Was genau sind komplizierte Harnwegsinfektionen?
Der Terminus «komplizierte Harnwegsinfektionen» wurde seit seiner Einführung in den 1990er-Jahren mehrfach überarbeitet. Dennoch bleibt die Definition ungenau, kritisiert eine internationale Expertengruppe. Das erschwert Studien mit Antibiotika und erhöht das Risiko für Verzerrungen.

Harnwegsinfektionen eignen sich gut für klinische Studien mit neuen Antibiotika, da die Erreger bekannt und relativ leicht nachweisbar sind.
Zuletzt hat die Food and Drug Administration (FDA) im Jahr 2018 einen Leitfaden für die Industrie veröffentlicht, der festlegt, welche Patientenpopulation mit «komplizierten Harnwegsinfektionen» in Antibiotikastudien aufgenommen werden soll. Nun kommt ein internationales Expertenteam um Prof. Dr. Truls Bjerklund Johansen von der Urologischen Klinik der Universität Oslo zu dem Schluss, dass diese Kriterien nicht ausreichen (1).
Kitisiert wird u. a., dass Fieber nicht als zwingendes Einschlusskriterium definiert ist. Um genügend Teilnehmende mit schwereren Infekten zusammenzubringen, empfehle die FDA stattdessen einen Anteil von mind. 30 % mit akuter Pyelonephritis. Auch sei eine Obergrenze (z. B. bereits entstandene Organschädigungen) nicht festgelegt.
Patientenbezogene Faktoren nicht berücksichtigt
Als weiteren Punkt führt das Expertenteam an, dass die FDA ausschliesslich harnwegsbezogene Risikofaktoren benennt. Zudem werde dabei weder nach Art oder Dauer von Stents bzw. Katheterisierung noch nach dem Schweregrad einer etwaigen Steinerkrankung differenziert.
Patientenbezogene Risikofaktoren wie rezidivierende Harnwegsinfekte in der Vergangenheit oder Begleiterkrankungen (z. B. Diabetes, Immundefizienz) fänden dagegen keine Berücksichtigung.
Schliesslich ist der Grenzwert von < 103 koloniebildenden Einheiten pro ml Urin als Kriterium für eine erfolgreiche Therapie aus Sicht der Autorengruppe missverständlich. Auch der Zeitpunkt, zu dem dieser Wert erreicht sein soll, sei nicht eindeutig festgelegt.
FDA-Kriterien nur begrenzt eingehalten
Nach Auswertung aller zwischen 2018 und 2024 publizierten randomisierten, kontrollierten Studien legen Prof. Bjerklund Johansen und sein Team dar, dass diese Unschärfen ernstzunehmende Konsequenzen haben.
Wie sich zeigte, werden die FDA-Kriterien nur begrenzt eingehalten. Entsprechend gross ist die Heterogenität hinsichtlich Studienarten, eingeschlossener Patientinnen und Patienten und Pathogene.
Als wichtigste Risikofaktoren für eine Harnwegsinfektion, einen schweren Krankheitsverlauf und ein Scheitern der Behandlung sieht die Expertengruppe einen Harnröhrenkatheter, gefolgt von anatomischen Anomalien des Harntrakts inklusive Abflussproblematik und Harnsteinen. In einer statistischen Modellierung hatten bereits fünf Patientinnen bzw. Patienten mehr mit solchen Faktoren in einem der Studienarme einen erheblichen Einfluss darauf, welche Ergebnisse als signifikant zu bewerten waren.
Schliesslich stimmte in einem DELPHI-Prozess die Mehrheit der Forschenden überein, dass 22 von 26 Studien-, Patienten- und Pathogencharakteristika, die in randomisierten, kontrollierten Studien zu Harnwegsinfektionen verwendet werden, ein hohes Risiko für einen Bias aufwiesen.
Prof. Bjerklund Johansen und sein Team fordern die Einrichtung einer Expertenkommission, um verbesserte Definitionen und Standards zu entwickeln.
- Bjerklund Johansen TE et al. Consensus position statement on advancing the classification of patients and tests of cure in studies of antibiotic treatment of complicated urinary tract infections. Lancet Infect Dis 2025; doi: 10.1016/ S1473-3099(25)00142-2