Medical Tribune
10. Apr. 2025Kinderophthalmologie

Rote, geschwollene oder tränende Augen bei Kindern: Harmlos oder Notfall?

Tränende, klebrige, gerötete oder geschwollene Augen sind ein häufiges Beschwerdebild bei Kindern. Eine präzise Anamnese ist entscheidend, um zwischen banalen Hintergründen wie einer kongenitalen Tränenwegsstenose und schwerwiegenderen Krankheitsbildern wie einer infektiösen Konjunktivitis oder einer orbitalen Cellulitis zu unterscheiden.

Hinter roten Augen können bei Kindern viele Ursachen stecken.
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Probleme mit den Augen sind vor allem bei kleinen Kindern häufig (1). Zu den häufigsten Symptomen gehören dabei tränende und klebrige sowie rote Augen.

Tränende und klebrige Augen bei Neugeborenen – was steckt dahinter?

Werden Neugeborene mit Augentränen (Epiphora) und Sekretbildung vorstellig, kann eine zusätzliche Rötung der Augen einen wichtigen Hinweis auf die zugrunde liegende Ursache hinweisen.

Bei wässrigen und klebrigen, aber nicht geröteten Augen handelt es sich bei Kindern oft um eine kongenitale Tränenwegsstenose. Bei Neugeborenen schliesst eine Schleimhautfalte in der Nase, die Hasner’sche Klappe, den Tränenkanal ab – dadurch können die Tränen nicht über die Tränenwege abfliessen.

In den meisten Fällen öffnet sich die Hasner’sche Klappe innerhalb des ersten Lebensjahres spontan – daher wird initial meist konservativ behandelt. Dabei wird die Hasner’sche Klappe durch Massage der Tränenwege vom medialen Augenwinkel über den Tränensack nach unten mittels Erzeugung eines Druckgradienten geöffnet.

Wässrige, aber nicht gerötete Augen lassen auf eine Tränenwegsstenose schliessen.
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Wässrige, aber nicht gerötete Augen lassen bei Kindern auf eine Tränenwegsstenose schliessen.

Hält die Symptomatik allerdings über das erste Lebensjahr hinaus an, ist eine Tränenwegsspülung in Kurznarkose erforderlich. Zu lange zuwarten sollte man hier allerdings nicht. Denn die besten Erfolgschancen hat die Tränenwegsspülung bis zu einem Alter von rund 24 Monaten.

Eine Ausnahme bildet die meist postnatal auftretende Dakryozele (bzw. Dakryozystozele). Sie entsteht durch einen Schleimrückstau im Tränensack, der zu einer zystischen Erweiterung des Tränensacks führt. Typisch ist eine bläulich-livide Schwellung des Tränensacks, begleitet von Augentränen und Schleimabsonderung. Aufgrund der potenziellen Infektionsgefahr oder einer Beeinträchtigung der Atmung durch die Nase kann eine operative Entlastung mit endoskopischer Eröffnung des Tränensacks notwendig sein.

Infektiöse Konjunktivitis bei Neugeborenen: Zeitpunkt des Beginns gibt Aufschluss über den Erreger

Geht das Augentränen auch mit geröteten Bindehäuten einher, kann eine infektiöse Konjunktivitis dahinterstecken. Bei Neugeborenen gibt das Lebensalter bereits den ersten Hinweis auf den Erreger: So tritt eine Gonokokken-Konjunktivitis etwa in den ersten drei bis fünf Tagen nach der Geburt in Erscheinung, die Chlamydien-Konjunktivitis hingegen erst nach fünf bis 14 Tagen. Auch eine Herpes-simplex-bedingte Konjunktivitis tritt typischerweise erst nach ein bis zwei Wochen postnatal auf.

Ist das Kind zusätzlich lichtsensitiv oder liegen Schmerzen vor, muss an eine corneale oder uveale Pathologie gedacht werden.

Rote Augen bei Kindern: Ein Symptom, viele Ursachen

Kommen Kinder mit «roten Augen» in die Praxis, steht eine fundierte Anamnese im Vordergrund. Dazu gehört, ob es Traumata oder Hinweise auf Fremdkörper gibt, ob es bereits frühere Episoden gab, und ob die Augenrötung saisonal auftritt. Letzteres könnte ein Hinweis auf eine Pollenallergie sein. Ein reduzierter Visus oder Lichtempfindlichkeit könnten hingegen auf eine ernsthaftere Pathologie hindeuten.

Relevant ist ausserdem die Art des Ausflusses. So deutet ein wässriger Ausfluss auf eine Abrasio oder einen Fremdkörper, ein muco-purulenter Ausfluss eher auf eine Konjunktivitis hin. Eine einseitige Rötung spricht ausserdem eher für eine Abrasio bzw. einen Fremdkörper, bei Beidseitigkeit ist eher von einer allergischen Ätiologie auszugehen.

Auch eine sorgfältige klinische Untersuchung ist unabdingbar, um zwischen bakteriellen, viralen, allergischen oder traumatischen Ursachen zu unterscheiden.

Besonders wichtig bei der Abklärung ist der Einsatz von Fluoreszin zur Darstellung kornealer Defekte. Finden sich dabei typische Färbemuster wie bäumchenartige-dendritische Läsionen, spricht das für eine Herpes-simplex-Infektion. Lineare Hornhautkratzer lassen hingegen auf subtarsale Fremdkörper schliessen, die unter dem Oberlid sitzen und ständig über die Hornhaut kratzen.

Bäumchenartig-dendritische Läsionen sind typisch für eine Infektion mit Herpes simplex.
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Bäumchenartig-dendritische Läsionen sind in der Fluoreszein-Darstellung typisch für eine Infektion mit Herpes simplex.

