Vitamin E: Schutz vor oxidativem Stress
Als wichtiger Schutzfaktor vor oxidativem Stress beeinflusst Vitamin E zahlreiche Stoffwechselprozesse – von der Entzündungshemmung bis zur Endothelfunktion. Ein Überblick über Physiologie, Einsatzgebiete und praktische Anwendungstipps.

Vitamin E ist kein einzelnes Molekül, sondern ein Komplex aus acht natürlich vorkommenden Verbindungen – vier Tocopherolen und vier Tocotrienolen –, die alle auf einem Chromanring basieren und sich durch unterschiedliche Seitenketten unterscheiden (1,2). Das biologisch wichtigste Derivat ist das RRR-α-Tocopherol (3).
Absorption und Stoffwechsel
Als fettlösliches Vitamin wird Vitamin E im Dünndarm resorbiert, nachdem Pankreaslipasen zuvor eine Hydrolyse im Darmlumen bewirkt haben (2,3). Die Effizienz der Aufnahme hängt stark vom Fettgehalt der Nahrung ab (2). Über die Lymphe gelangt das Vitamin in die Leber, wo es mithilfe des α-Tocopherol-Transferproteins (α-TTP) in die Zirkulation eingeschleust wird (3). Transportiert über VLDL gelangt es in den Blutkreislauf, gespeichert wird es hauptsächlich im Fettgewebe, die Ausscheidung erfolgt über die Galle (2).
Wirkmechanismen
Vitamin E wirkt als zentrales lipophiles Antioxidans, das mehrfach ungesättigte Fettsäuren in Zellmembranen vor Lipidperoxidation schützt (1,3). Dabei wird es selbst oxidiert und anschliessend durch Vitamin C, Glutathion oder Ubichinol regeneriert (1).
Darüber hinaus hemmt es Enzyme wie Cyclooxygenase, 5-Lipoxygenase und Phospholipase A2, was antiinflammatorische, antithrombotische und analgetische Effekte erklärt (1). Es moduliert ausserdem das Immunsystem, beeinflusst die Genexpression und verbessert durch erhöhte NO-Bioverfügbarkeit die endotheliale Funktion (1).
Health Claim
Laut EU-Verordnung ist gesichert, dass Vitamin E dazu beiträgt, die Zellen vor oxidativem Stress zu schützen (4).
Mangelzustände
Der Vitamin-E-Status wird über das Plasma-α-Tocopherol bestimmt; die Normgrenze liegt zwischen 0,5 und 2,5 mg/100 ml (2).
Ein ernährungsbedingter Mangel ist selten. Er tritt praktisch nur bei Störungen der Fettresorption – etwa bei Pankreasinsuffizienz oder Cholestase – oder bei genetischen Störungen des α-TTP auf (4).
Klinische Zeichen umfassen neurologische und neuromuskuläre Störungen, Muskelschwäche, Ataxie, Neuropathien, erhöhte Infektanfälligkeit, reizbare Unruhe sowie mögliche Schilddrüsendysregulation (1,3).
Bedarf und Vorkommen
Ein exakter Tagesbedarf ist nicht definiert. Die EFSA legt das UL (Tolerable Upper Intake Level) auf 13 mg/Tag für Männer und 11 mg/Tag für Frauen fest (6). 1 mg α-Tocopherol entspricht 1,49 I. E. Vitamin E (7).
Vitamin E findet sich vor allem in pflanzlichen Ölen und Getreidekeimen sowie in Eiern und Milchprodukten (1,2). Weizenkeimöl enthält besonders hohe Konzentrationen (5). Die Resorption wird durch mittelkettige gesättigte Fettsäuren (z. B. Kokosfett, Butter) gesteigert, während langkettige mehrfach ungesättigte Fettsäuren – etwa aus Fischöl – die Aufnahme hemmen (2).
Praxisempfehlungen:
- Fischölpräparate sollten immer in Kombination mit Vitamin E eingenommen werden.
- Vitamin E sollte zu oder nach den Mahlzeiten eingenommen werden (8).
- In hohen Dosierungen kann Vitamin E bei gleichzeitigem Vitamin-K-Mangel oder unter Antikoagulation das Blutungsrisiko erhöhen (2).
Einsatzgebiete
Das Vitamin wird in verschiedenen klinischen Bereichen eingesetzt. Bei rheumatischen Erkrankungen kann es Bewegungsschmerzen reduzieren und die Beweglichkeit verbessern; in Kombination mit Vitamin C ist zudem eine niedrigere Dosierung von NSAR wie Diclofenac möglich (3,5). Auch bei Diabetes mellitus Typ II zeigt es einen Nutzen: Gemeinsam mit Vitamin C hemmt es die Bildung von Advanced Glycation Endproducts (AGE) und senkt die Thrombozytenaggregationsneigung (5).
Im Bereich der Lipiderkrankungen schützt Vitamin E LDL-Partikel vor oxidativer Modifikation und trägt damit zur Verringerung oxidativen Stresses im Lipidstoffwechsel bei (5). Bei koronarer Herzkrankheit wird es daher häufig zusammen mit Vitamin C eingesetzt (5).
Darüber hinaus findet Vitamin E in der Dermatologie Anwendung – insbesondere zur topischen Behandlung von Altersflecken, da der Vitamin-E-Gehalt der Haut mit zunehmendem Lebensalter abnimmt (1,5).
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Gröber U. Mikronährstoffe: Metabolic Tuning – Prävention – Therapie. 3. Auflage. Weinheim: Beltz Verlag; 2011.
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Domke A, Großklaus R, Niemann B, Przyrembel H, Richter K, Schmidt E, Weißenborn A, Wörner B, Ziegenhagen R. Verwendung von Vitaminen in Lebensmitteln: Toxikologische und ernährungsphysiologische Aspekte – Teil I. BfR Wissenschaft. Berlin: Bundesinstitut für Risikobewertung; 2004.
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Mutschler E, Geisslinger G, Kroemer H, Menzel S, Ruth P. Mutschler Arzneimittelwirkungen: Pharmakologie – Klinische Pharmakologie – Toxikologie. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2012.
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Europäische Kommission. Verordnung (EU) Nr. 432/2012 der Kommission vom 16. Mai 2012.
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Gröber U. Mikronährstoff-Beratung: Ein Arbeitsbuch. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2018.
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European Food Safety Authority (EFSA). Scientific Opinion on Dietary Reference Values for vitamin E as alpha-tocopherol. EFSA Journal. 2015;13(7):4149.
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Akademie für orthomolekulare Medizin. Vitamin-E-Umrechner. Online verfügbar unter: https://www.aom-akademie.com (Zugriff am 26.09.2020).
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Österreichische Apotheker-Verlagsgesellschaft m.b.H. Austria-Codex Schnellhilfe 2019. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft; 2018.