Medical Tribune
14. Nov. 2024«Nur die Spitze des Eisbergs»

Krebserkrankungen bei unter 50-Jährigen steigen

Die Inzidenz vieler Tumorentitäten steigt unter jungen Menschen an. Am Beispiel kolorektales Karzinom erläuterte ein Experte, woran dies liegen könnte und warum es so schwer ist, Langzeiteffekte aufzuklären.

Die steigenden Krebsfälle unter Jungen gehen mit einem allgemeinen Anstieg der chronischen Erkrankungen einher.
Ivan Traimak/stock.adobe.com

Laut einer aktuellen Analyse ist die Krebsinzidenz bei Menschen unter 50 Jahren seit 1990 weltweit um knapp 80 Prozent gestiegen.

Dies betrifft insbesondere Malignome des Gastrointestinaltraktes und solche, die sich mit Übergewicht in Verbindung bringen lassen, betont Professor Dr. Dr. Shuji Ogino von der Harvard Medical School in Boston (1).

Er erinnert jedoch daran, dass auch andere chronische Erkrankungen sowie Krebsfälle im Alter zunehmen: «Das ist nur die Spitze des Eisbergs.»

Ein scheinbares Paradoxon beim kolorektalen Karzinom

Beim Kolorektalkarzinom (CRC) besteht das scheinbare Paradoxon, dass die Inzidenz insgesamt seit den 1950er Jahren steigt, aber mittlerweile stagniert. In der Gruppe der jungen Betroffenen zeigt sich die Zunahme hingegen erst seit den 1990er Jahren. «Warum haben wir diese 40 Jahre Verzögerung? », fragt der Experte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten sich Lebensstil, Ernährung und Umgebung sukzessive geändert. Er nimmt an, dass dieselben Einflussfaktoren, die für den Anstieg bei Erwachsenen verantwortlich waren, bei damals geborenen Kindern erst Jahrzehnte später zu Krebs führten.

Langfristige Studien sind schwer umsetzbar

Der Referent plädiert dafür, dass es nicht ausreicht, Daten im Erwachsenenalter zu erheben. Erhöht Übergewicht tatsächlich das CRC-Risiko, oder begünstigen Einflüsse im Kindesalter beides gleichermassen? Von der Antwort hänge ab, inwiefern neue Medikamente zur Gewichtsreduktion einen tumorpräventiven Effekt haben können.

Um solche Fragen zu klären, seien grosse und langfristige Studien mit Kinderkohorten oder zumindest jungen, krebsfreien Personen nötig. Dies erfordere jedoch eine enge Zusammenarbeit mit Pädiatern und lasse sich nur schwer finanzieren.

Molekularpathologische Ansätze zur Risikobewertung

Auch Ansätze der molekularpathologischen Epidemiologie können Hinweise auf den Zusammenhang zwischen Langzeitexpositionen und Tumorentstehung sowie -eigenschaften liefern.

So konnten Forschende immunsupprimierte CRC mit einer proinflammatorischen Ernährung in Verbindung bringen oder LINE1-hypomethylierte Tumoren mit niedrigem Folat und übermässigem Alkoholkonsum.

Letztendlich besteht aber immer ein Zusammenspiel zwischen Genen und Umwelt. In Analysen standen polygene Merkmale wie die Insulin-Signaltransduktion im Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeit, ein frühes CRC zu entwickeln.

Prävention als Schlüssel gegen zukünftige chronische Krankheiten

Ein polygenischer Risikoscore scheint sich bei ungesundem Lebensstil stärker auszuwirken. Prof. Ogino: «Wir können eventuell Präzisionsprävention anbieten oder Lebensstilempfehlungen auf Basis genetischer Faktoren geben.»

Die Langzeitexposition gegenüber Risikofaktoren beginne früh. Der jetzige Anstieg der Krebsinzidenzen unter verhältnismässig jungen Erwachsenen sei das Resultat von Jahrzehnten.

«In der Zukunft werden viele chronische Erkrankungen weiter zunehmen, wenn wir keine guten Präventionsmassnahmen durchführen», warnte der Kollege. Neben der notwendigen Forschung müssten Ärzte sowohl Eltern als auch Kinder zu einem gesunden Lebensstil animieren.