Zur vorübergehenden Schmerzstillung während der Untersuchung und besseren Untersuchbarkeit kann zusätzlich Proxymetacain appliziert werden. Der Wirkstoff ist auch hilfreich bei der Entfernung cornealer Fremdkörper, die mit einem in Proxymetacain getunkten Wattestäbchen erfolgt.

Ab einem Alter von fünf bis sechs Jahren kann auch in der Hausarztpraxis der Visus erhoben werden. Ist dieser gut, ist eine ernsthafte Pathologie unwahrscheinlich.

Schwellungen im Augenbereich: Präseptale oder orbitale Cellulitis?

Hinter Schwellungen im Augenbereich stecken oft harmlose Ursachen. Im Sommer treten Lidschwellungen etwa oft nach einem Insektenstich auf. Hält sich die Schwellung in Grenzen und gibt es eine klare Anamnese, braucht es dabei nicht sofort Antibiotika. Hier reichen kühlende, abschwellende Kompressen und Antihistaminika.

Zu den weniger harmlosen Ursachen der Schwellung gehören die präseptale und die orbitale Cellulitis. Besonders die orbitale Cellulitis kann lebens- und visusbedrohlich sein, und sollte so rasch wie möglich erkannt und behandelt werden.

Präseptale Cellulitis

Die präseptale Cellulitis entsteht meist aus lokalen Hautläsionen (z.B.: infizierte Insektenstiche, Hordeola, Herpesviren oder Varicella-zoster-Viren). Systemisch sind die Kinder dabei nicht beeinträchtigt. Auch die Augenmotilität ist nicht eingeschränkt, und es besteht weder Proptosis (Hervortreten des Augapfels) noch ein relatives afferentes Pupillendefizit (RAPD). Die Therapie kann im Fall einer präseptalen Cellulitis häufig ambulant erfolgen, behandelt wird etwa mit Co-Amoxiclav p.o. +/- Aciclovir.

Eine Ausnahme bilden Kinder unter sieben Jahren, bei denen das orbitale Septum noch nicht ausgebildet ist. Bei ihnen besteht ein hohes Risiko für ein rasches intraorbitales Fortschreiten. Sie sollten daher auch bei Verdacht auf eine präseptale Cellulitis engmaschig täglich kontrolliert werden.

Orbitale Cellulitis

Orbitale Cellulitiden entwickeln sich meist aus den Sini – typischerweise nach einer Infektion der oberen Atemwege. Zu den wichtigsten Warnhinweisen für eine orbitale Cellulitis zählen

  • Augenmotilitätseinschränkung
  • Visusminderung
  • Proptosis
  • RAPD sowie
  • systemische Krankheitszeichen.

Eine orbitale Cellulitis ist potenziell sehkraft- und lebensbedrohlich. Bei Verdacht sollte daher niedrigschwellig eine Bildgebung durchgeführt werden. Die Therapie erfolgt stationär mit intravenöser Antibiotikatherapie und gegebenfalls einer operativen Abszessdrainage.

Kindliches Schielen

Zu den häufigsten Zuweisungsgründen in der kinderophthalmologischen Sprechstunde zählt das Schielen.

Ein vermeintliches Schielen im Säuglingsalter ist häufig ein Pseudoschielen: Die Augenachsen sind dabei parallel, aber breite Epikanthusfalten lassen die Augenstellung wie ein Innenschielen erscheinen.

Um zwischen einem echten Schielen und einem Pseudoschielen zu unterscheiden, empfiehlt sich die Prüfung der cornealen Lichtreflexe:

  • Bei einer Esotropie (Innenschielen) liegt der Reflex temporal auf der Iris
  • Bei einer Exotropie (Aussenschielen) findet man den Reflex nasal.
  • Beim Pseudoschielen sind die Reflexe hingegen symmetrisch in der Mitte der Pupillen.

Schielen im Kindesalter ist meist konkomitant und beginnt intermittierend. Typisch ist eine positive Familienanamnese (Schielen, Brille, Abkleben).

Arten des Schielens:

  • Intermittierendes (phasenweises) Schielen (gute Prognose, besonders bei alternierendem Schielen – hier besteht ein geringeres Amblyopie-Risiko)
  • Frühkindliches Schielen (Beginn im Säuglingsalter, oft bedingt durch perinatale Hirnschädigung, meist Esotropie)
  • Akkommodatives Schielen (meist ab 18 Monaten, typischerweise Esotropie, verursacht durch Hyperopie, gut durch Brille behandelbar, falls rechtzeitig diagnostiziert und therapiert)
  • Normosensorisches Spätschielen (plötzlicher Beginn zwischen 5 – 7 Jahren, konstantes Innenschielen, rasche kinderaugenärztliche Abklärung nötig)
  • Sensorisches Schielen (meist Exotropie, bei stark reduziertem Visus)

Red Flags, die eine dringende kinderaugenärztliche Untersuchung und gegebenenfalls weiterführende Abklärungen(z. B. MRI) erfordern:

  • Neu aufgetretene konstante Esotropie
  • Unterschiedlich grosser Schielwinkel je nach Blickrichtung
  • Akuter/subakuter Beginn
  • Doppelbilder, Zukneifen eines Auges
  • Kopfzwangshaltung
  • Abnormales Fundusrot

Über den Autor

Dr. Fabian Lengwiler ist Oberarzt für Kinderaugenheilkunde und Schielchirurgie an der Augenklinik des Luzerner Kantonsspitals.

Dr. Fabian Lengwiler
Foto: Pia Lohri