer-Krankheit war bisher nur eine sporadische oder genetische Entstehung bekannt. Eine neue Studie zeigt nun bei acht Patienten, die in ihrer Kindheit Wachstumshormon (HGH) aus Hirngewebe von Verstorbenen erhalten hatten, Anzeichen für eine sehr früh auftretende Form der Alzheimer-Erkrankung (1).

Das unterstützt die Theorie des Beta-Amyloid-Seedings, die aussagt, dass fehlgefaltete Beta-Amyloid (Aβ)-«Seeds» zu einer Fehlfaltung weiterer Beta-Amyloid-Moleküle führen können. Diese Komplexe sollen ursächlich an der Entstehung der Alzheimer-Krankheit beteiligt sein.

Gewinnung von Wachstumshormon

Zwischen den Jahren 1959 und 1985 wurde Wachstumshormon aus Gewebeextrakten der Hirnanhangdrüse von Verstorbenen gewonnen. Diese Praxis wurde im Jahr 1985 eingestellt, als bekannt wurde, dass einige der behandelten Patienten auffällig früh die Creutzfeld-Jakob-Krankheit entwickelten.

Heute wird das Wachstumshormon ausschliesslich vollsynthetisch hergestellt.  

Zusammenhang von Beta-Amyloid-Proteinen und neurologischen Erkrankungen untersucht

Die britischen Forscher um Prof. John Collinge vom Institut für Prionenerkrankungen in London hatten bereits in früheren Studien über 80 Fälle der Creutzfeld-Jakob-Erkrankung im Vereinigten Königreich berichtet (2).

Ausserdem konnten sie im Jahr 2015 erstmals Amyloid-β-Proteine in Gehirnproben von Personen nachweisen, die in ihrer Kindheit eine Hormontherapie erhalten hatten und an der Creutzfeld-Jakob-Krankheit verstorben waren (3). In den archivierten Chargen der verwendeten Hormonpräparate fanden sie messbare Mengen fehlgefalteter Amyloid-β- und Tau-Proteine. Diese werden als prionenähnliche Moleküle angesehen. Im Mausmodell sind sie etwa in der Lage, neurologische Krankheiten auszulösen.

Der als «Seeding» bezeichnete Prozess soll dabei von übertragenen fehlgefalteten Amyloid-Beta-«Seeds» ausgehen. Diese sollen monomere Amyloid-Beta-Proteine im Gehirn des Empfängers heranziehen, um sie in fehlgefalteter Form in ihre eigene pathologische Aggregatstruktur einzubauen.

Beim Zerfall der dadurch entstehenden Amyloid-Beta-Aggregate sollen weitere Seeds freigesetzt werden, die die pathologische Aggregation von Amyloid Beta weiter vorantreiben.

Fünf von acht Patienten hatten Hinweise auf Alzheimer

In der nun veröffentlichten Studie berichten die Forscher von acht Personen, die in der Vergangenheit mit fehlgefaltetem Amyloid-Beta kontaminierte Wachstumshormon-Chargen erhalten hatten, ohne die Creutzfeld-Jakob-Krankheit aufzuweisen. Fünf der Patienten wiesen im Alter von 38 bis 55 Jahren Symptome bereits auf, die mit einer früh einsetzenden Demenz übereinstimmen, und einige diagnostische Kriterien für Alzheimer erfüllen.

Auch Blutuntersuchungen bestätigten bei zwei Personen die Alzheimerdiagnose. Eine der anderen drei Personen zeigte Symptome einer leichten kognitiven Beeinträchtigung, eine andere hatte nur subjektive kognitive Symptome, die dritte war symptomlos. Während des Untersuchungszeitraumes verstarben drei der acht Patienten. Im Gehirn von einem der drei Verstorbenen fanden die Forscher Anzeichen für eine Alzheimer-Krankheit.

Amyloid-Beta-Seeding unter bestimmten Umständen auch im Menschen möglich

PD Dr. Michael Beekes, Leiter der Forschungsgruppe Prionen und Prionoide des Robert-Koch-Instituts in Berlin lobt die Studie für ihre ersten Hinweise darauf, dass Amyloid-Beta-Seeds aus Wachstumshormon-Präparationen in Menschen möglicherweise früh einsetzende Demenzerkrankungen verursachen können (4).

Für ihn ist die Stichprobe der Patienten jedoch noch recht klein, und nicht ausreichend aussagekräftig. «Zwei der fünf Personen, die nach der Behandlung mit Wachstumshormon eine Demenz entwickelten, waren seit ihrer Kindheit geistig behindert. Dies geht mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für das frühzeitige Auftreten einer Demenz einher», so der Experte.

Unter anderem deswegen betrachtet er die Schlussfolgerung, dass es sich bei den Fällen um eine iatrogen übertragene Alzheimer-Krankheit handelt als verfrüht. Darüber hinaus reichen die in der Studie verwendeten klinischen Nachweise für eine sichere Diagnose der Alzheimer-Krankheit bei den untersuchten Patienten für PD Dr. Beekes nicht aus.

Übertragungen im medizinischen heute Kontext kaum vorstellbar

Auch, dass noch heute bei medizinischen Prozeduren Alzheimer-Übertragungen stattfinden, ist für Experten aktuell eher unwahrscheinlich – aber für PD Dr. Beekes zumindest theoretisch vorstellbar.

Dann würde eine iatrogene Übertragung von Amyloid-Beta-Seeds auch bei anderen medizinischen Prozeduren, die etwa kontaminierte und unzureichend aufbereitete neurochirurgische Instrumente umfassen, zumindest in der Theorie in Frage kommen.

Zumindest die Alzheimer-Übertragung durch eine Behandlung mit Wachstumshormon ist durch die ausschliessliche Gabe vollrekombinanter Präparate heute definitiv ausgeschlossen.

Darauf, dass die Erkrankung im täglichen Leben übertragbar ist, gibt es weder für die Forschenden noch Experten Hinweise.