Medical Tribune
18. Jan. 2024Erstzulassung bei MF, dann PV und GvHD

10 Jahre Erfahrung mit Ruxolitinib

Ruxolitinib, ein Inhibitor der Januskinasen 1 und 2 (JAK1/2), ist eine wichtige Option für die Behandlung der myeloproliferativen Neoplasien (MPN). Prof. Sara Meyer (Universitätsspital Bern) berichtet aus zehn Jahren klinischer Erfahrung mit Ruxolitinib bei MPN, sowie über weitere Anwendungsgebiete und neue Perspektiven.

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Prof. Dr. Sara Meyer, Universitätsspital Bern

MPN sind chronische Leukämien, die durch progressive Fibrose des Knochenmarks charakterisiert sind. Im Falle der Polycythaemia vera (PV) besteht eine chronisch gesteigerte Myeloproliferation, die zu Erythrozytose und oft auch Thrombo- und Leukozytose führt, sowie eine Splenomegalie; später kann es zu Fibrosierung des Knochenmarkes verbunden mit weiterer Grössenzunahme der Milz kommen.

Betroffene Patienten leiden unter Folgen der Splenomegalie und unter Entzündungssymptomen; sie tragen ein erhöhtes Risiko für Thromboembolien, Blutungen und Transformation in eine akute myeloische Leukämie (AML). Neben der PV werden zwei weitere Typen von Philadelphia-negativen MPN unterschieden: Die essentielle Thrombozythämie (ET) und die primäre Myelofibrose (PMF) (1,2).

Aus PV und ET kann auch eine Post-PV- bzw. Post-ET-Myelofibrose (MF) entstehen.

JAK2 als Therapeutisches Target bei MPN

Die molekulare Grundlage von PV, ET und PMF ist die konstitutive Aktivierung des JAK2-Signalweges. Meist wird diese durch die Treibermutation JAK2V617F verursacht, bei ET und PMF auch durch Mutationen im Thrombopoetinrezeptor MPL oder im Calreticulin (3). Die JAK2-Aktivierung fördert Proliferation und Differenzierung hämatopoetischer Zellen; sie kann durch JAK2-Inhibitoren gehemmt werden.

Die drei Treibermutationen stellen auch diagnostische Marker für die MPN dar. Zusätzlich treten Non-driver-Mutationen auf, (4) welche das Spliceosom und epigenetische Regulatoren betreffen und die Proliferation myeloider Zellen ebenfalls fördern (3). Vor allem bei der PMF haben diese Marker prognostischen Wert in der Vorhersage von Outcome und Therapieansprechen (5,6).

In Tiermodellen der MPN führt die Ablation von JAK2 zu vollständiger Verhinderung der Splenomegalie, (7-9) was JAK2 als therapeutisches Target validiert. Dies bildete die Grundlage für die Entwicklung von Ruxolitinib, einem ATP-kompetitiven und nicht mutantenselektiven Inhibitor von JAK1 und JAK2.

Ruxolitinib: Wirksamkeit bei MPN

Die Zulassungsstudien COMFORT 1 und 2 zeigten eine ausgeprägte Reduktion der Splenomegalie und der konstitutionellen Symptome bei MF-Patienten durch Ruxolitinib (10,11). Die langfristige Nachverfolgung ergab einen geringen, aber statistisch signifikanten Vorteil der Therapie hinsichtlich des Gesamtüberlebens selbst bei Hochrisiko-Patienten (12).

Die gute Kontrolle von Splenomegalie und Symptomen durch Ruxolitinib bestätigte sich auch in Real-World-Studien (13,14). Leitlinien zum Management der MF räumen Ruxolitinib eine Position in der Erstlinie bei symptomatischen Patienten ein, die keine Stammzelltransplantation erhalten können.

Bei PV-Patienten mit Intoleranz oder Resistenz gegenüber Hydroxycarbamid wurde mit Ruxolitinib in der Zweitlinie eine gute Kontrolle von Splenomegalie, Hämatokrit und Symptomlast erzielt (15). Fünf-Jahres-Daten zeigten unter Ruxolitinib zudem ein dauerhaftes Ansprechen und verlängertes ereignisfreies Überleben (16); erstmals wurde hier auch nachgewiesen, dass ein molekulares Ansprechen (Reduktion der JAK2V617F-Allellast) mit verbesserten Outcomes verbunden ist.

