Medical Tribune
8. Okt. 2025Frühe Warnzeichen erkennen und nutzen

Schlafstörungen bei neurodegenerativen Erkrankungen

Schlafstörungen gehören zu den häufigsten Komorbiditäten von neurodegenerativen Erkrankungen wie dem Morbus Parkinson oder der Alzheimer-Krankheit. Immer deutlicher zeigt sich dabei, dass veränderter Schlaf nicht nur ein Symptom darstellt, sondern auch in die Krankheitsentstehung und -progression involviert ist. Damit eröffnen sich auch neue diagnostische und therapeutische Möglichkeiten.

Schlafstörungen liegen oft schon früh bei neurodegenerativen Prozessen vor.
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«Schlaf ist kein Luxus, sondern erfüllt zentrale Funktionen», sagt Dr. Simon Schreiner, Leiter der Abteilung für Schlafmedizin an der Universitätsspital Zürich.

Dazu zählt der Experte etwa Gedächtniskonsolidierung und neuronale Regeneration. «Der Tiefschlaf stellt ausserdem wahrscheinlich eine Pause für die Nervenzellen dar, in der weniger Abfallstoffe wie Beta-Amyloid entstehen.»

Schlafarchitektur und Altern

Physiologisch ist der Schlaf gekennzeichnet durch das wiederholte Durchlaufen von unterschiedlichen Schlafphasen. Dazu gehört der Tiefschlaf, der sich im EEG durch langsame, grosse Wellen («Slow Waves») äussert. Er bildet sich in drei Stadien aus, bei denen die Hirnwellen zunehmend tiefer werden, bis zum Stadium 3, dem Slow-Wave-Schlaf.

Auch der Rapid Eye Movements (REM)-Schlaf ist wichtig für die Schlafqualität. In dieser Schlafphase ähnelt das EEG dem Wachzustand– man nennt den REM-Schlaf daher auch «paradoxen Schlaf». Er zeichnet sich durch besonders lebhafte Träume aus, und geht mit einer physiologischen Muskelerschlaffung einher.

In der ersten Nachthälfte überwiegt bei jungen und gesunden Menschen normalerweise der Tiefschlaf. Mit den frühen Morgenstunden wird er zunehmend vom REM-Schlaf abgelöst.

Parallel zum Alterungsprozess nimmt der Tiefschlaf progressiv ab; zusätzlich wird die Schlafarchitektur fragmentierter, und die Wachphasen nehmen zu, wie Dr. Schreiner berichtet.

«Noch bevor die Quantität des Tiefschlafs abnimmt, verändert sich die Qualität der Slow Waves», erklärt der Experte. Diese Veränderungen der Schlaf-Mikroarchitektur beginnen bereits im mittleren Lebensalter. Man vermutet zudem, dass sie zur Entstehung von neurodegenerativen Erkrankungen beitragen könnten.

Schlafstörungen als Vorläufer neurodegenerativer Erkrankungen

«Schlafstörungen sind bei neurodegenerativen Erkrankungen kein Nebenbefund, sondern Kernmerkmale», erklärt Dr. Schreiner. Sie lassen sich darauf zurückführen, dass schlafregulierende Zentren im Gehirn – wie der Hirnstamm und der Hypothalamus – früh in die Krankheitsprozesse involviert sind.

Oft sind dabei subtile Schlafveränderungen bereits dann erkennbar, wenn andere klinisch manifeste Symptome noch fehlen. Ein Beispiel ist die REM-Schlaf-Verhaltensstörung (RBD), die etwa ab dem 50. Lebensjahr gehäuft auftritt. Schlafende agieren bei dieser Störung mit teils heftigen und gefährlichen Bewegungen ihre Träume aus. Typisch sind auch Trauminhalte mit Gefahren- oder Kampfszenen.

