Medical Tribune
17. März 2025Das unterschätzte Sinnesorgan

Die ungeahnten Fähigkeiten der Haut

Sie schützt, fühlt, heilt und reagiert: Unsere Haut ist weit mehr als eine blosse Hülle. Neue Forschungen zeigen, dass sie entscheidend am Alterungsprozess, an der Immunabwehr und sogar an der Wahrnehmung beteiligt ist.

Die Haut fühlt, heilt und reagiert.
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Die Haut birgt noch immer viele Geheimnisse, die über ihre Barrierefunktion hinausgehen, erklärt Prof. Dr. Peter Elias von der University of California, San Francisco (1).

Viele offene Fragen

Wir wissen, dass die Haut den Körper vor Austrocknung bewahrt und bei Störungen der Barriere schnell und intensiv repariert. Ihre Grundstruktur folgt dem Prinzip «Ziegel und Mörtel»: Die Corneozyten des Stratum corneum bilden die Ziegel, die extrazelluläre Matrix den Mörtel. Lipide wie Cholesterin, freie Fettsäuren und Ceramide spielen dabei zentrale Rollen. In diesen Strukturen liegen Vorstufen von Interleukin-1-alpha und -beta, die bei Schäden als Alarmstoffe wirken und Entzündungen auslösen. Die Hautoberfläche bleibt dabei sauer.

Doch es gibt viele Wissenslücken, betont Prof. Elias. Bekannt ist, dass Pigmentierung vor UV-Schäden schützt. Weniger bekannt: Stärkere Pigmentierung verschiebt die Wirkung von UV-Strahlung von schädlich zu nützlich. Bei dunklerer Haut erhöht Sonnenlicht die Durchlässigkeit und stärkt die Infektabwehr. Zudem trägt Pigmentierung zum sauren Milieu der Haut bei.

Unklar bleibt, wie Melanozyten parakrin auf Keratinozyten wirken und ob Anforderungen an die Barriere die Pigmentierung beeinflussen.

Helle Haut als evolutionärer Vorteil

Der Zusammenhang zwischen Ethnizität und Pigmentierung ist offensichtlich, doch die geografische Verteilung ist komplexer als gedacht. In Indien leben relativ hellhäutige Menschen nahe am Äquator, während in Afrika und Australien auch in gemässigten Zonen dunkle Haut dominiert. Nur in Europa, besonders im Norden, begünstigte Vitamin-D-Mangel Menschen mit heller Haut – es sei denn, sie ernährten sich fischreich.

Zwei Mutationen erklären die ungewöhnlich helle Haut der Nordeuropäer. Eine betrifft Filaggrin, das mit atopischer Dermatitis assoziiert ist und die Produktion von trans-Urocaninsäure, einer photoprotektiven Substanz, verringert. Die andere Mutation betrifft das Enzym 7-Dehydrocholesterol-Reduktase, das die Bildung von Vitamin-D-Vorstufen steigert.

Auch das Prinzip der «metabolischen Konservierung» spielt eine Rolle, so Prof. Elias. Der Körper spart Energie, wo Prozesse wie Pigmentierung entbehrlich sind. In nördlichen, UV-armen Regionen wird weniger Pigment benötigt. Darüber hinaus könne man sich im Norden auch eine schwächere Hautbarriere erlauben, da das Klima nicht nur kühler, sondern auch feuchter sei und sich unter Kleidung ein feuchtes Milieu bilde (2). Ähnliche Einsparungen zeigt der Körper in anderen Situationen: Stillende Mütter haben hellere Haut, und bei Proteinmangel kann die Haarpigmentierung abnehmen.

Hautbarriere und Mikrobenabwehr

Die Haut schützt nicht nur mechanisch vor Mikroben, sondern auch durch Ceramide, zentrale Moleküle des Sphingolipid-Stoffwechsels. Ceramide fördern die Apoptose und regen über ihre Metaboliten die Produktion von Alarmstoffen an.

Psychologischer Stress beeinträchtigt die Barrierefunktion. Glukokortikoide unterdrücken die Produktion von Lipiden, Proteinen und antimikrobiellen Peptiden. Diese Effekte lassen sich durch Blockade der Glukokortikoidrezeptoren oder des Cortisol-Releasing-Faktors rückgängig machen, erklärt Prof. Elias. Das Verständnis dieser Mechanismen könnte den Zusammenhang zwischen Stress und Krankheit besser erklären.

Ab etwa 50 Jahren verändert sich die Hautbarriere altersbedingt. Dies steigert die Zytokinproduktion, insbesondere von Interleukin-6, TNF-alpha und Interleukin-1-beta, die in den Blutkreislauf gelangen und das Risiko chronischer Krankheiten erhöhen. Die Reparatur der Hautbarriere, etwa durch Pflege oder Medikamente, beeinflusst das gesamte Entzündungssystem positiv. Ob dies auch chronische Krankheiten lindert, bleibt offen.

Die neurokutane Barriere

Ein weiteres Forschungsfeld ist die neurokutane Barriere. Haut und Gehirn haben gemeinsame embryonale Ursprünge. Zwar denkt und fühlt die Haut nicht, doch in ihrer Funktion ähnelt sie dem Gehirn.

Nun habe das Gehirn einen entscheidenden Nachteil: Es ist im Schädel eingeschlossen und daher weit entfernt von der Kontaktzone mit der Umwelt, so Prof. Elias. Dies müsse die Haut kompensieren. Ihre Tastfähigkeit übertrifft die Erwartungen, die allein auf der Dichte der Nervenfasern beruhen.

Dafür sorgen TRPV-Rezeptoren (Transient Receptor Potential Receptors), die auf mechanische Reize, Temperatur, elektrische Potenziale und Osmolarität reagieren. Diese Rezeptoren finden sich nicht nur im zentralen Nervensystem, sondern auch in der Haut.

Die Haut hört und riecht

Die Haut reagiert auch auf akustische Reize – präziser als das Ohr. Welche Strukturen dafür verantwortlich sind, ist noch unklar. Fest steht jedoch, dass akustische Signale die Barrierefunktion und den Metabolismus der Haut beeinflussen. «Man kann die Wundheilung fördern, indem man etwa Mozarts Fagott-Konzert hört», sagt Prof. Elias.

Zudem besitzt die Haut Rezeptoren für Duftstoffe, die das Wachstum und die Differenzierung von Keratinozyten steuern. Auch auf sichtbares Licht könnte die Haut reagieren, da sie Opsine, Rhodopsin und Transducin exprimiert. Ob sie tatsächlich «sehen» kann, bleibt jedoch ungewiss.