Medical Tribune
2. Okt. 2025«Time is muscle»

Frühe Diagnostik bei akuten Thoraxschmerzen

Akute Thoraxschmerzen stellen hohe Anforderungen an Diagnostik und therapeutisches Management. Die Unterscheidung zwischen harmlosen und lebensbedrohlichen Ursachen erfordert schnelle und präzise Entscheidungen, v. a. in den ersten drei Stunden nach der Vorstellung des Patienten. Warum diese Zeitspanne so entscheidend ist, erläuterte Prof Dr. Christian Müller, Chefarzt CRIB (Cardiovascular Research Institute Basel), Universitätsspital Basel, am SGAIM-Frühjahrkongress.

Mann mit Brustschmerzen
Katleho Seisa/peopleimages.com/stock.adobe.com

Zu den «Big Five», also den fünf wichtigsten lebensbedrohlichen Ursachen bei Thoraxschmerzen, zählen:

  • Myokardinfarkt
  • Lungenembolie
  • Spannungspneumothorax
  • akutes Aortensyndrom (z. B. Aortendissektion)
  • Ösophagusruptur (Boerhaave-Syndrom)

«Es ist unsere Aufgabe, diese fünf Katastrophen mit möglichst grosser Sicherheit auszuschliessen», hob Prof. Müller hervor.

Während diese fünf Ursachen im Fokus stehen, kommen auch harmlose Auslöser – meist muskuloskelettale Beschwerden – für Thoraxschmerzen infrage. Für die bestmögliche Balance zwischen Effizienz und maximaler diagnostischer Sicherheit gilt es möglichst gezielt zwischen lebensbedrohlichen Erkrankungen und harmlosen Ursachen zu differenzieren.

Erste drei Stunden entscheiden

Die ersten drei Stunden nach dem Beginn der Symptome sind entscheidend, da die Prognose eines Patienten bei einem Myokardinfarkt stark von einer möglichst frühzeitigen Behandlung abhängt. Innerhalb der ersten Minuten und Stunden nach einem Herzinfarkt tritt häufig Kammerflimmern auf, was ohne sofortige Intervention zum plötzlichen Herztod führen kann. Ein effektives Monitoring und schnelle Entscheidungen sind daher unerlässlich. «Time is muscle», wie Prof. Müller betonte.

Am Anfang der Diagnostik beim akuten Thoraxschmerz steht die klinische Beurteilung. Thoraxschmerzen, die lokalisiert, druckabhängig oder atemabhängig sind, deuten eher auf eine muskuloskelettale Ursache und weniger auf einen Myokardinfarkt hin. Dagegen sind Schmerzen, die ausstrahlen – beispielsweise in den Oberbauch, den Kiefer oder den linken Arm – oft mit einem Herzinfarkt assoziiert.

Das 12-Kanal-EKG ist ein weiterer wichtiger Pfeiler in der Differenzialdiagnostik des akuten Thoraxschmerzes. «Wenn das EKG eine ST-Streckenhebung zeigt, sind wir sehr sicher, dass es sich um einen Herzinfarkt handelt», führte Prof. Müller aus. ST-Senkungen können ebenfalls ein Hinweis sein. Ein unauffälliger EKG-Befund schliesst hingegen einen Herzinfarkt nicht aus, weshalb weiterführende diagnostische Tests erforderlich sind. «Das EKG ist zwar relativ spezifisch, aber nicht sensitiv genug», so der Experte.

Troponin-Test und Risikoeinschätzung bei unklarem Linksschenkelblock

Welches Vorgehen empfiehlt sich bei einem «Left bundle branch block, not known to be old», also einem Linksschenkelblock, bei dem der zeitliche und kausale Zusammenhang mit den Thoraxschmerzen unklar ist? Sind die Sgarbossa-Kriterien nicht erfüllt, so gilt es vor einer etwaigen Behandlung die Troponin-Werte zu testen.

Der kardiale Troponin-Test ist ein zentraler diagnostischer Pfeiler, um einen Herzinfarkt zu bestätigen oder auszuschliessen. In der Regel reichen zwei Troponin-Messungen: eine zu Beginn der Untersuchung und eine nach einer Stunde (0/1h-Algorithmus). Prof. Müller empfahl die Verwendung hochsensitiver Troponin-Tests, die im ng/l-Bereich messen. Steigt der Wert signifikant an, ist ein Herzinfarkt wahrscheinlich, während ein stabiler, niedriger Wert nach einer Stunde für das Gegenteil spricht. Liegen die Troponin-Werte bei unter 5 ng/l und liegt der Beginn der Symptome drei Stunden oder länger zurück, so kann der Patient entlassen werden.

Zusätzlich zu den diagnostischen Tests sollte eine Risikoeinschätzung anhand der Anamnese und der aktuellen Symptomatik erfolgen. Risikofaktoren wie frühere Herzinfarkte, Hypertonie, Diabetes und familiäre Vorbelastung erhöhen die Wahrscheinlichkeit eines Myokardinfarkts.

Es gibt «Stolperfallen» bei akuten Thoraxschmerzen

Im Folgenden ging Prof. Müller auf Hindernisse beim Umgang mit Thoraxschmerzen ein. Ein grosses Problem sei, dass die Patienten sich erst viel zu spät zur Notfalluntersuchung- bzw. -behandlung begeben. So hat eine Untersuchung ergeben, dass rund fünf Stunden zwischen den ersten Symptomen und der Vorstellung vergehen – sogar bei Patienten, die schon einmal einen Herzinfarkt hatten (1). «Eine Katastrophe für uns [Ärztinnen und Ärzte]», kommentierte der Experte und betonte den hohen Wert einer adäquaten Instruktion der Patienten.

Bei hospitalisierten Patienten mit Thoraxschmerzen ist es wichtig zu bedenken, dass diese in der allgemeinen medizinischen Abteilung nicht an einen Rhythmusmonitor (CAVE: Kammerflimmern) angeschlossen sind.

Ein weiteres Problem ist, dass trotz der Verfügbarkeit hochsensitiver Troponin-Assays in der Schweiz noch immer Point-of-Care-Tests (POCT) verbreitet sind, die nicht in der Lage sind, niedrige Troponin-Werte präzise zu messen – eine weitere «Stolperfalle» in der Diagnostik, wie Prof. Müller betonte. Falsch negative Ergebnisse und unerkannte Herzinfarkte können die Folge sein.