Die RBD gehört bei Synucleinopathien wie beim Morbus Parkinson oder der Lewy-Body-Demenz zu den wichtigsten Prodromalzeichen. Oft ist beim M. Parkinson der Schlaf etwa schon lange gestört, bevor motorische Symptome beginnen. Hintergrund ist ein vom aszendierender Krankheitsprozess, der vom Hirnstamm ausgeht. Dort wird auch der REM-Schlaf reguliert – darunter die Muskelentspannung während dieser Schlafphase. Studien zeigen, dass fast alle Patienten mit einer isolierten RBD nach im Median 14 Jahren eine neurodegenerative Erkrankung entwickeln. Bei Verdacht empfiehlt Dr. Schreiner die Abklärung mittels Video-Polysomnografie.

Auch der Hypothalamus spielt eine zentrale Rolle in der Schlaf-Wach-Regulation. Ein Verlust von Neuronen in dieser Region führt zu erhöhter Schlaffragmentation. Besonders deutlich wird das bei der progressiven supranukleären Blickparese (PSP), die durch therapierefraktären Parkinsonismus, kognitiven Abbau und eine ausgeprägte Insomnie mit Verlust des «Sleep Drive» gekennzeichnet ist.

Alzheimer: Schlafstörungen spiegeln die Pathologie

Und auch bei der Alzheimer-Demenz treten oft schon früh Schlafstörungen auf. Sie sind ein Kennzeichen der typischen Prodromalphase des mild cognitive impairment (MCI), und sind eng mit den pathologischen Prozessen der Erkrankung verknüpft. «Der Schlaf verhält sich fast wie ein Spiegel der primären Veränderungen», betont der Experte.

Typisch ist ein progredienter Verlust des Tiefschlafs bei gleichzeitiger Zunahme von Leichtschlaf und Fragmentierung. Diese Veränderungen korrelieren mit der Zunahme von Amyloid- und Tau-Ablagerungen.

Eine Schlüsselrolle spielt dürfte dabei das glymphatische System spielen, das im Tiefschlaf Abfallprodukte wie Amyloid besonders effizient aus dem Gehirn entfernt. Fehlen die Slow Waves, funktioniert diese nächtliche Reinigungsleistung nicht mehr ausreichend – die Proteinablagerungen nehmen zu.

Die Beziehung ist dabei bidirektional: Schlafmangel und fragmentierter Schlaf begünstigen die Ablagerung von Amyloid– umgekehrt verschlechtert die fortschreitende Pathologie wiederum die Schlafqualität.

Biomarker und therapeutische Ansätze

Damit rückt der Schlaf ins Zentrum der Forschung, etwa als früher Biomarker. Dr. Schreiners Team konnte zeigen, dass sich neurodegenerative Erkrankungen mit einer Analyse der Schlafarchitektur mit hoher Genauigkeit unterscheiden lassen. Ein digitales Tool soll künftig helfen, anhand von Polysomnografie-Daten Hinweise auf die zugrunde liegende Erkrankung zu geben. Besonders wertvoll wäre das bei Nicht-Alzheimer-neurodegenerativen Erkrankungen, wo es kaum Blut- oder Liquor-Biomarker gibt.

Zudem könnte der Schlaf auch ein therapeutischer Ansatzpunkt sein. So könnten etwa duale Orexin-Antagonisten bei neurodegenerativen Erkrankungen interessant sein. «Der Botenstoff Orexin stimuliert Wachheit, und ist Bei Alzheimer-Patienten tendenziell überreguliert», erklärt Dr. Schreiner. Zudem korrelieren bei den Betroffenen die Orexin-Spiegel mit der Schlaffragmentierung und dem Ausmass der Neurodegeneration. Erste Studien zeigen, dass die medikamentöse Hemmung von Orexin den Schlaf von Patienten mit Alzheimer verbessern und die Amyloid-Beta-Spiegel im Liquor senken kann.

Nichtpharmakologisch gibt es mit der gezielten akustischen Tiefschlaf-Stimulation eine vielversprechende Anwendung. Geräte wie das an der ETH Zürich entwickelte «Sleep Loop» konnten etwa die Gedächtnisleistung von Alzheimer-Patienten verbessern und deren Amyloid-Beta-Spiegel im Liquor reduzieren. Auch Parkinson-Patienten berichteten bereits, dass sich unter akustischer Stimulation ihre Schlafqualität und Tageswachheit verbessern.