Wenn der Arm nachts einschläft
Kompressionssyndrome wie das Thoracic-Outlet-Syndrom, das Popliteale Entrapment-Syndrom oder das Dunbar-Syndrom sind oft nicht leicht zu erkennen. Prof. Dr. Christina Jeanneret-Gris, Angiologin an der Angiologie Pratteln – Praxis für Gefässmedizin, beschreibt, worauf es bei der Diagnostik ankommt.

Das früher als Thoracic Outlet-Syndrom bezeichnete Beschwerdebild heisst heute korrekt Schultergürtel-Kompressionssyndrom (1). Dabei kommt es zu einer Kompression von Nerven und Blutgefässen im Bereich des Schultergürtels.
Hintergrund sind wichtige Strukturen zwischen Schlüsselbein (Clavicula) und erster Rippe, die für die Versorgung der Arme und Finger verantwortlich sind. Dazu gehören
- Arteria subclavia
- Vena subclavia und
- Plexus brachialis.
Eine Kompression, verursacht durch anatomische Variationen oder ein Übertraining der Muskeln, kann hier zu erheblichen Einschränkungen führen.
Thoracic-Outlet-Syndrom und Thoracic-Inlet-Syndrom
Eine Kompression der Arteria subclavia und des Nervenbündels des Plexus brachialis führt zum arteriellen Thoracic-Outlet-Syndrom, das durch neurologische und vaskuläre Symptome gekennzeichnet ist. Dazu gehören:
- Einschlafen des Arms (v.a. nachts)
- Schulter-Arm-Schmerzen
- Kribbelparästhesien (v.a. Ringfinger und kleiner Finger)
- Kältegefühl im Arm
- Gestörte Feinmotorik
- Verfärbungen und Schwellungen der Finger
Die Kompression der Vena subclavia wird als venöses Thoracic-Outlet-Syndrom, auch bekannt als Thoracic-Inlet-Syndrom, bezeichnet. Dabei kommt es zur Erweiterung der Handvenen und damit zu vaskulären Symptomen, wie
- Schwellung des Arms
- Schwellungen im Kopfbereich
- Kopfschmerzen, «schwerer Kopf»
- Umgehungskreisläufe der Venen
- Blauverfärbungen im Bereich der Hände
Risikogruppen und auslösende Tätigkeiten
Besonders betroffen von Schultergürtelkompressionssyndromen sind junge Frauen zwischen 20 und 50 Jahren. Aber auch Sportler, die die obere Thoraxmuskulatur trainieren (z.B. Handballspieler, Wasserballspieler), sind häufig betroffen. «Ein Training der Schultermuskulatur führt gleichzeitig auch zu einer Stärkung des Musculus subclavius» erinnert Dr. Jeanneret-Gris. Dieser kann bei einem Übertraining Druck auf die umliegenden Strukturen ausüben.
Aber auch bei bestimmten Berufsgruppen, die ihre Arme stundenlang in Hochhaltepositionen verbringen müssten, sei eine Häufung zu beobachten.
Zu den auslösenden Tätigkeiten gehören etwa
- Schirm tragen
- Wäsche aufhängen
- Fenster putzen
- Wände malen
- Kämmen, Föhnen
- Schlafen mit abgewinkelten Armen
- Autofahren
- Computerarbeit.
Diagnostik beim Thoracic-outlet-Syndrom bzw. Thoracic-Inlet-Syndrom
Als diagnostisches Hilfsmittel bei einem Verdacht auf ein Thoracic-outlet-Syndrom eignen sich Provokationsmanöver wie der Armhochhalte-Test (Roos-Test). Dabei hebt der Patient die Arme in Aussenrotation, was zur Ausdehnung des Musculus subclavius und der Belastung der Strukturen in der Skalenuslücke führt, dem engen Raum zwischen Musculus scalenus anterior und Musculus scalenus medius, durch den die Arteria subclavia und der Plexus brachialis verlaufen.
Ein weiteres Provokationsmanöver ist der Adson-Test, bei dem der Kopf auf die betroffene Seite gedreht und nach dorsal bewegt wird, um eine Kompression der Skalenuslücke zu provozieren. Intensiviert kann dies durch eine Bewegung der Arme nach oben, sowie die Faustschlussprobe werden.
