Medical Tribune
16. Jan. 2025Präexpositionsprophylaxe bietet sechs Monate lang Schutz

Lenacapavir: Fortschritt in HIV-Therapie und Prävention

Das Fachjournal Science hat Lenacapavir, einen innovativen Wirkstoff in der HIV-Therapie und -Prävention, als «Durchbruch des Jahres 2024» ausgezeichnet. Die halbjährliche Injektion kann nicht nur multiresistente HIV-Stämme behandeln, sondern bietet auch einen hocheffektiven Schutz vor Neuinfektionen in Hochrisikosituationen.

Lenacapavir könnte einen bedeutenden Fortschritt bei der HIV-Prävention leisten.
Tobias Arhelger/stock.adobe.com

Weltweit infizieren sich jedes Jahr mehr als eine Million Menschen mit dem Humanen Immundefizienz-Virus (HIV). Ein Impfstoff ist laut Experten zwar nach wie vor unerreichbar, aber der langwirkende injizierbare HIV-1-Kapsid-Inhibitor Lenacapavir kann zumindest einen effektiven kurzfristigen Schutz vor Neuinfektionen bieten (1).

HIV und seine Auswirkungen

Das RNA-Virus HIV infiziert und zerstört CD4-positive T-Zellen, die bei der spezifischen Immunabwehr eine entscheidende Rolle spielen.

Unbehandelt verursacht eine HIV-Infektion das Acquired Immune Deficiency Syndrome (AIDS). Dies kann zu lebensbedrohlichen Infektionen oder Tumoren führen. Die Entwicklung eines wirksamen Impfstoffs gegen AIDS bleibt eine der grössten Herausforderungen der modernen Medizin.

«Breakthrough of the year» für Lenacapavir

Seit 1989 kürt das Fachjournal Science jedes Jahr den «Breakthrough of the Year» und würdigt damit herausragende wissenschaftliche Fortschritte, die globalen Einfluss auf Medizin, Technologie oder Umwelt haben. Im Jahr 2024 erklärte ein internationales Gremium aus Wissenschaftsjournalisten und Forschern den Wirkstoff Lenacapavir zur bedeutendsten Innovation. Mit Lenacapavir wurde zum dritten Mal eine AIDS-Therapie für die Auszeichnung gewählt.

Der neuartige Wirkstoff Lenacapavir greift gezielt das Viruskapsid – die schützende Proteinstruktur des Virus – an und stört wesentliche Schritte im Replikationszyklus. Dies verhindert:

  • Das Eindringen des Virus in die Wirtszelle
  • Die Integration viraler DNA in die Wirts-DNA
  • Die Reifung und Freisetzung neuer Viruspartikel.

Durch diesen mehrstufigen Mechanismus ist Lenacapavir besonders wirksam gegen das HI-Virus und reduziert die Wahrscheinlichkeit der Resistenzentwicklung. Darüber hinaus bietet der Wirkstoff eine neue Behandlungsoption für Patienten mit multiresistenten HIV-Stämmen.

Als «Breakthrough of the year» wurde Lenacapavir allerdings hauptsächlich gewürdigt, weil es einen Fortschritt in der Prävention von HIV-Infektionen darstellen könnte.

Präexpositionsprophylaxe durch Lenacapavir

«Obwohl ein Impfstoff, der die AIDS-Pandemie beenden könnte, weiterhin unerreichbar bleibt, stellt die Entwicklung von Lenacapavir, einem lang wirksamen injizierbaren Medikament, das präventiv von Personen mit HIV-Risiko eingenommen werden kann, einen Fortschritt in der AIDS-Prävention dar, vergleichbar mit früheren Durchbrüchen durch antiretrovirale Therapien,» schreibt etwa Science-Chefredakteur H. Holden Thorp in einem Editorial (1).

Thorp lobt auch die Vereinfachung der Therapie, die Lenacapavir bietet. Der Wirkstoff muss lediglich alle sechs Monate injiziert werden – eine wesentliche Verbesserung gegenüber den derzeit gängigen, täglich einzunehmenden antiretroviralen Medikamenten.

Im Juni 2024 zeigte etwa eine Studie, dass Lenacapavir HIV-Infektionen in afrikanischen Mädchen und jungen Frauen verhindern konnte. Thorp ist überzeugt, dass die Prävention mit selteneren Applikationen besser angenommen wird.

Studienergebnisse: Therapie und Prävention

In der Phase-3-Studie CAPELLA zeigte Lenacapavir gute Wirksamkeit bei stark vobehandelten Erwachsenen mit multiresistentem HIV-1 (2).

Präexpositionsprophylaxe

In den Phase-3-Studien PURPOSE 1 und PURPOSE 2 (3,4) wurde die Effektivität Präexpositionsprophylaxe mit Lenacapavir untersucht.

Die PURPOSE-1- Studie umfasste etwa 5.300 sexuell aktive cisgeschlechtliche Frauen im Alter von 18 bis 25 Jahren (3). Sie erhielten dabei entweder alle sechs Monate eine Lenacapavir-Injektion oder eine tägliche orale Präexpositionsprophylaxe (PrEP) bestehend aus Emtricitabin und Tenofoviralafenamid. Keine der mit Lenacapavir behandelten Frauen entwickelte eine HIV-Infektionen. Im Gegensatz dazu traten in der oralen PrEP-Gruppe mehrere Infektionen auf.

Die PURPOSE-2-Studie zeigte eine 96-prozentige Reduktion des HIV-Übertragungsrisikos bei einer gemischten Gruppe bestehend aus 3.200 Männern oder gender-diversen Personen (4).

Wie ist Lenacapavir zugelassen?

Lenacapavir erhielt im Jahr 2022 die Zulassung der Europäischen Union sowie der Vereinigten Staaten für Erwachsene mit multiresistenter HIV-Infektion. Die Schweiz folgte 2023. Eine Zulassung für die Präexpositionsprophylaxe wird bis 2025 erwartet (5).