Medical Tribune
5. Nov. 2025Auf das Nutzen-Risiko-Profil kommt es an

Aktuelles zu Impfnebenwirkungen

Impfungen zählen zu den effektivsten Massnahmen der Krankheitsprävention. Mögliche unerwünschte Wirkungen führen jedoch oft zu Unsicherheit und kontroversen Debatten. Für Ärztinnen und Ärzte ist es entscheidend, den Nutzen und die potenziellen Risiken einordnen zu können, um Patienten sachlich zu beraten. In seinem Vortrag am WebUp Experten-Forum Update Infektiologie stellte Dr. Thomas Stammschulte, Leiter der Einheit Pharmacovigilance von Swissmedic, aktuelle Erkenntnisse zu Impfnebenwirkungen vor.

Frau mit Pflaster am Oberarm
Michaela Begsteiger/stock.adobe.com

Pharmakovigilanz umfasst die Erfassung, Bewertung und Prävention von Nebenwirkungen sowie anderen arzneimittelbezogenen Problemen. Sie soll sicherstellen, dass alle verfügbaren Impfstoffe ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil haben.

«Das bedeutet aber nicht, dass Impfstoffe gar keine Risiken haben können», betonte Dr. Stammschulte. Er verdeutlichte den Einfluss von Impfungen auf bestimmte Erkrankungen mit Zahlen aus Grossbritannien. «Das beste Beispiel ist die Masernimpfung.» Vor ihrer Einführung im Jahr 1968 erkrankten jährlich zwischen 200.000 und 700.000 Menschen an Masern. «Wenn man bedenkt, dass die Sterblichkeit auch in Industrienationen bei ein bis zwei Kindern pro tausend Infektionen lag, wird die enorme Krankheitslast deutlich. Diese Dimension ist heute leider oft in Vergessenheit geraten.»

Wenn Zufall und Impfnebenwirkung verwechselt werden

Zugleich wies der Referent auf aktuelle Debatten in den USA hin, wo erneut Fragen aufgeworfen würden, die wissenschaftlich längst beantwortet seien, wie etwa die fälschliche Vermutung eines Zusammenhangs zwischen einer Masernimpfung und Autismus.

Im weiteren Verlauf erläuterte er den Begriff des «Adverse Event Following Immunization» (AEFI). Darunter fällt jedes unerwünschte medizinische Ereignis nach einer Impfung – unabhängig von einer kausalen Beziehung. «Das kann ein auffälliger Laborwert, ein Symptom oder eine Erkrankung sein.» Die eigentliche Schwierigkeit bestehe darin, zufällige Ereignisse von tatsächlichen Impfreaktionen abzugrenzen.

Influenza-Impfung: Vorteile oft zu wenig beachtet

Der Referent schilderte ein Fallbeispiel aus der Swissmedic-Datenbank: Ein Patient entwickelte sechs Tage nach einer saisonalen Grippe­impfung eine Fazialisparese. Auch wenn der kausale Zusammenhang nicht eindeutig belegt ist, lässt er sich nicht ausschliessen. Das Risiko für eine Fazialisparese nach einer Grippe­impfung sei zwar vorhanden, aber äusserst gering, so der Experte.

Demgegenüber steht jedoch ein erheblicher Nutzen: Denn die Grippeimpfung schützt nicht nur vor schweren Verläufen, sondern reduziert auch kardiovaskuläre Komplikationen. Studien zeigen: In den Tagen nach einer Influenza-Infektion ist das Herzinfarkt-Risiko bis zu sechsfach erhöht. «Die Impfung senkt dieses Risiko in einer Grössenordnung, die vergleichbar mit einer Statin-Therapie ist. Dieser Effekt wird bislang unterschätzt», betonte der Experte. Kritisch merkte er die niedrige Durchimpfungsrate bei älteren Menschen an: «In der Schweiz liegt sie bei lediglich 37 % – und damit nur bei der Hälfte der angestrebten Rate.

Neue RSV-Impfstoffe: Chancen und Risiken

Auch neue Impfstoffe gegen RSV waren Thema des Vortrags. In der Schweiz sind drei RSV-Impfstoffe zugelassen: die Proteinimpfstoffe Arexvy (monovalent, adjuvantiert) und Abrysvo® (divalent, nicht adjuvantiert) sowie ein mRNA-Impfstoff (mRESVIA), der seit April verfügbar ist. Die Proteinimpfstoffe zeigten in Studien eine Wirksamkeit von 65–90 %. Real-World-Daten belegen zudem, dass ältere Menschen rund 30 % seltener wegen einer RSV-Infektion hospitalisiert werden mussten. Eine sehr seltene, aber relevante Nebenwirkung ist das Guillain-Barré-Syndrom mit 9–25 zusätzlichen Fälle pro Million verabreichter RSV-Dosen. «Das Risiko ist sehr gering, aber dennoch müssen wir die Patienten darüber aufklären», so der Referent.

Myokarditis-Risiko bei Covid-19-Impfstoffen

Die Covid-19-Impfstoffe zählen inzwischen zu den am besten untersuchten Vakzinen weltweit. Weltweit wurden mehr als 13 Milliarden Dosen verabreicht, allein 18 Millionen in der Schweiz. Entsprechend umfangreich sind die Publikationen und die Zahl der Spontanmeldungen. Swissmedic informierte während der gesamten Covid-19-Impfkampagne regelmässig über gemeldete Nebenwirkungen. Besonders früh gab es Herpes-Zoster-Fälle nach der Impfung. Beobachtungsanalysen zeigten zunächst Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang, den neuere Metaanalysen jedoch nicht bestätigten. Demgegenüber ist nach einer durchgemachten Covid-19-Infektion das Zoster-Risiko jedoch klar erhöht.

Anders bei Myokarditiden: Diese sind als seltene, aber bestätigte und schwere Nebenwirkung nach mRNA-Impfstoffen anerkannt. Betroffen sind vor allem junge Männer nach der zweiten Dosis, häufiger nach Spikevax® (Moderna) als nach Comirnaty® (BioNTech/Pfizer). Die höchste Inzidenz findet sich bei Männern zwischen 18–24 Jahren mit ca. 1 Fall auf 5000 Impfungen. «Das Risiko ist mittlerweile gut untersucht. In anderen Altersgruppen und bei Frauen ist es deutlich geringer. Natürlich muss ebenfalls mit einbezogen werden, dass auch eine Covid-19 Infektion selbst eine Myokarditis verursachen kann», sagte Dr. Stammschulte.

Meldepflicht und praktische Tools für die Pharmakovigilanz

Zum Abschluss ging der Referent noch auf das Heilmittelgesetz und die Meldepflicht ein. Nach Heilmittelgesetz sind Ärzte und Ärztinnen verpflichtet, schwerwiegende oder bislang unbekannte Nebenwirkungen zu melden. «Ihre Meldungen werden in internationale Datenbanken eingespeist und sind wichtig, um die Sicherheit von Arzneimitteln zu beurteilen», betonte der Experte. Swissmedic stelle hierfür das elektronische Meldetool ElViS bereit. «Das Tool ermöglicht eine ziemlich umfassende Dokumentation von Fällen. Andererseits gibt es nur wenige Pflichtfelder, die gelb hinterlegt sind.» Zudem könnten Anhänge wie anonymisierte Arztbriefe hochgeladen werden. Der Referent kündigte zudem ein neues, noch anwenderfreundliches Tool für die Zukunft an.