Ruxolitinib ist daher eine von Leitlinien für die PV-Behandlung empfohlene Option in der Zweitlinie (17). Bei ET-Patienten ergab sich mit dem JAK-Inhibitor dagegen kein Vorteil gegenüber verfügbaren Alternativen (18).

Ruxolitinib bei GvHD

Bei der akuten GvHD interferiert Ruxolitinib mit einer Reihe von JAK1- und JAK2-abhängigen Prozessen; es hemmt Produktion und Signalwege von Zytokinen sowie die Gewebeschädigung durch myeloide Zellen und die Expansion von Spender-T-Zellen (19).

Bei steroid-refraktärer bzw. -abhängiger akuter GvHD war Ruxolitinib gegenüber verfügbaren Alternativen hinsichtlich dauerhaftem Ansprechen und rezidivfreiem Überleben überlegen (20). Eine rezente Studie zeigte auch bei chronischer GvHD die Überlegenheit des Wirkstoffs ab der Zweitlinie (21).

Ruxolitinib und COVID-19

Bei an COVID-19 erkrankten MPN-Patienten wurde eine erhöhte Mortalitätsrate nach Absetzen von Ruxolitinib verzeichnet (22), möglicherweise erklärt durch einen protektiven antiinflammatorischen Effekt des JAK-Inhibitors.

Dementsprechend erwies sich Ruxolitinib bei COVID-19-Patienten ohne MPN, die eine Hyperinflammation aufwiesen, als effektiv (23). Studien mit Ruxolitinib bei moderater und auch bei sehr fortgeschrittener COVID-19-Erkrankung waren dagegen negativ.

Herausforderungen und Perspektiven

Die Senkung der JAK2V617F-Allellast bei MF-Patienten unter Langzeitbehandlung mit Ruxolitinib ist moderat (24). Eine verbesserte Krankheitsmodifikation könnte nach ersten Studienergebnissen durch Kombination mit pegyliertem Interferon alpha erreicht werden (25,26).

Ein in der Praxis wichtiger Aspekt ist die Resistenzbildung gegen Ruxolitinib, die sich bei MPN-Patienten klinisch als Zunahme von Milzgrösse, Symptomen und Zeichen der Progression nach initialem Ansprechen manifestiert. Mechanistisch scheint der Resistenz unter anderem eine heterodimere JAK-STAT-Aktivierung zugrunde zu liegen (27). JAK2/TYK2-Heterodimere wurden in Blutzellen von Ruxolitinib-resistenten Patienten nachgewiesen (28). Untersuchungen zu möglichen weiteren Resistenzmechanismen laufen.

Nach Absetzen von Ruxolitinib wegen Intoleranz, Resistenz oder Transformation zur AML sind die meisten MPN-Patienten progredient und benötigen eine Folgetherapie. Diese kann aus einem alternativen Typ-1-Inhibitor bestehen (d.h. einem Inhibitor, der wie Ruxolitinib die aktivierte Konformation von JAK2 stabilisiert), z.B. Fedratinib oder anderen derzeit noch nicht zugelassenen Inhibitoren. Fedratinib, welches in der Schweiz nur bei MF nach Ruxolitinib in der Zweitlinie zugelassen ist, zeigt in diesem Setting eine relativ moderate Effektivität, vielleicht aufgrund von Kreuzresistenz (28).

Eine Alternative könnten Typ-2-Inhibitoren darstellen, die an die inaktive Konformation von JAK2 binden und eine Reduktion von mutierten MPN-Klonen induzieren können (28). Eine Reihe von Arbeitsgruppen sind an der Entwicklung solcher Inhibitoren tätig.

Ein anderer Ansatz, um eine Resistenz gegen Ruxolitinib zu überwinden bzw. zu vermeiden, ist die Kombination des JAK-Inhibitors mit Bcl2- bzw. BET-Hemmern, was in ersten Studien bei MF-Patienten bereits erfolgreich war (29,30). Weitere Kombinationen werden derzeit untersucht.

Quelle: Medical Tribune Webinar «Milestones in Hematology» am 2. November 2023.