In Provokationshaltung kann es bei Betroffenen zu Symptomen wie Taubheit und Einschränkungen der Gefässfunktion kommen. Ein Verschwinden der Pulse in Provokationshaltung spricht zudem für eine vaskuläre Beteiligung.
Zusätzlich kann auch eine Bildgebung zur Abklärung anatomischer Besonderheiten sinnvoll sein. So können mittels Röntgen anatomische Ursachen für die Kompression gesucht werden, etwa eine Halsrippe oder Callusbildungen nach Clavicula-Fraktur. Ein CT oder die Duplex-Sonografie hilft ausserdem bei der Darstellung von Gefässstenosen.
Ein häufig gemachter Test, der jedoch nicht immer zu einem aussagekräftigen Ergebnis führt, ist die Messung der Nervenleitgeschwindigkeit, die auch bei Betroffenen mit Thoracic-Outlet-Symptomatik oft ohne pathologischer Befund bleibt.
Komplikationen
Beim Thoracic-Outlet-Syndrom kann die chronische Kompression zu folgenden Komplikationen führen:
- Stenosen
- Aneurysmen
- Thrombenbildung
- Embolien (z.B. «blauer Finger»)
Beim Thoracic-Inlet-Syndrom kann eine Thrombose der Vena subclavia oder Vena axillaris (Paget-von-Schrötter-Syndrom) zu Schmerzen, Schwellungen und lividen Verfärbungen führen.
Popliteales Entrapment-Syndrom
Das seltene popliteale Entrapment-Syndrom betrifft den Bereich der Kniekehle. Es entsteht durch eine Kompression der Arteria und/oder Vena poplitea sowie des Nervus tibialis aufgrund von hypertrophen Muskelanteilen (z.B. M. gastrocnemius) oder anatomischen Besonderheiten (z.B. aberrierende Gefässverläufe).
Betroffen sind häufig junge, sportliche Männer ohne kardiovaskuläre Risikofaktoren; das Syndrom tritt meist beidseits auf.
Klinisch kommt es durch das popliteale Entrapment zu einer Claudicatio (Hinken), typischerweise beim Sport. Die Plantar- und Dorsalflexion des Fusses stellen zudem Provokationshaltungen dar. Sie können einen Wadenschmerz triggern.
Durch die dauerhafte Kompression kann es zu Traumata der Gefässwand kommen, was sich durch Thrombenauflagerungen und distale Ischämien äussern kann, auch eine Thrombosierung der Vene ist möglich.
Diagnose und Therapie
Ein Hinweis auf ein popliteales Entrapment-Syndrom ist das Verschwinden der Fusspulse in Provokationsstellung, etwa in Plantarflexion. Per Duplexsonografie oder CT-Angiografie können ausserdem Stenosen im Bereich der Arteria poplitea sowie echodichte Strukturen zwischen Arterie und Vene nachgewiesen werden.
Therapeutisch kommen eine Muskelversetzung oder ein Interponat des geschädigten Gefässsegments in Frage.
Ligamentum-Arcuatum-Syndrom (Dunbar-Syndrom)
Das Ligamentum-Arcuatum-Syndrom betrifft meist junge, schlanke Frauen (20–40 Jahre). Es entsteht durch eine Kompression der Gefässe, die durch das Zwerchfell (Hiatus aorticus) verlaufen, z.B. Truncus coeliacus oder Arteria mesenterica superior.
Symptome:
- Postprandiale Abdominalschmerzen
- Gewichtsverlust
- Belastungsschmerzen
Die Beschwerden verbessern sich dabei üblicherweise, wenn Patienten sich nach vorne beugen. Ausgelöst wird die Kompression durch die vollständige Exspiration.
Zur Diagnostik empfiehlt sich die Gefässauskultation in Exspiration, sowie eine Duplex-Sonografie oder CT-Angiografie zur Abklärung von Stenosen.
Eine wichtige Differenzialdiagnose für das Dunbar-Syndrom ist das Wilkie-Syndrom, bei dem es sich um eine Einengung des Duodenums durch einen anatomisch unüblichen Verlauf der Arteria mesenterica superior handelt.
- Jeanneret-Gris C. Kompressionsphänomene in der Angiologie- vom Thoracic outlet- bis zum Dunbar Syndrom. FomF Allgemeine Innere Medizin Update Refresher, 21. Januar 2025