Wie Lippenherpes und Alzheimer zusammenhängen
Die meisten Erwachsenen tragen das Herpes-simplex-Virus Typ 1 seit einer meist in der Kindheit erfolgten Erstinfektion in sich. Eine neue Studie legt nahe, dass damit ein erhöhtes Risiko für die Alzheimer-Krankheit einhergehen könnte. Gleichzeitig zeigte sich in derselben Kohorte: Wurde der Lippenherpes behandelt, war das Alzheimer-Risiko geringer.

Weltweit sind laut WHO rund zwei Drittel der unter 50-jährigen mit dem Herpes-simplex-Virus Typ 1 (HSV-1) infiziert.
Nach der meist asymptomatischen Erstinfektion verbleibt HSV-1 latent in den Ganglien des Nervus trigeminus, und kann sich periodisch reaktivieren. Das äussert sich typischerweise als Lippenherpes («Fieberblasen»), seltener als Augenerkrankung oder herpetische Enzephalitis.
HSV-1 und Alzheimer: Studien aus Tiermodell und Praxis deuten auf Risiko hin
Mittlerweile weisen einige experimentelle Daten und epidemiologische Studien auf einen Zusammenhang zwischen HSV-1 und Demenzerkrankungen hin.
So führte die Infektion von Mäusen mit HSV-1 zu einer Ablagerung von Amyloid-Beta, einem zentralen Kennzeichen der Alzheimer-Pathologie. Zudem legen Kohortenstudien aus Taiwan, Schweden und Frankreich nahe, dass Personen mit vorhandener HSV-1-Infektion ein höheres Alzheimer-Risiko haben. In einigen Untersuchungen konnte eine Behandlung mit Antiherpetika ausserdem das Alzheimer-Risiko senken.
Für die vorliegende Fall-Kontroll-Studie zogen die US-amerikanischen Autoren nun eine der grössten amerikanischen Versicherungsdatenbanken, IQVIA PharMetrics Plus, heran (1). Sie identifizierten darin die Daten von 344.628 Personen mit bekannter Alzheimer-Erkrankung, und einer gleich grossen Kontrollgruppe. Beide Gruppen waren hinsichtlich Alter, Geschlecht, Wohnort, Beginn des Datenbankeintrags, sowie der Häufigkeit medizinischer Kontakte gematcht.
Erhöhtes Alzheimer-Risiko durch HSV-1, möglicher Schutzeffekt durch Antiherpetika
Unter den Teilnehmern lag eine HSV-1-Infektion bei 1.507 (0,44 %) der Alzheimer-Patienten vor, verglichen mit 823 (0,24 %) Kontrollpersonen.
Die Studienpopulation war dabei häufiger weiblich (65%), mit einem Durchschnittsalter von 73 Jahren. Patienten mit Alzheimer-Krankheit hatten mehr (50% vs 45% mit ≥2 Begleiterkrankungen) als die Kontrollpersonen.
Nach Korrektur für Störfaktoren war das Risiko für eine Alzheimer-Diagnose bei Personen mit HSV‑1-Diagnose um 80 Prozent erhöht (adjustierte Odds Ratio [OR] 1,8; 95%-KI: 1,65-1,96). Dieser Zusammenhang verdeutlichte sich weiter, je älter die Patienten waren. Bei Teilnehmern über 75 Jahren belief sich die OR auf 2,1 (95%-KI: 1,88-2,35). Dies könnte laut den Autoren darauf zurückzuführen sein, dass mit vermehrten Virusreaktivierungszyklen mit der Zeit möglicherweise auch HSV-assoziierte pathologischen Vorgänge im Gehirn zunehmen.
Unter den 2.330 Personen mit dokumentierter HSV-1-Infektion erhielten 931 (40%) eine Behandlung mit Antiherpetika. Diese war mit einem signifikant geringeren Risiko für eine spätere Alzheimer-Diagnose assoziiert (adjustierte Hazard Ratio 0,83; 95%-KI: 0,74-0,92).
Herpesvirus-Monitoring könnte Rolle in der Alzheimerprävention spielen
Als eine der wichtigsten Limitationen der Studie nennen die Autoren, dass viele Menschen mit vorliegender HSV-1-Infektion keine Symptome aufweisen, und andere trotz Symptomen keinen Arzt aufsuchen. Dadurch könnte ein nicht unerheblicher Teil der Personen ohne dokumentierte Herpes-Diagnose in der Studie in Wirklichkeit HSV-positiv gewesen sein.
Aufgrund ihrer Ergebnisse einschliesslich der Risikoreduktion durch die Behandlung mit Antiherpetika legen die Autoren nahe, dass bei Personen mit Demenzdiagnosen in der Familie ein Monitoring auf HSV-1 sinnvoll sein könnte. «Die Ergebnisse unterstreichen nachdrücklich, dass die Prävention von Herpesviren eine gesundheitspolitische Priorität sein sollte», schreiben sie.
- Liu Y et al. Association between herpes simplex virus type 1 and the risk of Alzheimer's disease: a retrospective case-control study. BMJ Open. 2025 May 20;15(5):e093946. doi: 10.1136/bmjopen-2024-093946.